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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 16 - Nr. 24 (1. August - 29. August)
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Samſtag, den 8. Auguſt 1868.

Erſcheint Mittwoch und Sampag. Preis mongtlich 14 kr. Cinzelne Rummer à 2 kr.

I. Jahrg.

Man abonmirt in der Druckerei, Untereſtr. 9

und bei den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Seltenẽ Fügungen.
Von M. Roſen. ö
(Fortſetzung.)

„Sie ließ den Führer ſtehen, und mit angſibeſll-

gelten Schritten eilte ſie in den Salon, wo ſie das
theure Mädchen zu finden hoffte. Allein Herr v. Berg
ſaß allein in Gedanken verſunken. „Sind Sie es, Ma-

dame Müller?“ rief er ihr entgegen, die Eintretende

mit dem den Blinden eigenthümlich feinen Sinn er-

kennend; „hier haben ſich merkwürdige Dinge zuge-

tragen.“
VIhr Neffe hat mir bereits Alles erzählt,“ ſagte
Madame Müller, „allein wo iſt Cäcilie? darf ich ihm
glauben? Befindet ſie ſich volltommen wohl ?
5„So hat er Ihnen doch nicht Alles erzählt,“ ſagte
ſehr ernſt der Vater.
„Iſt ſie krank, beſchädigt — mein Gott!“ rief
üängſtlich Madame Müllerrr
Beruhigen Sie ſich, liebe Freundin,“ entgegnete
Herr v. Berg; „nein, nein, das Mädchen iſt bheil und

friſch, aber der arme Georg dauert mich. Obgleich ich
in ſeinen Zügen nicht leſen kann, ſo ſcheint mir doch

der Ton ſeiner Stimme, mit welchem er die wenigen
Worte ſpricht, die wir ſeit einigen Tagen von ihm zu
dame Mülle * ö
„Run denn,“ ſagte er, indem er einen Stuhl zu-
recht rückte, den er mit der Hand erreichen konnte, und ſeine
Freundin durch ein Zeichen zum Sitzen einlud, „Sie
müſſen wiſſen, daß wir einen lieben Gaſt beherbergen.“
„Einen Gaſt ““ rief ſie verwundert aus, „und dazu
noch einen lieben Gaſt ..
.„Sie wundern ſich,, ſagte er, „daß ich eine ſolche
Ausnahme von meinem Grundſatz mir geſtattete; allein

Sie können wohl denken, daß nur eine außerordentliche

Urſache mich dazu bringen konnte. Der Gaſt, der in
dieſem Augenblicke unter meinem Dache weilt, iſt der
Rezter Cäliliens, unſer Lebensretter, dem wir ja Alles
verdanken 1· ————
% wi
Ausdruck der freudigſten Ueberraſchung. „Wie danke
ich es Ihnen, daß Sie ihn hier zurückhielten, damit
ich ihn auch ſehen kann, um ihm meinen heißeſten
Dank darzubringen. Wer iſt es?“

„Er iſt ein Franzos, aus edlem Geſchlecht ent

bören bekommen, anzudeuten, daß ſein Herz leidet.“
ume Mültrde Sie nicht, Herr v. Berg,“ ſagte Ma-

ſchön!“ rief Madame Müller mit dem

ſproſſen,“ ſagte Herr v. Berg, „ein Vicomte v. Belle-
pierre; iſt Ihnen die Familie bekannt?? *
Vch habe den Namen nie gehört,“ erwiderte Ma-
kannt bin. Doch wo iſt Cäcilie
„Der Abend iſt für die Jahreszeit noch ſo wun-
derſam lieblich und mild, daß mich das Kind erſuchte,
einen Spaziergang durch den Park zu machen. Theils
weil ich mich ermüdet fühlte, und auch, weil ich Sie
bei der Ankunft allein zu ſprechen wünſchte, blieb ich
zu Haus und da erbot ſich der Vicomte, Cäcilien zu
begleiten.“
Vund Sie gaben es zu, daß ſie allein mit dem
Fremden?“ — fragte Madame Müller ſchnell erregt.
„Der Mann hat ſeit den zwei Tagen, daß er in
meiner Nähe weilt, ja ſchon bei unſerer erſten Bekannt-

— dame Müller, obgleich ich in Frankreich nicht unbe-

ſchaft, als er mir die durch ihn gerettete Tochter in die

Arme führte, ſo ſehr meine Achtung gewonnen, daß ich
ihm mein liebes Kind auch auf einen längeren Weg
als den Spaziergang durch den Park anvertrauen
würde⸗⸗ ́—
„Wäre es möglich?“ rief die beſorgte Erzieherin,
„könnten Sie über Cäcilien's Schickſal ſo ſchnell ent-
ſcheiden!“ * ———
„Nun, nun,“ ſprach Herr v. Berg begütigend, „ſo
weit iſt es damit noch nicht. Ich meinte nur, wenn
es ſo kommen könnte.

„Und Ihr. Neffe, der treue e·—
—— v, Berg ließ ſie nicht ausſprechen. „Georg iſt
ein wackerer, herzensguter Junge; allein wenn ich ihn mir
ſo recht betrachte, Sie verſtehen mich, die geiſtigen Züge,
die Linien eines Charakters weiß ein Blinder oft ſehr

ſcharf zu faſſen — ſo muß ich mir geſtehen, daß es
mir mehr als zweifelhaft ſe
Cäcilie glücklich werden könne.

ei, ob er mit unſerer lieben
„Doch — doch!“ ſagte Madame Müller ſchnell.
„Wir wollen ſehen,“ fuhr der alte Herr fort. „Sie
wiſſen, daß ich ſtets die Dinge gern an mich kommen
laſſe; ich will dem Schickſal nicht vorzugreifen ſuchen,,
und am Ende hilft es zu nichts. Der Menſch verdirbt
nur zu oft mit täppiſcher Hand die feinen Fäden eines
Gewebes, welches die unſichtbare mächtige Hand dort
oben zwiſchen den Herzen zweier Menſchen anzulegen
begann “ ö ö
„Ach Gott, er leidet ſehr!“ ſagte Madame Müller;
„jetzt erſt wird es mir ſo klar, warum er ſo bleich. ſo
fieberhaft mich empfing — er ſchien mir ſo viel auf
dem Herzen zu haben, was er mir offenbaren wolle,
 
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