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Heidelberger Zeitung — 1866 (Juli bis Dezember)

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Nr. 205-230 September
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https://doi.org/10.11588/diglit.2833#0311
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Utidtlbtrger Zeitung.

Rk; 227- D-m-erstag. 27. Leptember 18«k.

* Politische Nmschau.

Heidelberg, 26. September.

* Bei dem jetzigen Mangel an hervortrcten-
den. politischen Neuigkeitcn von Belang hat
neben der Beschreibung des Einzugs der preu-
ßischen Truppen in Bcrlin, den Berichten über
dcn Aufstand zu Palermo, unv etma der Er-
örterung der orientalischcn Frage, immer noch
die Discussion über das bekannte Lavaletlc'sche
Rundschreiben die Spalten dcr Blätter gefüllt.
Nach und nach sind gar manche Ansichten zu
Tag getretcn, die von den anfänglich fricdlichen
Anschauungcn sehr verschiedcn sind. Einmal
ist die französische Presse und das französische
Volk großentheils nichts weniger als einver-
standen mit dieser zur Schau getragenen Frie-
denspolitik dcs Kaisers. Sodann äußern vor
Allem die bcdeutenderen englischen Zeitungen
gewaltige Zweifcl an der Aufrichtigkeit des
neuen Friedensprogramms. Es habe dieses, so
behaupten sie, nur den Zweck, daS Auöland
auf eine Weile einzuschläfern. Jedermann müsse
sich erinnern, in welche Bestürzung ganz Frank-
reich bei der crstcn Nachricht von den preu-
ßischen Siegen gerieth; wer sollte jetzt glauben,
daß Napoleon seine wahre Meinung ausspreche,
wenn er behaupte, die Veränderungen in Eu-
ropa seien ein Vortheil für Frankreich? Wie-
der andere Prcßorgane, z. B. die deutfchen und
besondcrs dic größcren Wiener Blättcr, fassen
die Sache etwas anderö auf und crinnern bei dem
angeblichen Friedensprogramme an die bekannte
Fabel vom Fuchs mit den saueren Trauben, und
meinen, Napoleons Hauptabsicht sei, das bittere
^Iefühl von den preußischen Erfolgen mit einer
dem französischen Volke eingegebenen Pille zu
versüßcn. Nur eine Deutung sindct aber jene
bedenkliche Stelle des Rundschreibens, welche
ziemlich unvcrhüllt die Theorie der Gruppirung
Europas nach großen Nationalitäten und dcs
Verschwindens der kleinen Staaten aufstellt.
Die französischen Blätter fordern ganz ernstlich
auf dieses hin die alsbaldige Annexion BelgienS,
und wo möglich der französischen Schweiz, und
selbft in diesen beiden betreffenden Staaten, so
wie in England, wird dieser Theil des Pro-
gramms also aufgefaßt. Gerüchtweise geht
man sogar noch wciter, und es wird, unter
andern auch in Berlin, mitunter behauptet,
Napoleon III. wcrde mit Einwilligung Preu-
ßcns, ja mittelsi einer Allianz mit diesem Staate
alle LLnder französischer Zunge besetzen, wäh-
rend Preußcn sich in Deutschland weiter aus-
dehne.

* Welchen Ausgang der jetzige Versuch der

Griechen auf der Jnsel Candia haben wird,
und ob sie die Vereinigung mit Griechenland
werden durchsetzen können, ist ungewiß. Wenn
selbst von den widersprechenden Nachrichten über
die neueste Schlacht diejenige Mittheilung sich
bestätigt, wonach die türkisch-ägyptischen Trup-
pen den Aufständischen eine Niederlage beige-
bracht haben, so kann dies an der immer mehr
zur Geltung gelangenden Ueberzeugung nichts
ändern, daß ein so abgelebter, ja schon in Fäul-
niß übcrgcgangener Staat wie der osmanische,
nicht länger dcm Untergange widerstehen kann.
Sie drängt sich cndlich auch der europäischcn
Diplomatie, zumal im Jnteresse der christlichen
Völkerschaften der Türkei, als eine Nothwendig-
kcit auf, der sie auf die Längc nicht widerstehen
kann. Die Gewalt dcr Umstände und That-
sachen ist aber, wie überall, so auch hier, stärker
als der Wille der Menschen, selbst der mäch-
tigstcn. Die wahre Lösung der orientalischen
Frage liegt nur in der Selbstständigkeit der
christlichen Völkerstämme der Türkei, und keine
andere ist Europas, seiner Bcstimmung und
sciner Culturzwecke würdig. Unter allen euro-
päischen Mächtcn waren bis jetzt England und
Oesterreich am meisten für Aufrechthaltung des
Halbmondes eingenommen und politisch interes-
sirt. Jmmerhin ist es nun eine Thatsache, die
Beachlung verdient, daß selbst englische Zeitun-
gen in neuester Zeit die Unentbehrlichkeit der
Türkenherrschaft in Europa nicht mehr behaup-
ten und daher verlangen und hoffen, daß die
orientalische Frage eine baldige, nicht türkische
Lösung erfahre. Selbstverständlich soll diese
keine russische, sondcrn cine iunerlich gerccht-
fertigte christliche Lösung sein.

