Nr. l.
Mittwoch, den 23. September 1868.
Erſcheint Mittwoch und Sam
—
Iu Zuchthauſe.
Erzählung aus der Wirklichkett von W. Wauer.
ö (Fortſezung.) *
Eines Tages aber, als ſie das Buch, aus wel-
chem ſie überſetzen ſollte, heftig zuſchlug und auf den
Tiſch warf, ſagte Michailowitſch leiſe und traurig:
„Sie ſollten großmüthiger gegen mich ſein, Anto-
nie, es iſt nicht edel von Ihnen, einen Menſchen zu
mißhandeln, der ſich nicht yertheidigen darf“..
Noch nie hatte er ſie Autonie genannt; dies und
ſein weicher, klagender Ton rührte ſie; eben wollte ſie
ihn um Vergebung bitten, als der Vater, der unbemerkt
Zeuge dieſer Scene geweſen, ihr zurief:
„Komm herunter, Antoniee!
„Antonie erſchrack, gehorchte aber ſofort. Mit einer
ganz unzweideutigen, drohenden Geberde kam der' Va-
men: ö — ö
„„Bitte, bitte! Ich thu' es niemals wieder!“ rief
ter auf ſie zu, ſie aber umſchlang ihn mit ihren Ar-
ſie. „Ich will ihn auch um Verzeihung bitten, Vater!
Gewiß, ich wollt' es eben thun, als Sie mich riefen.“
„„Es ſollte Dir nicht ſo hingehen,“ ſagte der Va-
ter ſehr ſtrenge. „Doch laß mich's nur noch einmal
hören!“ * *
„Nein, nein, Väterchen “ꝰ 8
Jetzt geh' hinauf und bitt' ihn um Vergebung.“
Sie ging hinaufff. —
„Lieber Michailowitſch,“ ſagte ſie bittend, „nicht
nur weil der Vater mich ſtrafen würde, ſondern aus
wirklicher Reue bitt' ich Sie, mir zu verzeihen; ich
verſpreche Ihnen, nie mehr ſo heftig zu ſein.“
„Das wird mich um Ihret willen freuen, liebes
Fräulein,“ entgegnete Michael ſanft. „Heftigkeit iſt
unweiblich und Unweiblichkeit ſo häßlich an einer Frau.“
„Ich werde gewiß nie wieder unweiblich ſein,“
rief ſie in Thränen ausbrechend, und von dieſem Tage
an war Antonie ſan
ſtunden. ö
War nun auch durch Norrmann das Schickſal des
Gefangenen unendlich gemildert und trug er, was zu
tragen blieb, mit Geduld und unerſchütterlicher Sanſt-
muth, ſo nagte doch der Gram der glühenden Liebe
zu Roſalinen und der Schmerz um ſein zerſtörtes Le-
fter und folgſamer in den Lehr-
ben an ſeinem Herzen. Sie raubten ihm die Ruhe
der Nächte, die letzte Spur von Farbe auf ſeinen Wan-
gen und untergruben die Geſundheit ſeines ohnehin
ſtete geiſtige Beſchäftigung am Tage, durch anregende
bewirkten die Zerſtörung von Michael's Geſundheit.
„Wenn Du Abends in den Schlafſaal kommſt, lie-
gen da ſchon Alle im Schlaf oder wachen ſie noch?“
fragte Norrmann eines Tages. 7
Michael ſah ihn mit ſeinen größen blauen Augen
bittend und fragend aann.
„Antworte mir nur der Wahrheit gemäß, es ſoll
Niemand zum Nachtheil gereichen.“ 7 7
„„Nein, Herr, ſie ſchlafen nicht,“ entgegnete Mi-
ihre Abenteuer aus vergangenen Tagen.““
Norrmaunnununuun.
ch weiß es nicht, lieber Herr.“
daß Du' nichts davon hörſt?“
Einſchlafen? Ach nein, ſog
entgegnete Michael ſeufzend. Aber ich ziehe mir die
Decke über den Kopf und überlaſſe mich meinen Ge-
danken, bis es ſtill wird im Saale..
