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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 17 - Nr. 25 (1. März - 29. März)
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74

uind: man nennt ſie Demagogen. Sie beherbergen
einen Gaſt unter Ihrem Dache, dem dieſe Ideen nicht
fremd ſind.“
O, die Schelmen! rief lachend Samuel, denen es
gelungen iſt, einen ſolchen Verdacht auf mich zu wälzen.
Wie das? fragte Stiller betroffen.
Merken Sie denn nicht, Papa, daß es Scherz iſt,
daß man mir einen Streich bei Ihnen ſpielen wollte?
verſetzte Samuel. Mit wenigen Worten kann ich Auf-
ſchluß gedben, was meine luſtigen Geſellſchafter dazu
vermocht haben mag. Meine Hierherreiſe war bekannt
unter ihnen, ich ſelbſt hatte am Vorabende derſelben
mit Vergnügen davon geſprochen und mich der gütigen
Aufnahme voraus gerühmt, die ich, auf das freund-
ſchaftliche Verhältniß mit meinem Vater rechnend, in
Ihrem Hauſe zu erwarten hätte. Ich hatte ſogar, was
ich Ihnen jetzt geſtehen muß, einige Worte fallen laſ-
ſen, daß mir ein ſchönes Geück für die Zukunft darans
erblühen könne, — wie es eben geht, wenn die Zunge,
von Wein und Freude leicht gemacht, mit der Beſon-
nenheit davon läuft. Man zweifelte, um mich zu necken,
ich behauptete, um zu widerlegen, endlich kam es ſo
weit, daß ich auf die Erſüllung meiner Hoffnungen
wettete. Es war frivol, ich geſteh' es und ich habe mit
vollem Rechte am geſtrigen Tage dafür gebüßt. —
Man muß nun — woher, weiß ich nicht, vielleicht durch
einige Aeußerungen von mir ſelbſt — Ihre politiſchen
Geſinnungen, Ihre Abneigung gegen das neueſte Trei⸗-
ben einer gewiſſen Parthei kennen, kurz, man baute
wahrſcheinlich darauf den Plan, meine Verhältniſſe hier

— mindeſtens für den Augenblick — zu ſtören und ſo-

mit mich die Wette verlieren zu machen, was über Er-
warten gelungen iſt.
Und Sie glauben — unterbrach ihn Stiller.
Ich glaube — ſiel Samuel ein, daß Sie bei ruhi-
gerer und vorurtheilsfreier Leſung des Briefs nichts
finden werden, was dieſen Verdacht rechtfertigt. Man
warnl Sie im Allgemeinen vor den Demagogen, aber
wo ſteht denn geſchrieben, daß ich einer bin? Aller-
dings ſcheint der letzte Satz darauf hinzudeuten, oder
vielmehr, er iſt pfiſfiger Weiſe ſo geſtellt, daß er da-
rauf hindeuten muß; aber er ſagt ſonſt nichts, als daß
Sie einen Gaſst haben, dem dieſe Ideen nicht fremd
ſind. — Nun, beim Himmel! er giebt hundert Dinge,
die man weiß und wiſſen kann, ohne je Gebrauch da-
von machen zu wollen, das iſt wohl klar.
Sie ſind ein gewandter Ausleger, ſagte Stiller, in-
deſſen muß ich bekennen, daß ich mich allerdings von

meiner vorgefaßten Meinung vielleicht zu ſchnell habe,

hinreißen laſſen und daß es mich herzlich freuen würde,
wenn ich die Ueberzeugung erlangte, daß ich mich ge-
irrt hätte. Aber da ſind, außer dem Warubriefe, noch
andere Dinge zu erläutern, auf die ich, durch ihn ver-
aulaßt, erſt gekommen bin. Was tragen Sie für ein
Gemälde und welches Motto auf Ihrer Tabakspfeife?
Ich muß meiner Autwort hier voranſchicken, daß
die Pfeife nicht meine Wahl, ſondern das Geſchenk ei-
nes Freundes iſt, der bereits in die Wohnungen der
ewigen Freiheit eingegangen iſt, entgegnete Samuel-

Uebrigens finde ich an Gemälde und Motto nichts An-
ſtößiges oder Demagogiſches. Wir wollen frei -ſein,
wie die Väter waren — drückt keinen andern Wunſch
aus, als: wir wollen es haben, wie unſere Voreltern
und das iſt ein recht deſcheidener Wunſch, auf den ſich
nicht blos drei, ſondern drei Millionen Männer geſetz-
lich die Hände geben dürften. ö ö
Stiller nickte beiſällig mit dem Kopfe und ſagte:
Gut ausgelegt! ö ö
Nun kommt aber der wichtigſte Anklagepunkt, fuhr
er fort, der Beſuch in der Krone ſogleich nach Ihrer
Ankunft, bei einer Geſellſchaft, die bei allen Vernünf⸗—
tigen im Verrufe iſt. Wie kamen Sie dahin?
Auf die natürlichſte und unſchuldigſte Weiſe von
der Welt, verſetzte Samuel. ö ö
Sie ſind gleich auf Antwort gefaßt und haben eine
eigene Stärke im Auslegen, fiel Stiller ein.
Die Wahrheit bedarf der Kunſt der Auslegung
nicht! entgegnate Samuel. Ich ſchleuderte in den Stras,
ßen umher, ſah mir die Häuſer an nnd die Menſchen,
und was ſonſt ſehenswerth war; da begegnete mir ein
junger Mann, den ich von' Hauſe her kenne, und der
ſich freute, mich hier zu treffen. Er Uud mich ein,
ihm in eine fröhliche Geſellſchaft gleichgeſinnter junger
Leute zu folgen und da ich nichts zu verſäumen hatte,
ſo ging ich aus Gefälligkeit mit. Ich geſtehe aber, daß
es mich bald gereure. Im Anfange waren die jungen

Herren recht artig und beſcheiden; wir ſprachen von

gewöhnlichen allgemeinen Gegenſtänden und ſtießen recht
munter und freundlich auf neue Bekanntſchaft miteinan-
der an; aber bald leukte ſich das Geſpräch auf oͤffeut-
liche Augelegenheiten und nun war es, als ſühre ein
anderer Geiſt in ſie, ſogar die Geſichter verwandelten
ſich und nahmen bei einigen etwas wildes — ſatani-
ſches, kann ich ſagen, an. Ich hätte nie geglaubt,
daß hier, in einer weniger großen und ſo gewerbrei-
chen Stadt, wo mau alle Hände voll zu thun haben
muß, um mit den Geſchäften fertig zu werden, ſolche
Wahnwitzige zu ſinden ſeien, die gewöhnlich nur das

Attribut großer Städte ſind, wo Müßiggang und Ueber-

muth zu ſolchen Schwammauswüchſen des Geiſtes

führen.
(Schluß folgt.)

Ein „letzter Ritter.“
Kulturhiſtoriſche Skizze von W. Angerſtein.
(Schluß.)

Das erſchien Flemming bedenklich. Er ſchaffte nun-
mehr Pulver und Blei kan, ließ das ganze Dorf mit
Palliſaden umgeben, und die Eingänge mit ſpaniſchen
Reitern verſperren. Er erwartete einen engeriſchen An-
riff, indeſſen blieb er vorläufig noch unbehelligt. Viel-
leicht hierdurch ſicher gemacht, wagte der Deſerteur ei-
 
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