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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 7 - Nr. 15 (1. Juli - 29. Juli)
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Nr. 12.

Samſtag, den 18. Juli 18688.

Erſcheint Mittwoch: und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Ma

abonnmpt in der Druckerei, Untereſtr. 9

und ber⸗den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. 3

Bekenntniß auf dem Todtenbette.
Aus den hinterlaſſenen Papieren eines ehemaligen Wundarztes.

öthig; doch mögen Sie nach. Ihrem

Gefallen verfahren, mein junger Freund. Es geht

etwas in mir vor, das mir ſagt, ich habe nicht lange
mehr zu leben.“ —

Ich verließ ihn wirklich in der Ueberzeugung, daß
ſein, von dem neulichen Vorfalle ſo gewaltig erſchüt-
terter Organismus ſchnell zuſammenſinken und der vor-
trefflicheralte Mann dald in eine beſſere Welt hinüber-
gehen werde. I

Am Abend fand ich ihn bedeutend ſchlimmer. Eine
Entzündung ſchien ſich vorzubexreiten. Der Hals war
ihm ein wenig geſchwollen, und Abſpannung und Ent-
kräftung hatten ihn einer Ohnmacht nahe geführt. Ob-
ſchon er auf dem Todbette lag, ſo war er dennoch
ruhig, ja heittrr.
2½ In der nun folgenden Nacht fing er an, ſchwach.
zu phantaſiren, welches jedoch am Morgen etwas nach-
ließ; worauf ich den Kranken, der in einen ſanften
Schlummer gefallen war, verließ, um, vom langen
Wachen an ſeinem Bette ermüdet, ſelbſt ein wenig zu
ruhen. Bei meiner Rückkehr am Abend erzählte mir
Madame Smith, die mir an der Thüre begegnete, daß
ſich der Kranke zu ihrem Erſtaunen im Bette aufgerichtet
habe und daß er vom Pfühle unterſtüͤtzt, während des
Tages beſchäftigt geweſen ſei, einige Briefe zu ſchreiben,
obgleich ſie Alles aufgeboten habe, um ihn davon ab-
zurathen, weil es nothwendig eine große Aufregung
und Abſpannung herbeiführen müſſe.
Als ich an ſein Vett trat, lag er in einem un-
ruhigen Schlummer. In den wenigen Stunden, da ich
ihn nicht geſehen hatte, hatten ſich ſeine Geſichtszüge
in die eines Sterbenden verändert. Sie waren ſchärfer
geworden und hatten jene bläuliche Bläſſe angenom-
men, die ſtets ein ſicheres Zeichen der nahen Auflö-
ſüng iſt. So der Betrachtung des alten Mannes hin-
gegeben, wie er in ſeinem unruhigen Schlaf ſich un-
aufhörlich bewegte, fühlte ich mich von einer Traurig-
keit ergriffen, die ich ſeit Jahren nicht empfunden hatte.

Seine Geduld, — ſeine Anſpruchloſigkeit, — ſein gu-

tes menſchenfreundliches Herz, ſein edler, gebildeter
Geiſt, deſſen Heiterkeit durch irgend eine finſtere Er-
innerung getrübt wurde, machten in mir die innigſte
Thäilnahme gege und erweckten Gefühle in mir, wie
a.e en Tode meines Taters entfinden
atte.

Keine Stille ſtimmt, uns melancholiſcher, als di
eines Krankenzimmers, wenn man den eigenen Betrach-
tungen hingegeben iſt; der helle Schein der Kerzeu,
deren Flamme in gigantiſchen Schatten von den Bett-
vorhängen oder der Wand reflectirt wird, das Nieder-
fallen einer ausgeglühten Steinkohle vom Feuer, nia
ſogar das bloße Picken der Uhr iſt: im Stande, ein
eigenes Gefühl von Schmerz und Wehmuth, das durch
das ſchwere und mühſame Athmen des Sterbenden er-

höht wird, hervorzubringen.

Während mein Patient ſchlief, ergriff ich um mich
meinen ſchwermüthigen Gedanken ein wenig zu entzie-
hen, eine alte Zeitung, welche unter mehreren loſen Pa-
vieren auf einem Tiſche lag, der nahe am Bette ſtand.
Mechaniſch durchlief ich ſie und fand, daß es ein ſchot-
tiſches Blatt und ungefähr vor zwanzig Jahren erſchie-
nen war. Indem meine Augen die Spalten deſſelben
durchliefen, wurde meine Aufmerkſamkeit plötzlich auf
eine Ueberſchrift in großen Charakteren gelenkt:
„„Schreckliche und geheimnißvolle Mordthat!“
„Es liegt in der Erzählung von Verbrechen und
Leiden ein ſonderbarer Zauber, der, ich weiß nicht wie,
unſere Aufmerkſamkeit feſſelt, und ſo fing ich augen-
blicklich zu leſen an. So viel ich mir erinnere, war
die Erzählung etwa folgende: ů
„Schreckliche und geheimnißvolle Mordthat. — Es
iſt uns eine betrübende und ſchmerzvolle Pflicht, über
einen Mord zu berichten, der mitten in unſerer
ſonſt ſo friedlichen Stadt begangen worden und wel-
cher auf eine Weiſe, die nicht leicht zu beſchreiben iſt,
alle Gemüther init Erſtaunen und Schrecken erfüllt. Das
unglückliche Opfer, ſo müſſen wir leider berichten, iſt
der wohlbekannte rieſengroße Portier, John Saunder-
ſon, welcher lange Jahre bei dem Banquier, Herrn —,
im Dienſte war. Geſtern Morgen früh wurde der
Unglückliche mit einem Packet, das, wie man ſagt, 3000
Pfund, meiſt in Gold enthielt, auf der Landkutſche
nach London geſchickt. Da er zur erwarteten Zeit nicht
zurückkehrte, ſo wurde der Oberkaſſier des Geldes we-
gen unruhig, und da er wußte, daß Saunderſon, der
ſeit fünfzehn in dieſem Hauſe diente, ein zuverläſſiger
Mann war, ſo kam er auf die Vermuthung, daß etwas
Außerordentliches ſich zugetragen haben müſſe. Man
ſchickte einen Schreiber nach dem Poſthauſe, und es er-
gab ſich, daß Saunderſon gar nicht dageweſen war.
Die Firma fing an, von dem Charakter des Unglück-
lichen eine üble Meinung zu faſſen; die Polizei wurde
herbeigerufen und eine allgemeine Unterſuchung ange-

ſtellt. Eine halbe Stunde ſpäter, es ſchmerzt uns, es
 
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