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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 25 - Nr. 33 (2. September - 30. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43805#0126
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nieder.

unwiderſtehlich klaug:

beginnen, lieber Herr *
ö „Wann Du es wollen wirſt, mein lieber Michael!“
will es, und werde mir recht Mühe geben,

„An die Arbeit dennl. Hier, dieſe Rechnungen ſind

durchzuſehen und in das Hauptbuch einzutragen.“
Erſchreckt ſah ihn Michael an, er ergriff die Feder,

doch ſie entſank ſeiner zitternden Hand; er ſenkte er-

ſchüttert das Haupt.
„Nun, was giebt's?“ fragte Normann ſtreng.
VJch bitte um Nachſicht, Herr! Es ſchwimmt mir
den Augen; meine Hand zittert.“
„Hm! Du kannſt alſo doch nicht immer den knech-

tiſchen Gehorſam üben, in den Du Dich gleichſam ver-
puppen und alle Deine Gefühle einſpinnen möchteſt!“

ſprach Normann höhniſch. Da fiel Michael vor ihm
„Ach Herr, Herr,
Ton!“ rief er flehend. ö
„Nun, weiter fehlte nichts! Steh auf! Ich bin

aus Erbarmen, nicht dieſen

es wirklich herzlich ſatt, für alle meine Bemühungen
um Dein Wohl nichts zu erlangen, als dieſe ſklaviſchen
Redensarten, für das Brod, das ich von Dir begehre,
einen Stein zu erhalten.“ —
— Er trat an das Fenſter und blickte mißmuthig auf
die enge, düſtere Straße hinunter. Leiſe nahte ſich ihm
Michael, faßte ſeine Hand und fragte in dem eigen-
thümlichen, ein wenig ſingenden, ſchmeichleriſchen Tone,
wie er den Ruſſen ſo eigen und der aus ſeinem Munde

denn das pſpchologiſche Werk

„Wann werden wir

„Ja, ich

damib Sie mir nicht mehr zürnen.“

„Ich zürne Dir nicht, wenn Du mich nicht erzürnſt

mit Deiner Knechtesdemuth. Sei ein Mann, dann

bin ich Dein Freund.“

Und Michailowitſch bemühte ſich wirklich eifrig um

das projektirte Werk; anfangs nur, um dem Willen

Normanns nachzukommen, bald aber empfand er ſelber

eein ſo lebhaftes Intereſſe dafür, daß die Arbeit ſeine
„Gedanken faſt gänzlich in Anſpruch nahm, und mit
Freuden ſah ſein Beſchützer, welch einen wohlthuenden
Einfluß dieſe Beſchäftigung auf den jungen Mann übte.
Er befreite denſelben von einem großen Theil ſeiner
—früheren Arbeiten und ließ ihn ſich den ganzen Vor-

mittag mit dem Niederſchreiben der Erzählungen der
Sträflinge beſchäftigen. Alle dieſe Fälle aber waren

beſtimmt, deutlich darzuthun, wie ſehr das weltliche

Geſetz nur nach dem äußeren Anſcheine urtheile, wie

»wenig es Rückſicht nehme auf Lagen und Verhältniſſe

und wie es, anſtalt beſſernd und aufbauend, meiſt nur
moraliſch tödtend und zerſtörend wirke. Der Züchtling,
nachdem er ſeine Strafe überſtanden, werde von Jeder-

mann geflohen, ſein früheres Geſchäft ſei zerſtört, Nie-
mand möge ihn in dem ſeinen aufnehmen, und dies
nicht ganz mit Unrecht, denn im Zuchthaus ſei er durch
den Umgang mit Verbrechern verwildert und für jedes

moraliſche Gefühl abgeſtumpft, ſo daß er durch Noth

und Rohheit bei erſter vorkommender Gelegenheit von

dem kleinen zu immer größeren Verbrechen übergehe. —

Zwar ward dieſe erſte literaxiſche Beſchäftigung Michgi-

122

da er gerade Ferien hat..

