Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

DOI Kapitel:
Nr. 17 - Nr. 25 (1. März - 29. März)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44617#0089

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 2².

Samſtag, den 18. März 1871.

. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerel, Schiffgaſſe 4

und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Stimme des Gewiſſens.
Aus dem Tagebuch eines engliſchen Advokaten.
(Fortſetzung.)

Dieſe Idee kehrte immer wieder, und wurde von mir
ſo gern unterhalten, daß ich die ganze Nacht ſchlaflos
zubrachte, und Pläne machte, wie ich das große Ver-
mögen anwenden wollte, ohne daran zu denken, daß

dann noch zwiſchen uns und der Erbſchaft ein anderes

Leben, das meines Schwiegervaters, ſtand. Den näch-
ſten Morgen traten indeß günſtige Umſtände bei der
Krankheit ein, und die drei Knaben genaſen wieder.
Die ſo plötzlich entſtandenen Hoffnungen hatten ſich je-
doch meines Geiſtes dermaßen bemächtigt, daß, ſtatt

durch die Geneſung verſcheucht zu werden, die ihm na-

türlich jeden Grund, den er jemals dazu haben konnte,
nahm, ich mich nicht nur von der Grauſamkeit dieſer
Vereitelung überzeugt hielt, ſondern auch das Gefühl
hatte, als habe ein widriges Ereigniß mich um etwas
gebracht, das mir gehöre, und nur noch nicht in mei-
uer Gewalt ſei. Wie nahe ſtand ich dem Reichthum!
war der Gedanke, auf den ich immer wieder zurückkam.

Sie, Thornton, ſind vielleicht nicht vermögend, dieſe

Gefühle zu begreifen; auch ich vermochte es nicht eher,
als bis die Ereigniſſe ſtattfanden, die ſie erzeugten.
Hier hielt Moreton einen Augenblick an.
terbrach ihn aber nicht, und als er mit ſeiner Hand
über die Stirn gefahren war, und mit zitternder Stimme
begehrt hatte, ich möchie ihm ein Glas Wein einſchenken,
fuhr er fort: ö ö ö
Sie müſſen wiſſen, Thornton, dies waren bloſe Ge-
danken, flüchtige Phantaſien; hätte ich am Kranken-
bette jener Knaben geſtanden, als ihr Lebensſunke dem
Verlöſchen nahe war, ſo würde ich ihn nicht ausgebla-
ſen haben. Hätten zwei Phiolen, die eine Geſundheit
und die andere den Tod enthaltend, neben einander ge-

ſtanden, ſo glauben Sie ja nicht, daß ich Ihnen die

Letztere gereicht haben würde. — Nein, ich war kein
Mörder, Thornton! kein Mörder — — damals!

Der Fluß, den wir hier in der Nähe haben, iſt Ih-

nen bekannt und Sie wiſſen, daß ich ein Liebhaber von
Luſtfahrten auf dem Waſſer bin. Die drei Knaben
machten ſich dieſes Vergnügen oft und manchmal traf
es ſich, daß ich Sie begleitete. Eines Tages, gegen
Ende Anguſts, hatten wir den Tag auf den Aal⸗Tei-

Ereigniſſes,

Ich un-

ö ſchen zugebracht und es war beinah Sonnenuntergang,
als wir uns auf den Rückweg nach Cambridge mach-

ten. Es war ein ſchöner, ſtiller Abend, als wir je

nen Platz verließen, es fing aber bald an, ſtark zu reg-

nen und beim Drängen nach den Mänteln und Schir-

men, was der plötlich eingetretene Regenſchauer ver-
anlaßte, ſchlug der Kahn beinah ganz um. Er richtete

ſich indeſſen wieder auf, und dieſer Umſtand war den
Knaben Veranlaſſung zur Freude. Auf mich hingegen
machte er eine ganz andere Wirkung. Seitdem die
Epidemie die Gedanken, die ich ſchon erwähnte, in mir
erweckt hatte, war ſchon über ein Jahr verfloſſen und
ich hatte die Sache beinahe, wenn auch nicht ganz ver-
geſſen. In jenem Augenblicke aber drängten die Ge-
danken, die mich damals heimgeſucht hatten, mit zehn-
mal ſtärkerer Gewalt ſich mir wieder auf. Wenn der
Kahn umgeſchlagen wäre, ſagte ich zu mir ſelbſt, wäh-
rend ich ſchweigend im Hintertheil deſſelben ſaß. —
Wenn er umgeſchlagen wäre! und die Ausſicht zum
Reichthum lag wieder offen vor mir. Die drei Knaben
jauchzten vor Freude, lachten nund ſcherzten im Schiff-
chen, und ich ſaß hinten in demſelben und legte mir
ſelbſt jenen Fall vor. Es war aber nichts weiter als
ein Gedanke, Thornton, als eine Phantaſie; ich wußte,
außer mir konnte Niemand ſchwimmen; ein böſer Vor-

ſatz kam mir aber eben ſo wenig in den Sinn, wie
7

Ich zog nur die wahrſcheinlichen Folgen eines
welches ſich beinahe zugetragen hätte, in

Ihnen.

Erwägung. ö
Nun, wir fuhren weiter fort und es wurde bald
dunkel, dann ging der Mond auf und wir ſetzten un-
ſere Fahrt ſtromaufwärts fort. Unſer Kahn war al-
lein auf dem Fluſſe, bis wir keine zwei Meilen mehr
von Cambridge waren. Auch ich hatte von Zeit zu
Zeit das Ruder zur Hand genommen, jetzt ſaß ich aber
im Hintertheile des Kahnes, wo mir beſtändig Etwas
zuflüſterte: Wenn der Kahn umgeſchlagen wäre! Ich
brauche Ihnen nicht zu ſagen, Thornton, daß Kleinig-
keiten auf die größten Ereigniſſe einwirken; eine dieſer
Kleinigkeiten fand gerade in dieſem Augenblicke ſtatt.
Ich hatte einen Hund bei mir, zu dem einer der Kna-
ben etwas lateiniſch ſagte. Sprich doch nicht lateiniſch
mit dem Hunde, ſagte der andere, ſein Herr verſteht
ja kein Latein. Ja wohl, ſagte der ölteſte, verſteht er
es, Herr Moreton ſpricht jedoch — Hundelatein. Dies,

Thornton, war eine unbedeutende Sache, allein ſie ver-

droß mich. Der älteſte Knabe zumal war, wegen ſei-
ner gelehrten Erziehung, immer anmaßend; er war ein
 
Annotationen