Die „Rh. Ztg." sagt über den Amnestie-
Erlaß in Prcußen: „Was die Sache anlangt,
so gehen wir von der Voraussetzung auS, daß
die Amnestie für politische und Preßvergehcn
ganz allgemein sein will. Jst daö die Absicht
gewesen, so ist die Ordre aber in ihrem Wort-
laute nicht crschöpsend. Es werden nämlich
darnach nur erlassen die Freiheits- und Geld-
strafen, die Gerichtskosten und die Ehrenstrafen.
Die Fälle, in denen auf Todesstrafe erkannt
ist, fallen also nicht ünter diesen Erlaß, und
die im Polenprozesse vor L Jahren gegen Gut-
try und Dzialinski gefällten Contumatial-Er-
kenntnisse bleiben bestehen. Daß diese auch voll-
streckt werden würden, glaubön wir freilich kei-
ncnfalls besorgen zu müssen. Von entschieden
praktischer Bedeutung ist dagegen, daß Buch-
händlern, Zeitungsverlegern und Buchdruckern,
denen wegen Preßvergehen die Gewerbeconces-
sion entzogen worden ist, die Amnestie die Er-

laubniß zu ihrem Gewcrbebetriebc nicht zu-
rückgibt. Es handelt sich hier um Leute, die
durch den Vcrlust der Gewerbeconcession weit
HLrter betroffen sind, als durch alle übrigen
Strafen. Für diese beiden Kategorien (TodeS-
sttafe und Concessionsverlust) könnte leicht durch
eine königliche Deklaration nachgeholfen werden.
Aber auch oann ist den Männern noch nicht
geholfen, deren politische Vergehen mit militä-
rischen Vergehen in einem urjächlichen Zusam-
mcnhangc standen, z. B. Solchen, welche wegen
ihreS politischen Verhaltens verfolgt, inS Aus-
land flüchteten und denen dann dafür noch der
Desertionsprozeß gemachl worden ist. Ludwig
Simon und Schily, diese beidcn Patrioten aus
Trier, sind in solchem Falle. Als bürgerliche
Menschen sind sie amnestirt. nicht aber als
Landwehrofficiere. Achnlich ist cs mit Rüstow.
Möchte doch auch für die militärischen Vergehen,
die lediglich Folgcn der amnestirten politischen
und Preßvergchcn sind, endlich vollständigeS
Vergeben und Vergessen gewährt werven!

Am 1. October wird die Demobilisirung des
preuß. Heeres beendet sein.

Die „Osts. Z." bezeichnet die Ansicht, daß
der Kurfürst von Hessen 1000 Thaler für die
Armen von Stettin zurückgelassen habe, als falsch.

DaS „Dresd. Journ." crläutcrt die jüngstc
Meldung, daß die Verhandlungen bezüglich der
Militärconvention zu einem sehr günstigen Sta-
dium vorgerückt scien, heute dahin, daß über
Militärfragen seil einiger Zeit Verhandlungen
begonnen und zu vorläufiger VerabredurM ge-
führt haben, wodurch das Herantreteu an die
übrigen Fragen in AuSsicht gestellt worden sci.
Ueber den Jnhall bcsagter Verabredung habe
das Journal um so weniger ein Urtheil aus-
sprechen wollen, als d* Jnhalt hicr noch nicht
eiumal zuvcrlässig bekannt sei.

Die Subscription der neucn bairischen Prä-
mien-Anleihe ist in Folgc vollständiger Deckung
in München selbst schon nach zwei Stunden
geschloffen.

