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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 25 - Nr. 33 (2. September - 30. September)
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eilelberger Vollsblatt.

Nr. 25.

Mittwoch, den 2. September 1868.

1. Jahrl.

Eeſcheint Witt9 och und Sanſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Untereſtr. 9*

und ber den Trägern Aaswärts bei den Landvoten und Poſtznſtalten. *

Der Hut.
Eine eriminaliſtiſche Skizze von L. Du Bois.
(Schluß.)
Erneſtine wurde leichenblaß.
„Glauben Sie, daß der Baron —“ hauchte ſie.
„Den Mord verübt hat?“ fägte Bernard, den Satz
vollendend, hinzu. „Ja, ich glaube es. Doch will ich ſo-
gleich zum Präfekt gehen.“ ö ö
„Zum erſten Male ſeit ihrer Verurtheilung er-
wachte jetzt ein Hoffnungsſtrahl in Ernſtinens Bruſt.
ODer Anblick und die Theilnahme ihres Freundes aus
früheren glücklicheren Tagen hatte bei ihr den geheimen
Wunſch enſtehen laſſen, noch länger leben zu können.
„O wie gut iſt es, daß ich vor Gericht Nichts

verrathen habe!“ rief ſie. „Gott wird mich beſchützen!“

Bernard verließ das Gefängniß und eilte nach

dem Hauſe des Präfekten, wo er ungeſtüm und ohne

Anmeldung in das Zimmer des Letzteren trat.

„Nün, was haben Sie gefunden?“ fragte der alte ö
.

Mann mit trübem Lächeln. ö
„Bitte, betrachten Sie dieſen Hut,“ ſagte Bernard,
indem er ihm denſelben überreichte und dann berich-
tete wie er gefunden worden war und was ihm Erne-
ſtine darüber mitgetheilt hatte.
„Ihr Gatte — der Mörder?“ rief er. „Ja, es
iſt klar, — und wir haben ein unſchuldiges Mädchen
verurtheilt!
mir die Sache überlegen. Bewahren Sie vorläufig
mich 13 über dieſe Entdeckung und rechnen Sie auf
mich! —
Schon früh am nächſten Morgen wurde Bernard
wieder nach dem Hauſe des Präfekten gerufen.
„Ich habe Alles geprüft,“ ſagte er, „und es iſt
kein Zweifei, daß ein ſehr ſtarker Verdachtsgrund gegen
den Baron vorliegt. Er iſt ein leidenſchaftlicher Spie-
ler, und ſeine angebliche Reiſe nach Petersburg hatte
wahrſcheinlich nur den Zweck, etwaigen Verdacht von
ſich abzuwenden und einer möglichen Verhaftung zu
entgehen. Es iſt ein ſchrecklicher Fall, wir müſſen mit
großer Vorſicht verfahren. Der Baron ſteht in großer
Achtung, und Niemand wird ihn eines ſo entſetzlichen
Verbrechens für fähig halten. Allein der Hut und die
auf ſeinen Namen ausgeſtellte Rechnung des Gaſtwirths
beweiſen mindeſtens, daß er nach Paris zurückgekehrt
ſein muß. In welcher Abſicht kam er zurück? Ich

halbe jetzt einen geheimen Polizeiagenten nach Straß-

Doch verlaſſen Sie mwich jetzt, ich muß

ſich auch als richtig.

burg abgeſendet, um ſeine Spur von dort aus zu ver
folgen. Sobald ich etwas Näheres höre, werde ich Sie
rufen laſſen.“ * ö
Als der abgeſendete Polizeibeamte in Straßburg
anlangte, begab er ſich ſogleich nach dem Gaſthofe, in
welchem der Baron logirt hatte. Der Wirth erinnerte

ö ſich auf Befragen dieſes Gaſtes recht wohl, aber konnte

nicht ſagen, wohin er von dort aus gegangen war.
Dagegen entſann ſich der Hausknecht, daß er das Ge-
päck deſſelben nach einem außerhalb der Stadt an der-
Straße nach Saverne belegenen Hauſe getragen hatte,

wo ein Miethswagen in Bereitſchaft für ihn geweſen,

mit dem er ſogleich weiter gereiſt war. Der Kutſcher,

ein Bekannter des Hausknechts, wurde leicht ermittelt

und gab an, daß er jenen Herrn, der ſich jedoch Thion-
ville genannt, nach einem Gaſthofe in Saverne gefah;

ren habe. Bei weiteren Nachfragen an dieſem Orte

erfuhr der Polizeibeamte endlich noch, daß in der That

in jener Zeit ein Herr dieſes Namens dort angelangt
jſei ünd ſich wegen Unwohlſeins vier Tage lang auf-

gehalten habe. Der Beſitzer des Gaſthofs gab auch

eine ziemlich genaue Beſchreibung von der Perſönlich-

keit des Heryn, welche den Polizeibeamten überzeugte,
daß er auf der richtigen Spur war, allein über die

ferneren Bewegungen des Verfolgten von dort aus

ließ ſich nichts in Erfahrung bringen. Der ſehr wich-
tige Umſtand war indeß mit Sicherheit ermittelt wor-
den, daß der Baron, ſtatt ſeine Reiſe nach Petersburg
zu verfolgen, unter einem angenommenen Namen den
Rückweg nach Paris angetreten hatte.
Nunmehr blieb kein anderes Mittel übrig, als den
Gatten der ermordeten Dame durch eine Bekanntma-
chung in den franzöſiſchen und deutſchen Zeitungen
aufzufordern, in Paris zu erſcheinen und den Nachlaß

ſeiner verſtorbenen Frau in Empfamg zu nehmen, in-
dem anzunehmen war, daß derſelbe, wenn er den Mord
verübt hatte, um ſich in den Beſitz ihres Geldes zu

ſetzen, ſich durch dieſe Lockſpeiſe werde verleiten laſſen,
nach Paris zurückzukehren. Dieſe Vermuthung erwies

Indeſſen verſtrichen vorher zwei Monate, und ſchon
ſchien alle Ausſicht zu ſchwinden, daß man jemals ſei-
ner werde habhaft werde, als eines Tages ein in tiefe.
Trauer gekleideter und anſcheinend von ſchwerem Kum-
mer niedergebeugter Mann auf dem Polizeibüreau in
Paris erſchien und angab, daß er die entſetzliche Nach-
richt von der Ermordung ſeines Weibes in St. Peters-
burg in einer Zeitung geleſen und deßhalb eiligſt die

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