„Das ſollſt Du nicht, Michael,“ ſagte der Ober-
inſpektor, „ich ſehe die Folgen dieſer Gedanken in Dei-
dahin bringen, Dir einer nach dem andern die Veran-
laſſung zu erzählen, welche ihn hierher brachte. Dann
logiſcher Seite aufzufaſſen und darzuſtellen, ſo daß Du
nicht! Ich denke, wir wollen ein Werk herausgeben,
bringen ſoll. Willſt Du das?“T
V Ich habe nichts zu wollen, Herr,“ erwiederte
Michailowitſch ſich verneigend.
Curt ſetzte ſeine Taſſe ziemlich unſanft auf den
Tiſch, trat an das Pult, wo Jener ſchon, ſeiner An-
Tone:
—nicht ſeyr kräftigen Körpers. Der Oberinſpektor ſah
dies ſehr wohl, obgleich Michgel, ſeit er dieſes Häus
betreten, noch nie Noſalinens Namen genanat- hatte,
auch nie von ſeiner zerſtörten Zukunft ſprach. Durch
Unterhaltung am Abend ſuchte er ihn⸗fern zu halten
von troſtloſen Grübeleien, aber die Stunden der Nacht
chailowitſch, „ſie erzählen ſich noch lauige gegenſeitig —
nem bleichen Antlitz, in Deiner verfallenen Geſtalt.
Du haſt kein Recht, Dich um Geſundheit und Leben zu
bringen. Du wirſt daher, wenn Du mich liebſt, an
dieſen Geſprächen Theil nehmen, wirſt die Männer-
ordne in Deinem Kopfe die Sache, wie ſie von pſycho-
mir am andern Morgen Beſcheid darüber geben kannſt.
Ueberraſcht Dich aber der Schlaf dabei, ſo wehre ihm
das einé Reihe ſolcher pſychologiſch erörterter Fälle
I. Jahrg.
ſtag. Preis monatlich Ae kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Untereſtr. 9
und ber den Trägern „Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
„Und dieſe ſind wohl nic t uniutereſſaut?“ fragte
„„Du weißt es nicht? Schlaſſt Du ſo ſchnell ein,
ſo gut wird es mir nicht!“
ordnungen harrend, ſtand, nind ſagte mit kurzem, rauhem.
Mittwoch, den 23. September 1868.
Erſcheint Mittwoch und Sam
—
Iu Zuchthauſe.
Erzählung aus der Wirklichkett von W. Wauer.
ö (Fortſezung.) *
Eines Tages aber, als ſie das Buch, aus wel-
chem ſie überſetzen ſollte, heftig zuſchlug und auf den
Tiſch warf, ſagte Michailowitſch leiſe und traurig:
„Sie ſollten großmüthiger gegen mich ſein, Anto-
nie, es iſt nicht edel von Ihnen, einen Menſchen zu
mißhandeln, der ſich nicht yertheidigen darf“..
Noch nie hatte er ſie Autonie genannt; dies und
ſein weicher, klagender Ton rührte ſie; eben wollte ſie
ihn um Vergebung bitten, als der Vater, der unbemerkt
Zeuge dieſer Scene geweſen, ihr zurief:
„Komm herunter, Antoniee!
„Antonie erſchrack, gehorchte aber ſofort. Mit einer
ganz unzweideutigen, drohenden Geberde kam der' Va-
men: ö — ö
„„Bitte, bitte! Ich thu' es niemals wieder!“ rief
ter auf ſie zu, ſie aber umſchlang ihn mit ihren Ar-
ſie. „Ich will ihn auch um Verzeihung bitten, Vater!
