I
lollsblut.
ridelberger
Nr. 31.
Mittwoch, den 19. April 187¹.
4. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſiag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer A 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
ö und bei den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö
Das Opfer des Herzens.,
Erzählung von G. Reinbeck. ö
Völkner lebte mit der Welt und mit ſich ſelbſt in
Frieden. Seine Wünſche waren nie höher geſtiegen,
als das Schickſal ihn geſtellt hatte, und er kannte kei-
nen größeren Stolz, als den, die Pflichteu des Poſtens,
den ihm die Vorſehung, wie er gläubig wähnte, hie-
nieden anvertrauet hälte, in ihrem ganzen Umfang zu
erfüllen. Er hatte das Gebiet ſeines Wirkens ſich ſtreng
abgeſteckt. Darüber hinauszugehen, hielt er nicht nur
für unnütz, ſondern ſelbſt für unrecht; denn die Erfah-
rung hatte ihn gelehrt, daß der, welcher zu viel leiſten
will, gemeinhin im Grunde nicht viel leiſtet. Allein
in ſeinem Wirkungskreiſe waren ſeine Anforderungen
an ſich keineswegs gering. Ueber Alles gingen ihm
die Pflichten ſeines Amtes. Er war Zoll⸗Direktor in
einer Reſidenz, die zugleich einen ausgebreiteten Han-
del führte, und verdankte dieſen Poſten ſeiner aner-
tannten Pünktlichkeit und Redlichkeit. Der Miniſter,
in deſſen Buxeau er diente, hatte ihn aus eigener Be-
wegung dahin geſtellt, als einen Mann, auf den er ſich
perlaſſen konnte. Es war eine wichtige Stelle, zu wel-
cher die unerſchütterlichſte Rechtſchaffenheit und die
ſtrengſten Grundſätze erfordert wurden, je ſtärker die
Verſuchung wax, von dem Pfade der Pflicht abzuwei-
cen; denn nicht nur gingen die beträchtlichſten Sum-
men durch des Zoll⸗Direktors Hände, ſondern der Ei⸗—
gennutz ließ auch kein Mittel unverſucht, ihn in ſein
Intereſſe zu ziehen, und es konnte dem nicht ſchwer
werden, dieſen Poſten zu einem der einiräglichſten im
Lande zu machen, der dieſen Lockungen Gehör geben
wollte, ohne daß er gerade Verautwortlichkeit zu be-
fürchten gehabt hätte. Er durfte nur über Manches
ein Auge zudrücken; das war Alles, was man von ihm
erwartete, Wer aber beide Augen ſtets offen behielt,
war unſer Völkner; ohne deßwegen durch unnütze Weit-
läufigkeiten oder durch kleinliches Mißtrauen die Ge-
ſchäfte zu erſchweren. Er war in allem Rechten und
Billigen gern gefällig, und Niemand konnte ſich mit
Urſache über ihn beklagen. Dafür hutte er aber auch
die Befriedigung, daß Jedermann ſeine Rechtſchaffen-
heit anerkannte, und mit Achtung den Namen Völkner
ausſprach, ja daß in kurzer Zeit gar kein Verſuch mehr
gewagt wurde, ihn von ſeiner Pflicht zu verlocken;
und das iſt gewiß die höchſte Achtung, welche der Red-
lichkeit werden kann, wenn der liſtige Betrug ſelbſt
den Verſuch, etwas über ſie zu gewinnen, für verlo-
rene Mühe hält. ö ö
Außer ſeinem Amte waren ihm die Pflichten der
Freundſchaft am heiligſten. Sein weich geſchaffeues
Herz gab ſich gern der ſüßen Vertraulichkeit hin, de-
ren nur eine edle Seele fähig iſt; die Trockenheit ſei-
ner Berufsgeſchäfte hatte ihn nicht gegen fremde Lei-
den und Frenden vertrocknet. Oft war ſein Vertrauen
freilich gemißbraucht worden; allein doch nur immer
höchſtens auf Unkoſten ſeines Beutels, und nie von de-
nen, die ihm die Theuerſten waren; hier war ſeine
Wahl ſelten unglücklich geweſen. Werth, edle Freunde
zu finden, fand er ſie. — Wenn er dann in ihrem
traulichen Kreiſe ſaß in dem Gärtchen, deſſen Schat⸗—
ten und Blüthen er ſelbſt zog, der Abend unter geiſt-
reichen Geſprächen oder freundſchaftlichen Plaudereien
hinſchwand, und ein Glas Wein Herz und Zunge lö-
ſete: dann konnte er oft im Hochgefühle ſeines Glückes
aufſtehen, ſeine Arme feierlich über ſeine Freunde hin-
breiten und der Vorſehung danken, die ihm ſo ſchöne
Tage verlieh im Herbſte eines Lebens, deſſen Frühling
nur Arbeit und Mühſeligkeit zu verheißen geſchienen
hatte; dann drückte er ſeine Freunde an ſein Herz
und ſegnete ſie für die Liebe, die ſie ihm gewährten.
