Samſtag, den 28. November 1868.
1. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 10 kr. Einzelnt Nummer à 2 kr. Man abonmirt in der Druckerei, Untereſtr. 9
Die Rache des Bettlers.
Vrzählung aus dem Bauernkriege von Karl Seifart.
((Foriſetzung.). *
Er verſtand ſich ſelbſt nicht, wie er dazu gekommen
war, zur Rettung des Verhaßten beizutragen: — „ja,
hätte ihn der Alte nicht mit ſeinem Leibe gedeckt,“
knirſchte Heinz oft in ſich hinein, „er hätte müſſen auf
der Stelle kalt werden, der hochmühitgſte der Lotterbu-
ben, der mich mit Spott und Hohn, mit Schlägen und
Fußtritten von ſeiner Schwelle trieb, als ich jüngſt
dort um eine Gabe auſprach. Hah! nun wird der edle
Herr gar der Herr Schwager des hundsblütigen Bettel-
buben, den er von der Schwelle ſtieß. Huh! wie leg ich's
nur aus, mein Kopf zerſpringt! —“ — ö
Wie vorhin bemerkt, hatte Heinz dieſe Tage hin-
durch nicht immer Zeit, um an ſich und ſeine Angele-
genheiten zu denken, denn mit jedem neuen Tage des
Maimonats ſchoß die durch ihn und andere ſeit langer.
Zeit auch auf dem Eichsfeld ausgeſtreute Blutſaat dro-
hender und drohender auf und ſeßte blutige Früchte an.
Adel und Geiſtlichkeit, welche ſchon lange darauf ver-
zichtet hatten, Zwangsmaßregeln gegen ihre Hörigen
—anzuwenden, zitterten, fühlten ſich machtlos und ſahen
ſich bange nach der Hülfe mächtiger Fürſten um. Lagen
doch bereits im Thüringiſchen, Stollbergſchen und Hal-
berſtädtiſchen an dreihundert Klöſter und Schlöſſer in
rauchenden Trümmern, und die ſonſt ſo ſtolze Bürger-
ſchaft der ſo nahe gelegenen, großen feſten Reichsſtadt
Mühlhauſen folgte blindlings dem unverſöhnlichen Bau-
ernführer Thomas Münzer, der ſchon ein offenkundiges
Schreiben an die Brüder des Eichsſeldes erlaſſen hatte,
worin er offenbarte, daß der Geiſt Gottes es ihm im
Traume befohlen, auch dort die Güter „Baals und
Nimrods abzuthun.“ Der „Prophet und Erlöſer der
armen Leute,“ von Pfeifer und anderen thätigen Send-
Lingen wohl unterrichtet, konnte bereits ſicher darauf
rechnen, daß er nicht allein auf dem in voller Gährung
begriffenen Lande, ſondern auch in den Städten Heili-
genſtadt und Duderſtadt mit offenen Armen empfangen
werden würde. epfat
„Dieſe Stimmung auf dem CLichsfelde hervorzurufen
und zu nähren, dazn hatte der gewandte, thatkräftige
Iunnd verſchlagene Heinz'ſchon ſeit dem Spätherbſt, von
ſeinem wüthenden Adelshaß getrieben, nicht wenig bei-
getragen. Weit und breit war kein Schloß, kein Kloſter, ů ö
htſtehenden gauneriſchen Mittel der Verſtellungskunſt und
jede Stärke und Schwäche der Beſatzung und Befeſti-
in welchem der Heinz nicht jeden Schlupfwinkel, nicht
und bei den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
gung erkundſchaftet hätte. Als ein verſtümmelter, be-
jammernswerther Bettler, der drein ſchaüte, als ob er
kein Wäſſerlein trüben könnte, hatte er ſich in alle
Klöſter und Burgen einzuſchleichen gewußt, mit der
Dienerſchaft, die arglos in ihm nur einen harmloſen,
mitleidswürdigen Bettler ſah, Bekanntſchaft gemacht und
ſie über die Gefinnung, die Verhältniſſe und das Ver-
mögen ihrer geiſtlichen oder weltlichen Herrn bis ins
