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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 43 - Nr. 50 (4. November - 28. November)
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Samſtag, den 7. Nodember 1868.

I. Jahrg.

Geſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich X kr. nl
2

und bei den Trägern Nawärts

Im Zuchtdauſe.
Eählung aus der Wirklichkett von W. Wauer.
Cortſezung.) ö +

Da waren keine vergitterten Fenſter, denn die Sicher-

heit und Feſtigkeit, weiche das Schloß von autzen um-

gab, machte dies unnitz, hohe, helle freundliche Arbeits-
und Schlafſäle, überwölbte Gänge für die Spaziergänge

der Erholungsſtunden iu Winter, ein Biblothekzimmer,

in welchem eine groze Sammlung auserleſener unterhal-

tender Schriften aufgeſtellt var, die den Beſangenen zur
Benutzung in den Mazeſtunden, ſowie an Sonn⸗ und

Feiertagen zu erlaubter Verfügung ſtanden. Da war

eine Schule, da varen Werkſtätten der Kunſt und des
Gewerbes, in welchen tüchtige Meiſter den Straflingen
dasß nach eigener Neigung Erwählte lehrten. Eine
ſchön ansgeſtattete Kirche lud die Befangenen am Sonn-
tag zur Andacht ein, welche der Direckor und die Sei-

nen mit ihnen theilten. So gut der Hausvater und

all' die Vorgeſetzten auch bei den Sträflingen ange-

ſchrieben ſtanden, war doch Rorrmann von dieſen um

ſoviel mehr geliebt, daß ſein jedesmaliges Erſcheinen
erwärmend und erfreuend wie der Strahl der Vonne
auf ſie wirkte. Wie wir dies ſchon an Kendelbacher
geſehen, zeigte es ſich auch hier, daß ſelbſt die Roheſten,
die Wildeſten ſich ſcheu, aber voll Liede zu ſeinen Füßen
ſchmiegten, vor einem finſteren Blick zitterten ni für
einen freundlichen durch Feuer und Waſſer gingen. Mit
Schmerzen ſchieden die Gefangenen ſtets aus der An-
ſtalt, obwohl der Director auch dafür zeſorgt hatte,
daß ſie nicht hilflos aus derſelben entlaſſen und wieder
auf'e Neue in Elend und Verbrechen hinein geſtoßen
werden. Er hatte ſich mit den Handwerkern in der
Stadt, wie mit den Landwirthen in der Umgegend in

Verbindung geſetzt, damit die entlaſſenen Straäßtinge ſo:
ſort in der Nähe Beſchäftigung fanden, und hier war

die ſo ſehr verbreitete Furcht vor der Anfnahme ſolcher

Beſtraften gänzlich verſchwunden. Im Gegentheile wur-
den ſie von Jedem gern in Arbeit genommen, denn

die aus dieſer Anſtalt Entlaſſenen waren ordentliche,
pünkiliche und fleißige Leute. — Die Rechultate dieſes
Inſtitutes waren die ausgezeichnetſten: es biidete einen

großen Theil ganz roher Menſchen zu nützlichen Glie-

dern der Geſellſchaft aus und entließ dieſelben wirklich
gebeſſert. Der König war ſehr erfreut hierüher. Norr-

mann erhielt außerordentliche Belobungen und ſtand

hoch in Gunſt und Gnaden. Aljährlich mute er nach

der Reſidenz kommen, Bericht abzuſtatten und ein be-

men, den ö
der Gefangenen auf eine nutzliche und doch unterhat-

eingeführt werden.
ſeinen Abſchied. Noch unter der Regierung des alten

Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckeret, Untereſt. 9

ven Landpoten und Poſtanſtalden.

———

deutendes Geſchenk fär die Anſtalt in Empfang zu neh-
Norrmann dazu verwandte, die Mußeſtunden
tende Art an zufüllen. Sie wurden nicht um 7 Uhr
in die Schlafſäle geſperrt, ſondern konnten im Sommer

auf den großen Höfen ſich mit Leſen, Schreien oder
irgend einem Vergnügen, einer Arbeit seſchäftigen.

Auch erhielten e auf ihren Wunſch innerhatb dieſer
Höfe kleine Brete, welche ſie ſich bearderken und b.
pflamen durftren. Mit den ſo gewonnenen Bhanenz
war es ihnen erlaubt die Fenſter ihrer Ardeitsſäle 1
ſchmücken oder Le zu verkaufen und das zridſie Geid
entweder zu ſparen oder für Etwas, das ſie gauz be-
ſonders wünſchten, zu verwenden. Der Wſaß

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4⁴

ihnen dabei keine Muhe, denn Michgel kanfte fie ihnen
immer, ſovie auch ihre kleinen Feierabendarbetten jür

gutes Geld ab und verſchenkte ſie wieder.
So laſſen wir unſere Freunde fortwirken, liet
und leben durch zehn Jahre und kommen dann
einmal, um vor unſerem Scheiden von ihnen u ſehen,
erleb fie erſtrebt, errungen, was ſie ſich erkebt und
erlebt. — . —
Wir finden ſie an demſelben Orte, in demſelben
Hauſe wieder, aber das Haus iſt jetzt kein Zuchtbans

mehr, ſondern Norrmann's Privateigenthum, das mit

einem großen Beſitz von Ländereien, Forſten, Seen unrd
Teichen, ſowie mit einer ſehr bedeutenden Landwirth-
ſchaft eines der größeſten Güter jener Gegend bildetr.
Wie es kam, daß Norrmann aus ſeiner früheren Thä-

tigkeit geſchieden, und wie er, der ſonſt wenig Verneö-

gen beſaß, einen ſo umfaſſenden Ländereibeſitz an ß
dringen kennte, dies lag in Folgendem. Der alte Röꝛ
war geſtorben. Der Sohn hatte andere Raſichten A
der Vater und ſtimmte der Milde nicht bei, weiche der
erſtere geübt; nur durch unnachſichtliche Strenge meinte
er ſein Land von Verbrechen befreien zu können. Dir

Anſtalt Norrmann's war daher dem neuen Regime ein

Dorn im Auge, auch in ſeiner Anſtalt ſolte wie in
den Zuchthäuſern des ganzen Landes das Jelleuſynetn
Rorrmann forderte und erdiekt

Herrn war der Präſident von Norrmann geſtorben und
hatte, unvermählt, wie er geweſen, ſein faſt unermeßß-
liches Vermögen den Kindern ſeiner Brüder: Curt und
Roſaline hinterlaſſen. Der Erſtere beſchloß einen be-
deutenden Grundbeſitz anzukaufen, der gerade in nüch-
ſter Nähe zu haben war, und da die Regierung das
Schloß, welches bis jetzt die Strafanſtalt enthieit, für
 
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