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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 79 - Nr. 86 (4. Oktober - 28. Oktober)
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Heidelberger Vollal

Nr. 80.

Samſtag, den 7. Oktober 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr.

und bei den Trägern.

Einzelne Nummer à 2 kr.
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Man abonnirt in der Druckeret, Schiffgaſſe 4.

Aus der Geſellſchaft.
Von Elariſſa Lohde.
(Fortſetzung.)

Der Baron hatte deßhalb mit der ganzen Kraft

ſeines Geiſtes das mächtig in ihm aufſtrebende Ge-
fühl der Liebe zu erſticken geſucht, und jetzt hatte
man ihm geſagt: ſie liebe ihn, ſie habe den Prinzen
längſt vergeſſen. Und warum ſollte er nicht daran glau-
ben? Sprach man doch ſchon ſeit einem Jahre davon,
daß ſich der Prinz endlich auf das Dringen des Königs
habe entſchließen müſſen, eine ebenbürtige Wahl zu tref-
fen. Und wer ſagte ihm überhaupt, daß das ganze
Gerede von der Liebe des Prinzen nicht ein leeres Ge-
klätſch ſei? Oder, wenn auch etwas Wahres daran ge-
weſen, konnte nicht eine thörichte Leidenſchaft des heiß-
blütigen jungen Prinzen die alleinige Urſache der un-
freiwilligen Entfernung der jungen Dame vom Hofe
ſein? Mußte ſie ihn deßhalb auch geliebt haben? War

es nicht viel natürlicher, daß ein ſo kluges Mädchen,
wie Fräulein von Raven, eine ſo ausſichtsloſe Leiden-

ſchaft gar nicht in ſich habe aufkommen laſſen? Ein
Lächeln umſchwebte bei dieſen Gedanken die Lippen des
Barons.
Der Bediente meldete in dieſem Augenblick, daß ſer-
virt ſei. „Die gnädige Frau warten ſchon,“ ſetzte er
mit tiefer Verbeugung hinzu.
Der Baron ſah ihn erſtaunt und faſt erſchreckt an.
Die gnädige Frau? Hatte er doch beinahe ganz ver-
geſſen, daß eine ſolche da war und grade jetzt da war,
wo der Wunſch in ihm zum feſten Willen geworden war,
in kürzeſter Zeit eine junge Frau in ſeinſhaus zu füh-
ren. „Fatal, höchſt fatal!“ dachte er. „Mechtritz hatte
Recht, meine Gutmüthigkeit wird mir Unannehmlichkei-
ten bereiten.

Im Speiſeſaal trat ihm eine Dame in ſchwarzſei-
rtete, nachdem ſie ſich

denem Kleide entgegen
achtungsvoll
ſeine Anrede.

it ruhiger Haltung auf
ieb der Baron bei ihrem

berraſ
Anblicke ſtehen und konnte nicht gleich dick üblichen Be-

„grüßungsworte finden. Er hätte eine ältere Frau er-
zwartet und war jetzt faſt unangenehm bexührt, als ihm
eine noch ige Damé von angenehmem Azleren ge-
„genüber ItAd. Zwar war das von Kuſſter gezeich-
nete Geſicht kaum noch ſchön zu nennen, ſi regelmäßig

war.
graziöſen, würdevollen Erſcheinung der jungen Frau.

und edel auch die Züge waren, aber der Hauch der

Wehmuth und des Leidens, der über ihre Geſtalt aus-
gebreitet lag, gab ihrer ganzen Erſcheinung einen be-
ſonders feſſelnden Neiz.

tte bald ſeine augenblickliche Miß-

Der B
zn und begrüßte die Dame mit

ne Schweſter betrafen; ſie
kundlicher, doch zurückhal-
ie Unterhaltung ganz, und
in dem Gedanken, der
Pt beſchäftigte. Das Auge der frem-
den Dame ruhte zuweilen forſchend und faſt ängſtlich
auf dem Antlitz des Hausherrn, als wolle ſie in ſei-
nen Mienen ihr künftiges Geſchick leſen, aber ſie blieb
ruhig und zurückhaltend. Er beachtete ſie kaum und
erſt, als das Mahl beendet war, wandte er ſich wieder
zu ihr. Er bat ſie, ihm zu folgen, da er ihr die Dienſt-
leute vorſtellen und die Schlüſſel des Hauſes übergeben
wollte. Frau Reuter erhob ſich und ſchritt neben dem
Baron durch die langen Korridore nach der s
ſchaftsſtube, wo das weibliche Dienſtperſonal, das ſie
von jetzt an beherrſchen und lenken ſollte, verſammelt
Des Barons Auge ruhte theilnehmend. auf der

Wie wenig ſchien ſie für die untergeordnete Stellung
zu paſſen, die ſie in ſeinem Hauſe einnehmen ſollte.
Inniges Mitleid ergriff ihn, und er gab ſich innerlich
das Verſprechen, der armen, ſchwergeprüften Frau, ſo
viel es an ihm war, ihre gedrückte Lage zu erleichtern
und ſie vor Verletzungen möglichſt zu bewahren. Mit
doppelter Artigkeit und Zuvorkommenheit begegnete er
ihr daher in Gegenwart der Domeſtiken, was ſie augen-
ſcheinlich mit inniger Dankbarkeit empfand, ohne daß
ſie dieſem Gefühle ſogleich Worte zu geben verſucht
hätte. Erſt als Beide das Wirthſchaftszimmer verlaf-
ſen und im Salon allein ſich gegenüberſtanden, wandte
ſie ſich mit dem Ausdruck warmen Empfindens zu dem
Baron.
„Sie wiſſen es nicht, Herr Baron“, ſagte ſie, „wie
großen Dank ich Ihnen und Ihrer edlen Schweſter
ſchuldig bin. Der Eintritt in Ihr Haus hat mir die
Möglichkeit gegeben, nach der ich lange vergeblich ge-
ſtrebt, für mich ſelbſt zu forgen, ohne Anderen länger
zur Laſt fallen zu dürfen.“. Ihre Wangen hatten ſich
bei dieſen Worten mit dem Purpur der Scham bedeckt,
welche ihre verlaſſene, erniedrigende Lage ihr noch im-
 
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