Ihr ſeid Alle gelehrter, aufgeklärter, gebildeter,
als ich, ſagte er zu ihnen; denn ich bin nur ein ſehr
gewöhnlicher Menſch, hatte in meiner Jugend nicht Ge-
legenheit, viel mehr zu lernen, als leſen, ſchreiben,
und rechnen, und was denn noch ſo zur höchſten Noth-
durft gehört; gegen Euch, meine Freunde, komme ich
mir oft ſo gering vor, und doch wieder ſo bedeutend,
da Ihr mich liebet und traget.
Gelehrter, lieber Völkner, erwiederte dann Dieſer
und Jener, mögen Einige von uns wohl ſein, aber
wahrhaft aufgeklärter und menſchlich gebildeter, als
Sie, ſchwerlich, und edler und beſſer gewiß nicht.
Dieſes Zeugniß ſeines Werthes ehrte ihn deſto
mehr, je gebildeter der Kreis war, den er um ſich ver-
ſammelte, ein Kreis, nicht zahlreſch, doch um ſo gewähl-
ter. Sein Haus ſtand zwar jedem Verdienſte offen
und er ſahe es gern, wenn ſeine vertrauteren Freunde
ihm eine neue, intereſſante Bekanntſchaft zuführten;
allein ſie mußten darin ſehr vorſichtig ſein; denn er
hatte einen ungewöhnlichen Scharfblick, wahres Ver-
dienſt vom Scheinverdienſte zu unterſcheiden. Herzens-
güte war der Hauptſchlüſſel zu ſeinem Herzen. Konnte
lollsblut.
ridelberger
Nr. 31.
Mittwoch, den 19. April 187¹.
4. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſiag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer A 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
ö und bei den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö
Das Opfer des Herzens.,
Erzählung von G. Reinbeck. ö
Völkner lebte mit der Welt und mit ſich ſelbſt in
Frieden. Seine Wünſche waren nie höher geſtiegen,
als das Schickſal ihn geſtellt hatte, und er kannte kei-
nen größeren Stolz, als den, die Pflichteu des Poſtens,
den ihm die Vorſehung, wie er gläubig wähnte, hie-
nieden anvertrauet hälte, in ihrem ganzen Umfang zu
erfüllen. Er hatte das Gebiet ſeines Wirkens ſich ſtreng
abgeſteckt. Darüber hinauszugehen, hielt er nicht nur
für unnütz, ſondern ſelbſt für unrecht; denn die Erfah-
rung hatte ihn gelehrt, daß der, welcher zu viel leiſten
will, gemeinhin im Grunde nicht viel leiſtet. Allein
in ſeinem Wirkungskreiſe waren ſeine Anforderungen
an ſich keineswegs gering. Ueber Alles gingen ihm
die Pflichten ſeines Amtes. Er war Zoll⸗Direktor in
einer Reſidenz, die zugleich einen ausgebreiteten Han-
del führte, und verdankte dieſen Poſten ſeiner aner-
tannten Pünktlichkeit und Redlichkeit. Der Miniſter,
in deſſen Buxeau er diente, hatte ihn aus eigener Be-
wegung dahin geſtellt, als einen Mann, auf den er ſich
perlaſſen konnte. Es war eine wichtige Stelle, zu wel-
cher die unerſchütterlichſte Rechtſchaffenheit und die
ſtrengſten Grundſätze erfordert wurden, je ſtärker die
Verſuchung wax, von dem Pfade der Pflicht abzuwei-
cen; denn nicht nur gingen die beträchtlichſten Sum-
men durch des Zoll⸗Direktors Hände, ſondern der Ei⸗—
gennutz ließ auch kein Mittel unverſucht, ihn in ſein
Intereſſe zu ziehen, und es konnte dem nicht ſchwer
werden, dieſen Poſten zu einem der einiräglichſten im
Lande zu machen, der dieſen Lockungen Gehör geben
wollte, ohne daß er gerade Verautwortlichkeit zu be-