Kleinſte auszufragen gewußt. ö
Eine andere Thätigkeit hatte er unter den gerin-
gern Bürgern, Bauern und unter dem durch die ewi-
gen Fehden zahllos gewordenen Haufen der Bettler
Aund Vaganten entwickelt. Hier ſchürte er eifrig das
ſschon glimmende Feuer des Aufruhrs durch die Erzäh-
lung der Härten und Grauſamkeiten, die der Adel
gegen Hörige und andere arme Leute ausgeübt, wußte
ſpäter, von Bettelſtudenten und anderen fahreuden Leu-
ten ſtets wohl oder übel unterrichtet, den unzufriedenen,
hochaufhorchenden Bauern von den Erfolgen „ihrer
Brüder“ in Franken und Schwaben zu erzählen, und
rief, wo er ſich unter ganz Gleichgeſinnten wußte, mit
glänzender Beredſamkeit zum offenen Aufruhr und zur
blutigen Vergeltung gegen die Baalspfaffen und Nim-
rode auf, die der Teufel beſeſſen halte, um den ar-
men Mann zu plagen und iha zu unchriſtlicher Ver-
zweiflung zu treiben. ö
Mit den Führern der Aufſtändiſchen in Thüringen
hatte Heinz in letzter Zeit in ſteter Verbindung geſtan-
den, war ſelbſt zu verſchiedenen Malen in Mühlhauſen
geweſen und vom Thomas Münzer, der längſt ein
überaus geſchicktes Werkzeng in ihm kannte, in offener
Volksverſammlung mit dem Bruderkuß und einem Ring
beehrt. Alles das hatte ihm eine hervorragende Stel-
lung in dem Bettelorden und nunter anderen armen
Leuten gegeben, zumal da ſein Jähzorn, ſeine vor kei-
ner Gefahr zurückbebende Kühnheit und ſelbſt ſeine trotz
der Verſtümmelung des einen Armes noch immer un-
gewöhnliche Körperſtärke, ihn gefürchtet machte. Auch
lobenswerthe Eigenſchaften, die der Heinz hatte, tru-
gen nicht wenig dazu bei, ſeinen Einfluß zu erhöhen;
er war, abgeſehen von ſeiner wilden Partheileiden-
ſchaft, die ſein Rechtsgefühl dem Adel gegenüber oft
verdunkelte, im hohen Grade gerechtigkeitsliebend und
haßte jede niedrige Gaunerei, wie ſie von dem Feuer-
fink und ähnlichem Gelichter zu Raub, Diebſtahl und
Betrug angewendet wurde; die ihm reich zu Gebote
Liſt beutete er einzig und allein immer nur zu dem
1. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 10 kr. Einzelnt Nummer à 2 kr. Man abonmirt in der Druckerei, Untereſtr. 9
Die Rache des Bettlers.
Vrzählung aus dem Bauernkriege von Karl Seifart.
((Foriſetzung.). *
Er verſtand ſich ſelbſt nicht, wie er dazu gekommen
war, zur Rettung des Verhaßten beizutragen: — „ja,
hätte ihn der Alte nicht mit ſeinem Leibe gedeckt,“
knirſchte Heinz oft in ſich hinein, „er hätte müſſen auf
der Stelle kalt werden, der hochmühitgſte der Lotterbu-
ben, der mich mit Spott und Hohn, mit Schlägen und
Fußtritten von ſeiner Schwelle trieb, als ich jüngſt
dort um eine Gabe auſprach. Hah! nun wird der edle
Herr gar der Herr Schwager des hundsblütigen Bettel-
buben, den er von der Schwelle ſtieß. Huh! wie leg ich's
nur aus, mein Kopf zerſpringt! —“ — ö
Wie vorhin bemerkt, hatte Heinz dieſe Tage hin-
durch nicht immer Zeit, um an ſich und ſeine Angele-
genheiten zu denken, denn mit jedem neuen Tage des
Maimonats ſchoß die durch ihn und andere ſeit langer.
Zeit auch auf dem Eichsfeld ausgeſtreute Blutſaat dro-
hender und drohender auf und ſeßte blutige Früchte an.
