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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 44 - Nr. 51 (3. Juni - 28. Juni)
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Nr. 46.

Samſtag, den 10. Juni 1871.

.

Grſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 1 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckeret, Schiffgafft 4
D uund bet den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. —

Eine Redoute.
(Eine Erzählung.)
Saluß.)

Am Tage vor dem beſtimmten Maskenball fiel es
Molly ein, den Inhalt des ihr von der Amtsräthin ge-
ſchenkten Päckchens in Augenſchein zu nehmen. — Manche
meiner Leſerinnen werden es vielleicht ſehr unwahr-
ſcheinlich und ganz unvereinbar mit der dem weiblichen
Geſchlecht angeſtammten Neugierde finden, daß dies
nicht früher geſchah; allein — ſo oft auch Molly im
Begriff war, das kleine Geheimniß zu entſiegeln, ſo
ward ſie doch immer durch eine ihr ſelbſt unbegreif-

liche Scheu davon zurück gehalten. —

Jetzt aber öffnete ſie das dichtverhüllte Päckchen.

Ein ſchönes ideates Gewand ſtellte ſich ihren überraſch-
ten Blicken dar, und als Molly jedes Stück deſſelben
E die niedlichen Sandalen, das weißſeidene Unterkleid,
das Oberkleid von grünem mit Silder geſticktem Flor,
den Kamm mit der ſchimmernden Mondesſichel, den
Köcher mit feingeſpitzten Pfeilen, den- Bogen von Eben-
holz, das kleine vergoldete Hüfthorn am ſilbernen Bande
E betrachtet hatte, konnte ſie nicht zweifeln, das es
das Gewand der Diana ſei. — „Alſo die Göttin der
Jagd!“ lispelte ſie ſtill für ſich, und ein flüchtiger Ge-
danke an den Oberförſter überzog ihre zarten Wangen
mit dem Karmin der holdeſten Scham.
* Der letzte Februar erfchien ondlich. — Mollys Ban-
gigkeit' vermehrte ſich mit jedem Glockenſchlage. Das

Licht des Tages machte dem Schatten der Dämmerung

Raum, und Molly kleidete ſich nun — obgleich zitternd

—an. Die Amtsräthin mußte! in genauer Gemein-

ſchaft mit den Grazien und Halbgöttinnen ſtehen, denn
dieſer Anzug ſchien von den Himmliſchen ſeibſt ange-
ordnet zu ſein, und Molly erbedte — freudig erſchrocken
— Hi won ihrer eigenen Schönheit. Der Syndikus
prallte drei Schritte vor dem herrlichen Götterbilde,
in w elches ſeine⸗Aleine anſpruchloſe Molly ſo plötzlich
verwandelt war, zurück, und Julie konnte ſich einer
„Regung des Neides unmöglich erwehren. — Jetzt fuhr
— in Wagen voͤr. Ein Bedienter in prächtiger Livree
„erſchien und ineldete, er habe Befehl, das Fränlein

abzuhslen. — Molly ſtieg ein. Bebend trat ſie in den

hell eikeuchteten Revoutenſaal. —Aller Blicke wichteten
ſich auf die wunderniedliche Maste; mäanhörte laute


16.7˙7

Ausrufungen des Beiſalls. Nun eilten ſechs ſchlanke
Waldnymphen herbei und bildeten Dianens Gefolge.

Eim hochgewachſener, ſchöngeſtalteter Aktäon wollte ſich

dieſem Zuüge anſchließen, ward aber von den Nymphen,
lachend und ſpottend zurückgewieſen. Mollys Herz er-
kannte in ihm den Oberförſter. —11
Die Neuheit und der Reiz dieſes Vergnügens ver-
fehlten ihre Wirkung auf Molly nicht. Der Anblick der
bunten Traumwelt — der Zauber herrlicher Tanzmuſik
— das Bewußtſein der Nähe und des Schutzes gelieb
ter Perſonen — ſtimmten die Unſchuldige zur liebens-
würdigſten Fröhlichkeit. — Dianens Nyinphenchor
ſchwang ſich im raſchen Walzer und die von demſelbei
verlaſſene Göltin, welche dieſen Tanz ausgeſchlagen

hatte, lächelte freundlich dem Hirſchkopf des Aktäon zuͤ,

der jetzt von den neckenden Nymphen nicht abgehalten

wurde, ſich der Holden zu nähern. — „Schöne Diana
ſagte er feurig: „Dein Zürnen raübte mir einſt die
Menſchheit — dein Lächeln macht mich heute zum Gott !“

Es ſchlug zwölf. Die anweſende Polizeiperſon kün-

digte an, daß man ſich demaäskiren ſolle. Die Larven
ſanken — und die Amtsräthin, eine der muthwilligen
Nymphen, ſchloß MollyDianen freudetrunken in ihte
Arme. Aktäon ward zum Oberförſter. Er benutzte den
erſten ungeſtörten Augenblick, dem Mädchen das lie-

bende, verlangende Herz zu öffnen und bat mit inni-

ger Offenheit und mit der Kürze des ſich ſeines Wer-
thes wahrhaft bewußten Mannes üm die kleine Häl,
welche ſo ſanft. Wunden zu verbinden verſtehe. — Die

ſüße Verwirruug, in weiche die überraſchte Molly durch

dieſen Antrag verſetzt wurde, ſprach zum Vortheil des

Drängers, der an den Syndikus gewieſen ward. Ge-
nug — unſere jungfräuliche Göttin fuhr als Braut näch

Hauſe. 2* —— *
Am folgenden Morgen ließen ſich die Amtsräthin
und der Oberſörſter bei dem Syndikus melden, und

Molly — dem Oheim das Frühſtück darreichend — er-
glühte und zitterte ſo heftig, daß die Taſſe klirrte. —
„Die Gemeldeten wurden angenommen und der Ober-

förſter trug, unterſtützt von der wohlredenden Schwe-
ſein Anliegen vor. Der alte Mann verbarg ſeine Rüh-

rung hinter einem komifchen Ausfall. „Ei, ei!“ ſagte

er, „das geht ſehr raſch!: Nach jedem Maskenball ein

Freier! wenn ich mehrere Töchter hätte, und ſie än

den Mann zu bringen wünſchte, ſo dürfte ich ſie ja nur

auf die Redoute ſchicken, um meinen Zweck zu errei-

chen. Iſt. dieſer Erfolg als der allgemeine anzuneh-
men, ſo begreife ich nicht, warum die Mäskeraden nicht
 
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