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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 16 - Nr. 24 (1. August - 29. August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43805#0065

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eidelber Er

Vollsblat.

Samſtag, den 1. Anguſt 1868.

1. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 1² kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonniri in der Druckerei, Untereſtr. 9
und ber den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Seltene Fügungen.
Von M. Roſen.

Es iſt ungefähr fünfzehn Jahre her, ſeitdem ſich

Herr Berg in der Gegend angekauft hatte. Er war
in ziemlich vorgerückten Jahren plötzlich in einer be-
deutenden Stadt des ſüdlichen Deutſchlands erſchienen

und hatte ſich mit den gewöhnlichen Unterhändtern in
Verbindung geſert, um eine bedeutende Beſitzung im

Lande zu raufen, und da er mehr auf eine von der

Welt abgeſchiedene Laze in romantiſcher Umgebung,

als auf ein großes Erträgniß aus der zu dem Ankauf
aufgewendeten Summe ſein Augenmerk richtete, ſo
ward ein Abſchluß bald zu Stande gebracht. In einer
reizenden Gebirgsgegend, von hohen Felſen und dich-
ten Wäldern eingeſchloſſen, fand'ſich ein ſchönes Schloß,

deſſen ſich eine durch mancherlei Unfälle verarmte Fa-
milie entledigen wollte, und dieſes ward des Herrn

v. Berg Eigenthum.
Der Name Berg war nie vorher im Lande gehört

worden, ud da der Träger dieſes Namens keine Ver-
bindung ſuchte und fern von allen geſellſchaftlichen

Beziehungen blieb, ſo gab man ſich auch keine Mühe,
ſeiner Herkunft und Abſtammung nachzuſpüren. In
ſeiner gänzlichen Abgeſchiedenheit wurde der fremde
Ankömmling von keinem Nachbar beläſtigt; nur im
„Herbſt, zu der Zeit, wenn die großen Jagden began-

nen, ſtreiften Reiter und Hunde in der Nähe ſeines
Parks vorüber und ein junger Mann auf zierlichem

Roß pflegte freundlich zu grüßen, wenn er an dem

Gitterthor vorüberſprengte und den ſchweigſamen Guts-
herrn unter den Bäumen nachdenkend ſitzen ſah, bis es

ihm auffiel, daß ſein Gruß nicht erwiedert wurde.
Dies geſchah jedoch nicht aus Unhöflichkeit oder weil
Herr v. Berg ein ſolcher Menſchenfeind geweſen wäre,
der einen Unbekannten ſeines Grußes nicht würdig ge-
halten hätte, — ſondern weil der arme Mann des
Augenlichts beraubt war und folglich von der ihm ge-
ſpendeten Höflichkeit keine Ahnung hatte. ö
Im Dorfe dei den Bauern und Wirthsbeamten
hieß es gleich anfänglich, daß der gnädige Herr, von
deſſen Reichthum man ſich fabelhafte Vorſtellungen
machte, früher in Militärdienſt geſtanden und ſelbſt in
fremden Ländern die Waffen getragen habe. In der
That gab die Haltung des Mannes, die hohe und un-
ö Aühn.. eine neue Veranlaſſung zu ſolcher An-
nahme. —————

Sämmtliche Dienerſchaft, die jedoch nicht um des

Luxus willen, ſondern weil ſie das weitläufige Haus-

ſweſen nöthig machte, angenommen war, beſtand aus

Einheimiſchen; nur den alten Kammerdiener Simon
hatte Herr v. Berg mitgebracht und dieſer ein einſil-
biger grober Kamerad, welcher der Herrſchaft vollſtes
Vertrauen zu beſitzen ſchien, gab ebenfalls durch ſteife,
ordonanzmäßige Haltung und einen dicken, grauen
Schnurbart deutlich den Soldaten zu erkennen. Außer
ihm bildete eine Frau von etwa vierzig Jahren, ein

Mädchen von ſiebzehn und ein junger Menſch von

zwanzig die Umgebung und einzige Geſellſchaft des
blinden Herrn. Das Mädchen war ſeine Tochter Cä-

cilie, der junge Menſch, der ſich zum Landwirth bil-

dete, ſein Neſſe Georg, und die Frau war Madame
Müller, die Erzieherin und mütterliche Freundin Cä-
eiliens. ö
Im Innern dieſer ſtillen Familie war ſeit Jahren
keine Veränderung eingetreten. Cäcilie war der En-
gel, der alle⸗beglückte; ihre Lebhaftigkeit, ihr heiterer

Sinn, die Entwickelung ihres Geiſtes, die Schönheit

ihres Körpers, das alles übte einen unnennbaren Zau-
bex, und wenn ihr Muthwille: manchmal eine Wider-
ſetzlichkeit gegen die ſtrengen Anſichten der Madame
Müller hervorrief, ſo wurde ſie von dieſer ſelbſt in
Schutz genommen, ſo oft es ſich der Vater einfallen
ließ, ſie deßwegen zu Rede zu ſtellen. Das Verhält-
miß zwiſchen ihrer Erzieherin und Cäcilie war das
einer Mutter zur Tochter; ſie würde ſie nicht inniger
geliebt, nicht ſorgfältiger behütet, nicht aufmerkſamer
gebildet haben, wenn es ihr Kind geweſen wäre. Herr-
v. Berg warf ihr manchmal zu große Nachſicht vor.
„Wenn Cäcilie einſt ihren Beruf erfüllen und an der
Seite ihres Gatten in die Welt treten ſoll, ſo wird
ihr jede rauhe Begegnung nur noch weher thun, und
der Mann, der durch ſie glücklich werden ſoll, wird
durch den kleinen Eigenſinn manches zu dulden haben.
Madame Müller ſprach dann davon, daß hier die vor-
ſichtige Wahl des Gatten abhelfen könne, und daß ein
Naturell wie das des Mädchens nicht für die große
Welt tauge und für das ſtille Glück des Haufes erzo-

gen werden müſſe. Wenn Madame Müller ſo ſprach,

wurde ihr bleiches Geſicht ſchuell geröthet und eine
Thräue zeigte ſich in ihrem großen Auge, was freilich

Herr v. Berg nicht wahrzunehmen im Stande war.

Eigentlich hatte Madame Müller recht. Die Wahl des
künftigen Gatten konnte als entſchieden betrachtet wer-
den. Der ernſte und kräftige Georg, der einzige und
nächſte Verwandte des alten Herrn, der Sohn ſeiner

verſtorbenen Schweſter, den er als elternloſe Waiſe zu
 
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