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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 96 - Nr. 104 (2. Dezember - 30. Dezember)
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Samſtag., den 2. Dezember 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſaag. Preis monatlich 18 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaß

und ber den Trägern.

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Ungariſches Heldenthum.
(Fortſetzung).

Gyula hatte das Kommando ſeinem Nachfolger im
Range übergeben und war, nur von zwei Huſaren be-
gleitet, auf das Schlachtfeld zurückgteilt, als gänzliche
Dunkelheit eingebrochen. Wie hätte er es auch unter-
laſſen können, den letzten, freilich kaum anders als
hoffnungsloſen Verſuch zu machen, ſich über das Schick-
ſal Bem's, an dem ſeine Seele mit Begeiſterung und
bewundernd hing, in Gewißheit zu ſetzen. War ja
doch ohne ihn die Armee gänzlich verwaiſt und ent-
muthigt. —11
Die Stelle, wo ihm der Wagen zuletzt vor Augen
geweſen, erinnerte er ſich. Dorthin ſteuerte er. Ein
Dorf mußten ſie umgehen, wo Feinde lagen. Endlich
erreichten ſie eine Gegend, wo die Straße nach und
nach anſteigend, an einem tiefen Sumpfe vorüberführt.
„Reiten wir jetzt langſamer,“ ſagte Gyula zu ſei⸗—
nen Gefährten. „Hier dieſen Hügel jagte der Wagen
hinauf. Da iſt auch noch der Munitionswagen, an
welchem er vorbei mußte, und der Urſache des Haltes
geworden ſein mag. Seht die Papiere dort. Das iſt
ſicher der Ort.“ ö
„Huſaren,“ ruft eine matte Stimme, „helft mir her-
aus. Ich bin's, Bem.“
„Gott ſei Dank! Nun kann Alles noch wieder gut
werden.“ Sie ſteigen hinab. „Ein verdammt naſſes,
ſchmutziges Lager,“ ſagt Bem, während Gyula, ihm
die Hand reichend, den Feldherrn aus der Tiefe zieht.
„Doch beſſer, als Gefangener.“
„Fürwahr, wüßte General Lüders, was hier ge-

ſchieht, ſeine ganze Armnee ließ er wieder aufbrechen,

um ſich den koſtbaren Fang nicht entgehen zu laſſen.“
„Wir wollen ihm die Mühe erſparen; leiht mir ei-
nen Mantel und gebt mir ein Pferd, daß wir bald Va-
ſarhely erreichen.“ ö
Fort brauſen die Reiter; der General, trotz der
Wunde, die eine Koſakenlanze ihm beigebracht, ſprengt
den Andern auf der „Schwalbe“, die noch immer un-
verletzt und friſch war, weit voraus. Hinter dem Dorfe
ſtoßen ſie auf eine feindliche Reiterpatrouille. „Halt,
wer da?“ „Geueral Lüders und ſein Gefolge!“ ruft
der Feldherr lachend. Der Feind gibt ebenfalls la-

daten den Vorgang mit angeſehen,

chend das Paßwort und reitet weiter. Zitternd, aber
entſchloſſen, das Tollkühnſte zu wagen, hatten die Sol-
und wiewohl die
Roſſe ſie kaum noch zu tragen vermochten, ſpornten ſie
dieſelben zu letzter Anſtrengung an. Ungefährdet er-
reichten ſie die Hauptſtadt des Szeklerlandes. Mit
Blitzesſchnelle verbreitete ſich die Nachricht, der verlo-
ren geglaubte Feldherr ſei wiedergefunden. Da kamen
Offiziere und Soldaten zum Rathhauſe geſtürmt, wo
Bem abgeſtiegen; ſie konnten es nicht glauben, bis die
Adjutanten die Ungeduldigen vor des Generals Ange-
ſicht führten, der zu einer kurzen Ruhe ſich niederge-
legt und ſeine Wunde eben hatte verbinden laſſen.
„Ja ja.“ ſagte Bem, „jetzt werden Sie, meine Her-
ren, es wohl glauben, da Sie mich geſehen. Und das
danke ich dem jungen Herrn Kapitän hier; er hatte

mich nicht vergeſſen.“

„Wir Alle,“ entſchuldigte ein höherer Offizier, „hör-
ten, Sie ſeien gefangen, General. Hätten wir noch
Kraft übrig gehabt —“
„Zum Davonlanfen, meine Herren, waren Ihre
Beine flink genug; gleichviel, Sie haben ſich doch brav
geſchlagen, ſehr brav, das heißt bis zuletzt. So lange
man lebt, darf man nicht vergeſſen, was man dem
Lande und der Sache der Freiheit ſchuldig iſt. Hätten
Sie noch eine Viertelſtunde ausgehalten, ſo kam die
Nacht und die Bataille hörte von ſelbſt auf. Morgen
früh hätten wir ſie mit verſtärkten Kräften erneuern
können. Ich danke Ihnen, meine Herrn, für die Theil-
nahme, die Sie mir erwieſen und wünſchen Ihnen gute

Nacht.“

Als nun am folgenden Morgen erzählt wurde, wie
General Bem während der Schlacht, zu Pferde kom⸗—
mandirend, verwundet worden, dann den Wagen be-
ſtiegen und von den Koſaken bei hereinbrechender Dun-
kelheit verfolgt, als er ſich nicht anders zu retten ge-
wußt, an jenem Abhange dem Kutſcher befohlen um-
zuwerfen und während der eutſtandenen Unordnung
unter dem Schutze der Racht in die Tiefe hinabgerollt
ſei, dann von den drei Huſaren endlich aufgefunden,
keck die Patrouille täuſchend, nach Vaſarhely entkom-
men ſei, da war des Jubels und Lachens kein Ende,
und das kleine Häufchen ſchöpfte in der Rettung des
nimmer ermüdenden, nimmer verzweifelnden Feldherrn
abermals Hoffnung. Und doch! Schon kaum nach zwan-
zig Tagen, wo war dieſe heldenmüthige Armee, die der
Schrecken der Feinde geweſen?
 
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