lowitſch durchaus nicht leicht, denn wenn er die deutſche
Sprache auch ziemlich geläufig redete, ſo koſtete es ihn

doch viele Mühe, ſich in derſelben einen flüſſigen und

angenehm darſtellenden Styl anzueignen. Ader auch
dies gelang ihm mit Normanns Hülfe ſehr bald und
nun zeichnete ſich ſein Styl durch eine Feinheit der
Manier, durch elegante Prägnanz, wie durch ſcharf
begrenzte und doch ſtets umfaſſende Ausdrucksweiſe aus.
Seine Darſtellungen waren lebendig, ſeine Anſichten
geiſtvoll. Bald hatte Curt die Freude, in Michael
einen fertigen und vielverheißenden Schriftſteller zu
erblicken, und hochbeglückt förderte er dieſes Talent
des Unglücklichen, der ſich unter der anregenden Be-
ſchäftigung und dem ihm bis dahin ganz unbekannten
Genuſſe geiſtig und körperlich erhob.“ ö
„So war Michael im Zuchthauſe bereits ein halbes
Jahr vergangen. Außer der Zeit im Schlafſaale er-

innerte ihn faſt nichts daran, daß er ein Sträfling ſei.

Freilich vergaß er ſelber dies nie und wenn ihm auch
keine Zeit blieb, dieſen Gedanken zu einer lebenzer-
ſtörenden Macht werden zu laſsſen, ſo hatte derſelbe
doch ſein ganzes Weſen ſo ſehr überſchattet, da er
gleich einer ſtehenden Sonnenfinſterniß als ein tief
melancholiſcher Ausdruck auf ſeinem ſchönen Antlitz lag.
Man befand ſich im Monat Auguſt, als Vater
Moller eines Tages bei Tiſche den Seinen erzählte:
„Mein Bruder Carl hat' geſchrieben. Helenens Ver-
lobung iſt zurückgegangen und ſie befindet ſich in Folge

deſſen in einem geiſtig ſehr beſorglichen Zuſtande. Er

wünſcht daher, daß Du, Antonie, hinüber kommiſt und
zu ihrer Erheiterung eine Zeit lang dort bleibſt.“
Röthe wechſelte mit Bläſſe auf Antoniens Wangen,
ſie vermochte kaum zu ſprechen, als ſie des Vaters
Auge ſtreng und ſcharf auf ſich gerichtet ſahh.
„Warum denn ich?“ ſtammelte ſie. „Hannchen
könnte der armen Helene viel nützlicher ſein als ich.“

„Wenn nun aber der Onkel gerade Dich verlangt?“

fragte der Vater mit einem Tone, der das junge Mäd-
chen noch mehr einſchüchterte. „Du gingſt ſonſt gern

zu den Verwandten, warum jetzt nicht? ? ö
„Nun, ich ſage ja nicht, daß ich es nicht gern thve.“
„Gleichviel, Du richteſt Dich ein, morgen um Uhr
Mittags von hier abzufahren. Guſtav, kann auch mit,

Der Knabe frute ſich ungemein, denn er hing ſehr
an ſeinen Vettern in der Reſidenz. Der Onkel Staats-

ſekretär hatte dicht bei der Stadt ein ſehr nettes Land-

gut, wo er ſich mit ſeiner-Familie im Sommer auf-

hielt, und ſo erwartete Guſtav die genußreichſten Tage.

Nach Tiſch, als Alle das Zimmer verlaſſen hatten,

warf ſich Antonie in eine Ecke des altmodiſchen Nuhe-

bettes und weinte heftig. Der Vater überraſchte ſie
hier, da er unerwartet zurückkehrte.
„Was iſt das?“ fragte er ſtreng. „Schickt es ſich

für ein junges Mädchen, müßig und auf dem Sopha
Zu ſitzen?“ * *

Noſch. ſich erhebend wollte ſie auf die Gallerie

gehen, um dem Vater ihre Thränen zu verbergen.
„Antonie Du weinſt? Und warum?“ fragte der
 
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