fürchten gehabt hätte. Er durfte nur über Manches
ein Auge zudrücken; das war Alles, was man von ihm
erwartete, Wer aber beide Augen ſtets offen behielt,
war unſer Völkner; ohne deßwegen durch unnütze Weit-
läufigkeiten oder durch kleinliches Mißtrauen die Ge-
ſchäfte zu erſchweren. Er war in allem Rechten und
Billigen gern gefällig, und Niemand konnte ſich mit
Urſache über ihn beklagen. Dafür hutte er aber auch
die Befriedigung, daß Jedermann ſeine Rechtſchaffen-
heit anerkannte, und mit Achtung den Namen Völkner
ausſprach, ja daß in kurzer Zeit gar kein Verſuch mehr
gewagt wurde, ihn von ſeiner Pflicht zu verlocken;
und das iſt gewiß die höchſte Achtung, welche der Red-
lichkeit werden kann, wenn der liſtige Betrug ſelbſt
den Verſuch, etwas über ſie zu gewinnen, für verlo-
rene Mühe hält. ö ö
Außer ſeinem Amte waren ihm die Pflichten der
Freundſchaft am heiligſten. Sein weich geſchaffeues
Herz gab ſich gern der ſüßen Vertraulichkeit hin, de-
ren nur eine edle Seele fähig iſt; die Trockenheit ſei-
ner Berufsgeſchäfte hatte ihn nicht gegen fremde Lei-
den und Frenden vertrocknet. Oft war ſein Vertrauen
freilich gemißbraucht worden; allein doch nur immer
höchſtens auf Unkoſten ſeines Beutels, und nie von de-
nen, die ihm die Theuerſten waren; hier war ſeine
Wahl ſelten unglücklich geweſen. Werth, edle Freunde
zu finden, fand er ſie. — Wenn er dann in ihrem
traulichen Kreiſe ſaß in dem Gärtchen, deſſen Schat⸗—
ten und Blüthen er ſelbſt zog, der Abend unter geiſt-
reichen Geſprächen oder freundſchaftlichen Plaudereien
hinſchwand, und ein Glas Wein Herz und Zunge lö-
ſete: dann konnte er oft im Hochgefühle ſeines Glückes
aufſtehen, ſeine Arme feierlich über ſeine Freunde hin-
breiten und der Vorſehung danken, die ihm ſo ſchöne
Tage verlieh im Herbſte eines Lebens, deſſen Frühling
nur Arbeit und Mühſeligkeit zu verheißen geſchienen
hatte; dann drückte er ſeine Freunde an ſein Herz
und ſegnete ſie für die Liebe, die ſie ihm gewährten.
Ihr ſeid Alle gelehrter, aufgeklärter, gebildeter,
als ich, ſagte er zu ihnen; denn ich bin nur ein ſehr
gewöhnlicher Menſch, hatte in meiner Jugend nicht Ge-
legenheit, viel mehr zu lernen, als leſen, ſchreiben,
und rechnen, und was denn noch ſo zur höchſten Noth-
durft gehört; gegen Euch, meine Freunde, komme ich
mir oft ſo gering vor, und doch wieder ſo bedeutend,
da Ihr mich liebet und traget.
Gelehrter, lieber Völkner, erwiederte dann Dieſer
und Jener, mögen Einige von uns wohl ſein, aber
wahrhaft aufgeklärter und menſchlich gebildeter, als
Sie, ſchwerlich, und edler und beſſer gewiß nicht.
Dieſes Zeugniß ſeines Werthes ehrte ihn deſto
mehr, je gebildeter der Kreis war, den er um ſich ver-
ſammelte, ein Kreis, nicht zahlreſch, doch um ſo gewähl-
ter. Sein Haus ſtand zwar jedem Verdienſte offen
und er ſahe es gern, wenn ſeine vertrauteren Freunde
ihm eine neue, intereſſante Bekanntſchaft zuführten;
allein ſie mußten darin ſehr vorſichtig ſein; denn er
hatte einen ungewöhnlichen Scharfblick, wahres Ver-
dienſt vom Scheinverdienſte zu unterſcheiden. Herzens-
güte war der Hauptſchlüſſel zu ſeinem Herzen. Konnte