Die „Gränzboten" bringen einen sehr lesens-
wcrthen Aufsatz über das Kirchenvermögen in
Oesterreich. Der.Verfasser ist der Ansicht, daß
nur cine Vcrwandlung des Kirchenvermögens
in Staakseigenthum den österreichischcn Staat
aus seinen finanziellen Calamitäten rctten könne.
Den Werth des kirchlichen Grundeigenlhums in
Oesterreich gab der Clerus selbst im Zahre 1849
auf 366 Millionen Gulden an. An jährlichem
Einkommeu bezogen u. A.: der Erzbischof von
Gran 750—800,000 Gulden, der von Olmütz
300,800 fl., von Prag 71,680, von Linz 51,250,
daS Prager Capitel 80,600,, St. Florian 95,000,

* Stadt-Theater Ln Heidelberg.

Samstag, den 29. d. M , wird die biesige
Bühne mit der Oper „Romeo und Julie" von
Bellini eröffnet. Zur ersten Schauspiel-Vorstellung
sind Laube's „KarlSschüler" bestimmt. Trotz der
ungünftigen Zeitverhaltnisse ist eS Herrn Director
Widmann gelungen, neben den bereits bewährten
Mitgliedern tüchtige neue Kräfte zu gewinnen. Zur
Freude aller Theaterfrcunde wurde uns Fräulein
Pichon erhalten, wclche Gelegenheit hatte, im Laufe
des Sommers ihr schönes Talent untcr Leitung der
berühmten GesangSkünstlerin Frau Haase-Ca-
pitain noch weiter auszubilden. Sicher wird der
„Romeo" eine Glanzpartie von Fräulein Pichon
wcrden. Für das Fach der jugrndlichen GesangS-
partien und Soubrctten ist Fräulein le Pretre en-
gagirt, eine Schülerin der renommirten Gesangs-
lehrerin Frau Babnigg in Breslau. Fräulein le
Pretre ist im Bcsitz riner schönen Sopranstimme
mit briüanter Coloratur; unterstützt von einer ein-

Sympathicn Ves Publikums erwcrben. Von vem
Männerpersonal ist Hr. Pichon wieter gewonncn,

der sich bereits als trefflicher Basfist und Buffo be-
währtc. Auck mit den Tenoristen, welche sonst
immcr die größte Sckwierigkeit eines Opernunter-
nehmens bilden, hatte die Direction besonveres
Glück. Der erste lyrische Tenor, Herr Grisa, ist
ein junger Mann mit sehr schöner Stimme, dcr

guten Renommec's erfreut. Auch Hr. Hagcn, 'der
inzwischen die Kämpfe bei Aschaffenburg und an
der Tauber mitmachte, und den wir als fleißiges
und strebsames Mitglied schätzen lernten, ist wieder
engagirt. Der Bariton, Hr, Wegler, ist ein Schü-
ler des Münchencr Conservatoriums, mit reichen
Stimmmitteln. Dcrselbe wurde von Herrn Hof-
capellmeister Lackner in München besvnders empfoh-
len. Auch dcr Chor ist verhältnißmäßig recht gut
vertreten, und so zweifeln wtr nicht, daß dte dies-
jährige Oper unter Leitung deS tüchtigen Eapell-
meisters Kaufmann dcn billigen Anforderungen

Vom Schauspiel wurde uns in Hcrrn v. Stern-
waldt ein trefflicher Künftler erhalten, ebenso der

Steinccke, eine verständige Künstlerin, werden wir
wieder begrüßen, und Fräulein Widmann, deren
vielversprechendes Talent unter Leitung ihres Va-
ters weiter ausgebildet wurde. Für das Fach der
Hcldinnen und tragischen Liebhabcrinnen ist Fräul.
v. Milde engagirt, über deren Leistungcn uns die
gunstigsten Beurtheilungen vorliegen. Vaudeville-
Soubrette ist Fräulein Koppe, im vorigen Jahre
eineS der beliebtesten Mitglieder des Freiburger
Stadttheaters. Eine vorzügliche Acquisition hat
die Direction in Hcrrn Bergmann gemacht, der
für das Fach der ersten Helden und Liebhaber en-
gagirt ist, und als Schiller in den KarlSschülern
debütiren wird. Auch der jugendliche Liebhaber
Herr Steude und der Komiker Herr Ackermann,
so wie der Charakterspieler Herr Neuber sind der
Direction aufs Wärmste empfohlen. Wir hoffen,
vaß mit diesem Pcrsonal schon ein gelungenes En-
semblc ermöglicht wird, und wünschen nur, vaß
die Tdeilnahme des PublikumS auch in dicsem
Jahre dem Theater fich freundlich zuwenden mögr.
 
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