Gewiß, ich wollt' es eben thun, als Sie mich riefen.“
„„Es ſollte Dir nicht ſo hingehen,“ ſagte der Va-
ter ſehr ſtrenge. „Doch laß mich's nur noch einmal
hören!“ * *
„Nein, nein, Väterchen “ꝰ 8
Jetzt geh' hinauf und bitt' ihn um Vergebung.“
Sie ging hinaufff. —
„Lieber Michailowitſch,“ ſagte ſie bittend, „nicht
nur weil der Vater mich ſtrafen würde, ſondern aus
wirklicher Reue bitt' ich Sie, mir zu verzeihen; ich
verſpreche Ihnen, nie mehr ſo heftig zu ſein.“
„Das wird mich um Ihret willen freuen, liebes
Fräulein,“ entgegnete Michael ſanft. „Heftigkeit iſt
unweiblich und Unweiblichkeit ſo häßlich an einer Frau.“
„Ich werde gewiß nie wieder unweiblich ſein,“
rief ſie in Thränen ausbrechend, und von dieſem Tage
an war Antonie ſan
ſtunden. ö
War nun auch durch Norrmann das Schickſal des
Gefangenen unendlich gemildert und trug er, was zu
tragen blieb, mit Geduld und unerſchütterlicher Sanſt-
muth, ſo nagte doch der Gram der glühenden Liebe
zu Roſalinen und der Schmerz um ſein zerſtörtes Le-
fter und folgſamer in den Lehr-
ben an ſeinem Herzen. Sie raubten ihm die Ruhe
der Nächte, die letzte Spur von Farbe auf ſeinen Wan-
gen und untergruben die Geſundheit ſeines ohnehin
ſtete geiſtige Beſchäftigung am Tage, durch anregende
bewirkten die Zerſtörung von Michael's Geſundheit.
„Wenn Du Abends in den Schlafſaal kommſt, lie-
gen da ſchon Alle im Schlaf oder wachen ſie noch?“
fragte Norrmann eines Tages. 7
Michael ſah ihn mit ſeinen größen blauen Augen
bittend und fragend aann.
„Antworte mir nur der Wahrheit gemäß, es ſoll
Niemand zum Nachtheil gereichen.“ 7 7
„„Nein, Herr, ſie ſchlafen nicht,“ entgegnete Mi-
ihre Abenteuer aus vergangenen Tagen.““
Norrmaunnununuun.
ch weiß es nicht, lieber Herr.“
daß Du' nichts davon hörſt?“
Einſchlafen? Ach nein, ſog
entgegnete Michael ſeufzend. Aber ich ziehe mir die
Decke über den Kopf und überlaſſe mich meinen Ge-
danken, bis es ſtill wird im Saale..
„Das ſollſt Du nicht, Michael,“ ſagte der Ober-
inſpektor, „ich ſehe die Folgen dieſer Gedanken in Dei-
dahin bringen, Dir einer nach dem andern die Veran-
laſſung zu erzählen, welche ihn hierher brachte. Dann
logiſcher Seite aufzufaſſen und darzuſtellen, ſo daß Du
nicht! Ich denke, wir wollen ein Werk herausgeben,
bringen ſoll. Willſt Du das?“T
V Ich habe nichts zu wollen, Herr,“ erwiederte
Michailowitſch ſich verneigend.
Curt ſetzte ſeine Taſſe ziemlich unſanft auf den
Tiſch, trat an das Pult, wo Jener ſchon, ſeiner An-
Tone:
—nicht ſeyr kräftigen Körpers. Der Oberinſpektor ſah
dies ſehr wohl, obgleich Michgel, ſeit er dieſes Häus
betreten, noch nie Noſalinens Namen genanat- hatte,
auch nie von ſeiner zerſtörten Zukunft ſprach. Durch
Unterhaltung am Abend ſuchte er ihn⸗fern zu halten
von troſtloſen Grübeleien, aber die Stunden der Nacht
chailowitſch, „ſie erzählen ſich noch lauige gegenſeitig —
nem bleichen Antlitz, in Deiner verfallenen Geſtalt.
Du haſt kein Recht, Dich um Geſundheit und Leben zu
bringen. Du wirſt daher, wenn Du mich liebſt, an
dieſen Geſprächen Theil nehmen, wirſt die Männer-
ordne in Deinem Kopfe die Sache, wie ſie von pſycho-
mir am andern Morgen Beſcheid darüber geben kannſt.
Ueberraſcht Dich aber der Schlaf dabei, ſo wehre ihm
das einé Reihe ſolcher pſychologiſch erörterter Fälle
I. Jahrg.
ſtag. Preis monatlich Ae kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Untereſtr. 9
und ber den Trägern „Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
„Und dieſe ſind wohl nic t uniutereſſaut?“ fragte
„„Du weißt es nicht? Schlaſſt Du ſo ſchnell ein,
ſo gut wird es mir nicht!“
ordnungen harrend, ſtand, nind ſagte mit kurzem, rauhem.