Adel und Geiſtlichkeit, welche ſchon lange darauf ver-
zichtet hatten, Zwangsmaßregeln gegen ihre Hörigen
—anzuwenden, zitterten, fühlten ſich machtlos und ſahen
ſich bange nach der Hülfe mächtiger Fürſten um. Lagen
doch bereits im Thüringiſchen, Stollbergſchen und Hal-
berſtädtiſchen an dreihundert Klöſter und Schlöſſer in
rauchenden Trümmern, und die ſonſt ſo ſtolze Bürger-
ſchaft der ſo nahe gelegenen, großen feſten Reichsſtadt
Mühlhauſen folgte blindlings dem unverſöhnlichen Bau-
ernführer Thomas Münzer, der ſchon ein offenkundiges
Schreiben an die Brüder des Eichsſeldes erlaſſen hatte,
worin er offenbarte, daß der Geiſt Gottes es ihm im
Traume befohlen, auch dort die Güter „Baals und
Nimrods abzuthun.“ Der „Prophet und Erlöſer der
armen Leute,“ von Pfeifer und anderen thätigen Send-
Lingen wohl unterrichtet, konnte bereits ſicher darauf
rechnen, daß er nicht allein auf dem in voller Gährung
begriffenen Lande, ſondern auch in den Städten Heili-
genſtadt und Duderſtadt mit offenen Armen empfangen
werden würde. epfat
„Dieſe Stimmung auf dem CLichsfelde hervorzurufen
und zu nähren, dazn hatte der gewandte, thatkräftige
Iunnd verſchlagene Heinz'ſchon ſeit dem Spätherbſt, von
ſeinem wüthenden Adelshaß getrieben, nicht wenig bei-
getragen. Weit und breit war kein Schloß, kein Kloſter, ů ö
htſtehenden gauneriſchen Mittel der Verſtellungskunſt und
jede Stärke und Schwäche der Beſatzung und Befeſti-
in welchem der Heinz nicht jeden Schlupfwinkel, nicht
und bei den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
gung erkundſchaftet hätte. Als ein verſtümmelter, be-
jammernswerther Bettler, der drein ſchaüte, als ob er
kein Wäſſerlein trüben könnte, hatte er ſich in alle
Klöſter und Burgen einzuſchleichen gewußt, mit der
Dienerſchaft, die arglos in ihm nur einen harmloſen,
mitleidswürdigen Bettler ſah, Bekanntſchaft gemacht und
ſie über die Gefinnung, die Verhältniſſe und das Ver-
mögen ihrer geiſtlichen oder weltlichen Herrn bis ins
Kleinſte auszufragen gewußt. ö
Eine andere Thätigkeit hatte er unter den gerin-
gern Bürgern, Bauern und unter dem durch die ewi-
gen Fehden zahllos gewordenen Haufen der Bettler
Aund Vaganten entwickelt. Hier ſchürte er eifrig das
ſschon glimmende Feuer des Aufruhrs durch die Erzäh-
lung der Härten und Grauſamkeiten, die der Adel
gegen Hörige und andere arme Leute ausgeübt, wußte
ſpäter, von Bettelſtudenten und anderen fahreuden Leu-
ten ſtets wohl oder übel unterrichtet, den unzufriedenen,
hochaufhorchenden Bauern von den Erfolgen „ihrer
Brüder“ in Franken und Schwaben zu erzählen, und
rief, wo er ſich unter ganz Gleichgeſinnten wußte, mit
glänzender Beredſamkeit zum offenen Aufruhr und zur
blutigen Vergeltung gegen die Baalspfaffen und Nim-
rode auf, die der Teufel beſeſſen halte, um den ar-
men Mann zu plagen und iha zu unchriſtlicher Ver-
zweiflung zu treiben. ö
Mit den Führern der Aufſtändiſchen in Thüringen
hatte Heinz in letzter Zeit in ſteter Verbindung geſtan-
den, war ſelbſt zu verſchiedenen Malen in Mühlhauſen
geweſen und vom Thomas Münzer, der längſt ein
überaus geſchicktes Werkzeng in ihm kannte, in offener
Volksverſammlung mit dem Bruderkuß und einem Ring
beehrt. Alles das hatte ihm eine hervorragende Stel-
lung in dem Bettelorden und nunter anderen armen
Leuten gegeben, zumal da ſein Jähzorn, ſeine vor kei-
ner Gefahr zurückbebende Kühnheit und ſelbſt ſeine trotz
der Verſtümmelung des einen Armes noch immer un-
gewöhnliche Körperſtärke, ihn gefürchtet machte. Auch
lobenswerthe Eigenſchaften, die der Heinz hatte, tru-
gen nicht wenig dazu bei, ſeinen Einfluß zu erhöhen;
er war, abgeſehen von ſeiner wilden Partheileiden-
ſchaft, die ſein Rechtsgefühl dem Adel gegenüber oft
verdunkelte, im hohen Grade gerechtigkeitsliebend und
haßte jede niedrige Gaunerei, wie ſie von dem Feuer-
fink und ähnlichem Gelichter zu Raub, Diebſtahl und
Betrug angewendet wurde; die ihm reich zu Gebote
Liſt beutete er einzig und allein immer nur zu dem