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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 96 - Nr. 104 (2. Dezember - 30. Dezember)
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Nr. 99.

Mittwoch, den 13. Dezember 1871.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe A

und ber den Trägern

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Leid und Lö ſung.
Eine Weihnachtsgeſchichte von Hermann Klerke.

Es iſt der Abend vor Weihnachten. Am Himmel
hängen Schneewolken; Bäume, Dächer, Straßen ſind
weiß überzogen, als hätten ſie ihr reines Winterfeſt-
kleid eben angelegt; geſchäftige Menſchen gehen oder
rennen ihres Weges, wir aber richten unſere Blicke
nach einem alten anſehnlichen Hauſe und ſehen in das
Innere eines Zimmers, das ſich im zweiten Stockwerk
deſſelben befindet. Hier ſitzt vor ſeinem Schreibtiſch
ein noch jugendlicher Mann, der den ÄAafang der Drei-
ßige kaum überſchritten hat, der Kaufmann Richard

Frank. Er iſt im Sinnen und Rechnen ſo vertieft, daß

er kaum hört, wenn ihm ein Windſtoß wieder eine La-
dung Schnee an's Fenſter wirft und die Flammen im
Kamin ſauſend dabei auflodern. Sein treuherziges
Geſicht trägt unverkennbar den Ausdruck der Ehrlich-
keit und des Wohlwollens. Auch die Empfänglichkeit,
warm und lebendig an der Freude theilzunehmen, ſpricht
daraus; heute aber iſt es ſo verdüſtert, als ob ein
ganzes Nachtgewölk von Kummer und Sorge darüber
hinge — heute am Vorabend des Feſtes! —
Wenn wir bein Flackerſchein des Kaminfeuers an
den Wänden umherſchauen, ſo finden wir in der Aus-
ſtattung des Stübchens nichts von hervorragender Ele-
ganz und geſuchtem Luxus; aber im Einzelnen und
Ganzen wirkt Alles wohlthuend auf uns, Alles ſtimmt
zu einander, kein ungehöriges, unleidliches Etwas ſtört
uns; hier, meint man, müſſe Jeder ſich heimiſch und
behaglich fühlen, weun er nur ſonſt ein gutes Gewiſ-
ſen hat.
O, an dem guten Gewiſſen fehlt en dem ſorgenvol-
len Rechner, der heute nicht in's Reine zu kommen

ſcheint, keineswegs; wohl aber an Etwas, das auch die
beſten Menſchen nicht entbehren können, denn wie ge-
ringſchätzig man das Geld auch anſehen möge, ſo bleibt
es immerhin eine Macht, die unter Umſtänden in die
menſchlichen Verhältniſſe hart und gewaltſam eingreift,
lähmt und vernichtet. ö

In einem ſolchen Falle ſchien ſich Frank zu befin-

den. Als ſein Vater vor fünf Jahren ſtarb, hinterließ
ihm derſelbe nur ein ſehr mäßiges Vermögen, wohl
aber den Segen, den eine langjährige makelloſe Ge-

entdeckt, beſaß e⸗nicht.

Dingen Alles abhängt, ſo war es auch hier.

ſchäftsführung auf den Sohn und Nachfolger vererbt.
Und dieſes wohlbegründete Vertrauen feſter Ehrenhaf-
tigkeit war immerhin ein Capital von Bedeutung! Der
junge Frank rechtfertigte in jeder Beziehung den ihm
überlieferten Credit. Man übertrug nicht ſelien
ihm anſehnliche Kommiſſionen und vorſichtig in ſeinen
eigenen Unternehmungen, hütete er ſich wohl, das Maß
ſeiner Kräfte zu überſpannen. Der Weg zum Reich⸗—
thum iſt bei weitem nicht ſo gefahrlos, wie er ſcheint,
wenn man nur die in's Auge faßt, welche ihn glück-
lich zurücklegten und nicht die Opfer zählt, die rechts
und links den Abgrund hinabſtürzten. ö
Aber Frank hatte auch zwiefachen Grund, ſein klei-
nes Vermögen mit rechter Vorſicht zu behandeln, denn
er ſorgte ja zugleich für ein herziges gutes Weib und-
für ein liebes Kinderpärchen.
geweſen, daß er nicht immer an dieſe drei und deren
Zukunft hätte denken ſollen! Seit vier Jahren war er
verheirathet. Es war ein Bund gegenſeitiger Neigung.
Anna war die Tochter eines Beamten, der ſie vollkom-
men mittellos hinterlaſſen hatte, wenn man die An-
muth ihrer äußeren Erſcheinung und eine Anzahl der
beſten weiblichen Eigrnſchaften nicht auch als „Mittel“
gelten laſſen will. Zum mindeſten beſtand ihre Mit-
gift nur aus ſolchen. Gleichwohl konnte ſie ſagen, daß
ſie dem Gatten zwar keinen Reichthum zugebracht, doch
ihm zu Liebe welchen ausgeſchlagen. Der Kommiſſions-
rath Bergemann, ein ſehr reicher Am in Geſchäftsſa-
chen ſonſt feſtgehärteter Geſchäftsſtiaß“s hatte ſich gleich-
zeitig mit Frank um ihre Haud bewl gen. Er bot ihr
Häuſer, Brillanten, prächtigen Zferdé und Wagen und
Alles, was ein hoffährtiges ges Mädchen nur im-
mer an Glanz verlangen konnte. Aber Anna war nicht
hoffährtig. Dieſe Dinge, deren Werth im wirklichen
Leben ſie nicht zu ſchätzen vermochte, ließen ſie kalt.

Sie wollte ſtatt alles deſſen nur etwas recht Unbedeu-

tendes — ja, es iſt lächerlich zu ſagen, — ein war-
mes und fühlendes Herz. Und wie es manchmal im
Leben vorkommt, daß von den kleinſten unſcheinbarſten
ö Dieſe
unbedeutende Kleinigkeit, dieſes Herz, auf welches Ber-
gemann ſo gar keinen Werth legte, ja, das er mit dem
Kehricht zum Feuſter hinausgeworfen hätte, wenn er's
Auch ließ ſich der mangelnde
tal heucheln, bis die Hochzeit vorüber
war, denn der feine Inſtinkt, mit dem das weibliche
Gemüth in ſolchen Dingen begabt iſt, läßt ſich ſo leicht
nicht täuſchen. In dieſem Falle ſprach überdies die

Wie wäre es möglich
 
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