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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 17 - Nr. 25 (1. März - 29. März)
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Mittwoch, den S. Marz 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr.

und bei den Trägern.

Einzelne Nummer A 2 kr.
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4

Des Freundes Sohn.

Ein Familiegemälde von Karl Haniſch.
(Fortſetzung.)

Samuel hatte den innern Kampf des lieben Kindes
bemerkt.
Ich will Ihnen, meine gute Margarethe, nichts zu-
muthen, was gegen Ihre Pflicht ſtreitet, ſagte er mit
Wärme, 10m ſanft die Hand drückend, dazu ſind ſie mir
zu lieb. Aber ich darf ſagen, daß ich von des Baters
Hauſe her gewohnt bin, Ihre Familie hochzuachten und
daß es mir wahrhaft ſchmerzlich ſein muß, ein ſo ſchö-
nes Verhältniß ſogleich im Beginne unterbrochen zu
ſehen, während ich nach dem erſten Empfange auf eine
noch wachſendere Inyigkeit hoffen durfte.
Ich will Ihnen wohl ſagen, Herr Klarens,
es ſich handelt, lispelte Margarethe, jedoch in der Vo-
rausſetzung, daß ſie meine Aufrichtigkeit nur dazu be-
nützen werden, um ſich von einem Verdachte zu reini-
gen. Sie ſollen einer Sekte angehören, die meinem
Vater in den Tod zuwider iſt.
Einer Sekte? fragte verwundert der Gaſt. Man
hält mich doch nicht etwa für einen St. Simonianer.
Nein, fuhr Margarethe fort — ſo iſt der Name
nicht. ö
Und Sie wiſſen ihn?
Ja wohl!
Nun, da wäre ich doch begierig.
Sie ſind ein — Demagoge! Mit dieſen Wor-
ten entſchlüpfte ſie und Sammel blickte der Eilenden
eine Zeit lang erſtaunt nach und ſagte dann, in's Lä-
cheln übergehend: in deiner Nähe, du herziges Geſchöpf,

bekenne ich mich gern zu dem Abſolotismus der Liebe.

Der Herr des Hauſes war eben im Begriffe, mit
dem über Nacht vollkommen nüchtern gewordenen gu-
ten alten Schappler abzurechnen und ihm 136 guten

Morgen eine derbe Strafpredigt zu halten, als Samuel
eintrat und um die Erlaubniß bat, mit Herrn Stiller

einige vertrauliche Worte zu wechſeln.
Schappler entfernte ſich, froh, aus der Dachtraufe
der Vorwürfe des Prinzipals zu kommen.
Ich gehe mit dem Entſchluſſe um, abzureiſen, mein
verehrter Herr Stiller, ſagte Klarens.
Stiller war durch die Anrede überraſcht; ſo böſe

wovön

er dem jungen Manne ſein zu müſſen glaubte, ſo ſiegte
doch ſeine natürliche Guthmüthigkeit in dem Augen-
blicke, wo der Sohn ſeines alten Freundes ihn verlaſ-
ſen wollte, der — er mußte ſich's geſtehen, eigentlich
ohne Urtheil und Recht zuletzt eben nicht ſehr freund-
lich behandelt worden war. ͤ ö
Was treibt Sie ſo bald fort? frug der alte Herr
in einiger Verlegenheit — ich hatte wohl gewünſcht,
Sie länger hier zu ſehen.
Ich würde mich von Herzen freuen, entgegnete Sa-
muel, wenn Ihnen dieſer Wunſch von Herzen gegangen
wäre; es ſcheint aber, als ob meine Gegenwart den“
Frieden des Hauſes getrübt habe, in welchem ich nur
angenehme Empfindungen zu erregen mir ſchmeichel te,
wenn ich dem Bilde trauen durfte, das mein. Vater
mir davon entworfen hatte, was ich auch am erſten
Tage meiner Ankunft vollkommen beſtätigt fand. Ue-
ber Nacht ue das ſchöne heitere Gemälde die Farben
verloren, als hätte ein böſer Hauch ſie weggeſtreift.
Woher dief ſe MAamndermn gekommen, iſt mir unbekannt;
daß der Unwille meiner Perſon gilt, iſt ſichtbar; ich.
kann nur das einzige verſichern, daß ich mir keiner
Handlung bewußt bin, deren ich mich vor irgend Je-
mand zu ſchämen hätte, oder die verdiente, durch Ent-
ziehung des Wohlmeinens einer ehrenwerthen Familie
beſtraft zu werden; wie ſchmerzlich mir es fällt, ein
Verhältniß. abgebrochen zu ſehen, das ſehr angenehm zu
werden ſchien; das ſchmerzlichſte aber iſt, daß der Freund
Meines Vaters, der mir im erſten Augenbl icke unſerer.
ab, dieſebe ſo aufrichtige Beweiſe ſeiner Zuneigung
990 dieſelbe ſo unerklärlich ſchnell entzogen hat. Zwar
läßt ſich dagegen durchaus nichts einwenden; denn Zu-
neigung iſt das ſreieſte Gut der Erde, das man ſchenken.
und zurücknehmen kann, wie man will. Indeſſen halte
ich es für eine Pflicht gegen mich ſelbſt und gegen mei-
nen guten Vater, dem ich Rechenſchaft zu geben ſchul⸗—
dig bin, um den Schlüſſel zu dieſem Räthſel zu bit-
ten, den Sie mir, ohne ungerecht zu ſein, nicht verwei-
gern können.
Das werde ich auch nicht, ſagte Stiller, an den
Schreibpult gehend und den anonhmen Brief hervorho-
lend: hier leſen Sie!
Samuel ſchlug das Papier auseinander und las:
„Mein Herr! Wenn eine Warnung noch zur rech-
ten Zeit kommt, ſo hüten Sie ſich vor Leuten, welche
unter orgloſer, freundlicher Zutraulichkeit, Grundſätze
verbergen, die zu den verderblichſten unſerer Zeit ge-
hören, Leute, die ihrer Idee Alles zu opfern im Stand /
 
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