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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 9 - Nr. 16 (1. Februar - 25. Februar)
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E

eilelberger

Vollssblatt.

Nr. 18.

Mittwoch, den 15. Februar 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kre. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4

und bei den Trägern

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Des Freundes Sohn.
Etn Familiegemälde von Karl Haniſch.

Kaufmann Stiller ſaß in ſeiner Schreibſtube,
das Zeitungsblatt in der Hand, wie er ſeit vielen Jah-
ren jeden Morgen zu thun pflegte, und warf von Zeit
zu Zeit durch das in ſeinem ſehr beſuchten Spezerei⸗—
laden gehende halbrunde Fenſter beaufſichtigende Blicke
auf den alten Commis Schappler, einem Erbſtücke
aus des Vaters IJnventariuu, der mit Hülfe eines ziem-
lich ſtämmigen Lehrlings ſchon ſeit einer Stunde die
Nachbarſchaft mit Kaffee, Zucker, Tabak verſorgte und
daneben einen Tauſchhandel mit Stadtneuigkeiten trieb.
Stiller las die Zeitung nicht blos der Unterhal-
tung wegen; vielmehr abſtrahirte er aus den Weltbe-
gebenheiten ſpekulative Maßregeln für ſein bedeutendes
Handelsgeſchäſt, das er mit vieber Umſicht trieb, ob-
gleich er ſeinen Bedarf an überſeeiſchen Artikeln nicht
aus erſter Hand, ſondern von ſeinem alten Jugend-
und Handelsfreunde, Klarens, aus der Reſidenz be-
zog, bei dem ſchnell einige Fäſſer Zucker mehr über
das gewöhnliche Bedürfniß beſtellt wurden, wenn er
laß, daß die Sklaven in den Zuckerplantagen auf Ja-
maica nicht mehr arbeiten wollten, folglich von dieſem
Artikel weniger producirt werden würde. Oft ſchon
hatte er Frou und Töchter mit der Nachricht erſchreckt,
daß die Kaffee⸗Erndte mißrathen ſei und dies Getränk,
mindeſtens in ſeinem Hauſe, eingeſtellt, oder deſſen Ge-
uns nur auf Sonn- und Feiertage beſchränkt werden
müſſe, damit die erſparten koſtbaren Bohnen — oder
eigentlich Kirſchenkerne — an ſeine nicht ſo ſparenden
Kunden höheren Preiſes abgeſetzt, ſomit ein doppelter
Gewinn erzielt werden könne.
Mit der proponirten Sklavenbill in Cngland war
er gar nicht zufrieden; nicht etwa, als ob er kein Ge-
fühl für fremde Leiden oder keinen Abſcheu vor Grau-
ſamkeiten gehabt hätte: er war ein gutthätiger, mitlei-
diger, aber äußerſt arbeitſamer Mann.
Die Schwarzen ſind faule Geſellen, pflegte er ei-
fernd zu ſagen — und zwar von Haus aus; denn in
Afrika, wo die Burſche herſtammen, iſt es gewaltg
heiß und die Hitze macht träge, wie männiglich auch bei
uns bekannt iſt. Würden ſie nicht mit Strenge zur

Arbeit angehalten, ſo lägen ſie den ganzen Tag auf
der faulen Haut, wie wir bei uns ſchon Beiſpiele ha-
ben, wo es doch, außer den Hundstagen, nicht ſo über-
trieben heiß iſt.
Nauch die Neger, und wir ſind, im Grunde genommen,

Arbeiten ſoll jeder Menſch, folglich

alle Sklaven, d. h. abhängige Menſchen, die vor den
ſchwarzen Geſellen nichts weiter voraus haben, als daß
wir nicht unmittelbar mit der Peitſche zur Arbeit ge-
trieben werden; was hie und da auch bei uns für ge-
wiſſe Tagediebe recht paſſend und vielleicht eine nützli-
chere und wirkſamere Lektion wäre, als die ſchönſten
Sittenlehren, in die man jetzt den Käſe wickelt, weil
ſie kein Menſch mehr leſen, geſchweige befolgen will.
Ich gebe Euch mein Wort, daß unſere Landleute eben⸗—
ſoviel, wo nicht mehr arbeiten, und — zumal in der
Erndte — nicht weniger ſchwitzen, als die Sklaven.“
Macht die Kerls erſt alle frei, dann gute Nacht Plan⸗—
tagen! Adieu Zucker und Kaffee, Tabak und alle die
koſtbaren Dinge, ohne die wir jetzt gar nicht mehr le-
ben können! Ich ſage, das giebt eine allgemeine Um-
wälzung in Indien, wie in Europa, in der alten, wie
in der neuen Welt. Das kommt aber von der über-
triebenen Humanität, die, wenn einem Gaudiebe von
Rechtswegen das Sitzleder aufgeklopft werden ſoll, mit-
leidig nach der Größe der Schmerzen forſcht und die
Strafe mildert oder ganz aufhebt, weil es dem armen
Schelme zu wehe thun könnte, während man ſich um
die Leiden der von dem Galgenſtricke Verletzten gar
nicht kümmert; das iſt Folge der übertriebenen Libe-
ralität, die alle Schranken brechen, alle Bande löſen
will, damit die Menſchheit in den wilden Naturzuſtand
zurückkehre, wo einer den andern würgt, bis am Ende
der Stärkſte übrig bleibt, der dann vor Hunger oder
Langeweile ſtirbt. Geht mir mit Eurer Freiheit, wo
man des Lebens nicht ſicher iſt. Gute Geſetze, gerechte
Handhaber derſelben, ſtrenges Scepter für die Unge-

horſamen, kräftigen Schutz für die Redlichen und Flei⸗—

ßigen, vernünftige Sparſamkeit in der Staatshaushal-
tung, damit der Schnitter nicht mehr koſtet, als die
Erndte werth iſt, der Wächter nicht mehr, als die
Sache, die er bewahren ſoll; das iſt gut Regiment und

Gott erhalte ſolches, wo es iſt, und geb' es, wo es

noch mangelt! —
Daß Vater Stiller recht hatte, war bei ſeinen
Angehörigen und im Kreiſe ſeiner gleichdenkenden Abend-

geſellſchaft ausgemachte Sache, und die ganze Stadt
ſtimmte damit überein, daß er ein redlicher, fleißiger,

geſchickter Mann von altem Schrot und Korn ſei, der
 
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