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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 35 - Nr. 43 (3. Mai - 31. Mai)
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ollsblatt.

Heildlelberger

Nr. 87.

4. Jahrg.

Mittwoch, den 10. Mai 1871.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
und ber den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Des Lebens Wendungen.
Aus einem Tagebuche.

Eine gefährliche Krankheit, welche in weiner Vater-

ſtadt große Verheerungen anrichtete, entriß mir früh
meine Eltern und ſtellte mich zu denen, die zu jener

unglücklichen Zeit ſchutzhlos und verwaist an den Grä⸗—
bern ihrer theuerſten Anverwandten weinten. Doch
das ſollte nicht das einzige Unglück ſein, welches mir
beſtimmt war. Mein Vater, einer der angeſehenſten
Banquiers meiner volkreichen Vaterſtadt, erlebte noch
vor ſeinem plötzlichen Dahinſcheiden den Fall ſeines
Hauſes; er ſtard in Noth und belaſtet mit den Thrä⸗—
nen derer, die durch ſeinen Fall verarmten oder doch
Verluſte erlitten. Mein Bruder, der Einzige, der mit
mir die ganze Tiefe unſeres Elends empfand und
theilte, ward fern von mir von einem kinderloſen Ver-
wandten meines Vaters aufgenommen, und ich mußte
in dem Hauſe des Bergraths Franke fortan leben.
Dieſer, ein Bruder meiner guten Mutter, war gut wie
ſie, doch ſeine Gattin, die mich ungern bei ſich auf-
nahm und immer wie eine ſchwere und unnütze Laſt,
welche ihr die überflüſſige Güte ihres Mannes aufge-
laden hatte, betrachtete, behandelte mich wie eine ſolche
und ließ mich das ganze Gewicht ihres Unwillens em-
pfinden. Die erſte Zeit meines Aufenthalts in ihrem
Hauſe zog wie en ſchwerer Traum an mir vorüber.
Meine ganze Seele war noch zu ſehr mit dem Anden-
ken der theuren Verlorenen beſchäſtigt, um Zeit und
Raum für Empfindungen andrer Art übrig zu haben;
doch aus dieſem Zuſtande düſterer Betäubung weckte
mich endlich der Druck der Gegenwart. Nicht mehr
wachte die zärtlichſte Elternſorge für alle meine Bedürf⸗—
niſſe und gab ungefordert und ungemeſſeu; nicht mehr
bildete ihre Liebe einen geheiligten Kreis um mich her.
Mit kaltem fremden Herzen liehen mir jetzt unfreund-
liche Verwandte ſpärlich und mit Widerwillen, was ich
bedurfte als Pfand ihres Erbarmens. Ich hörte das
Andenken meines Vaters verunglimpfen, ſeiner Hand-
lungen und Grundſätze ſpotten und ſah die Freude,
mit der man ſeines Falles von dem Gipfel des Glückes,
auf welchen ihn einſt Reichthum und ein unbefleckter

Lebenswandel geſtellt hatten, gedachte. Geduldig ſchwieg
ich bei allen den vielfachen Kränkungen, die nur mich

ſelbſt trafen, und die meine Taute und ihre Töchter

mich reichlich empfinden ließen; doch nicht mit demſel-
ben Gleichmuthe vermochte ich die boshaften Angriffe,
welche die Aſche meiner Eitern befleckten, zu ertragen.
Ihre Vertheidigung trug mir nur hämiſchen Spott ein,
ohne die Abſichten derer zu berichtigen, die ſo hart und
ungerecht waren. die Handlungen eines Mannes, der
ſie in den Tagen ſeines Glückes mit Wohlthaten über-
ſchüttet hatte, herabzuwürdigen, als er verarmt in das
Grab geſunken war. Strenge zu rügen, was vielleicht

nur Bedauern verdiente, iſt ja ſo gewöhnlich in unſern

Tagen! — Die Forderungen der Gläubiger wurden
indeß doch größtentheils berichtigt, als nach näherer
Unterſuchung noch große ausſtehende Zaͤhlungen einge-

zogen waren; während aber dieſe entſchädigt wurden,
ging ein Neffe der Gattin meines Oheims, der Hofrath

Frankenſtein, allein leer aus, und das vermehrte
den Unwillen meiner Tante und ihrer Töchter gegen
mich. Frankenſtein lebte in B. — Sein Onkel, ein
Sonderling ohne Gleichen, ſand einſt ſeine größte Freude
daran, Edelſteine von hohem Werthe zu beſitzen, und
verwendete zu ihrem Ankaufe den größten Theil ſeiner
großen Einkünfte. Da er unverheirathet war und ein-
fach lebte, konnte er eine bedeutende Sammlung zu-
ſammenbringen. Als ein ächter Kenner geſucht, war

er gern und mit ſeltener Gefälligkeit den reichen Frauen

der Stadt, ſelbſt ihm faſt fremden, bei Ankaufe oder
der Anordnung von Edelſteinen zur geſchmackvollen
Einfaſſung mit ſeinem Rathe behülflich. So waren
auch die Juwelen meiner reich begüterten Großmutter
und die meiner einſt eben ſo reichen Mutter noch kurz
vor dem Tode meiner Eltern herrlich und geſchmackvall
zum prächtigſten Halsgeſchmeide umgearbeitet und zu-
ſammengefügt worden. — So lebte er denn mehrere
Jahre hindurch nur dem Genuſſe ſeiner glänzenden
Lieblinge, und dieſer Genuß beſtand hauptſächlich nur

in der Betrachtung und dem Ankaufe mehrerer und im⸗—

mer werthvollerer derſelben; er lebte einſach und ſpar⸗—
ſam, um nur ſchöne Juwelen ſammeln zu können. Als.
endlich der Tod Miene machte, den rändelnden Alten
von ſeinen Spielereien abzurufen und an ein ernſtes
Ziel zu führen, war die Hauptſorge des Dahinſcheiden-
den die, ſeinen reichen Schatz ungetheilt und unzerſplitt
tert den Händen eines einzelnen Erben anzuvertrauen,
und er gönnte ihn Keinem mehr als ſeinem Neffen
und Lieblinge, den er faſt ſo ſehr als ſeine Juwelen
liebte, dem jungen Hofrath Frankenſtein. Dir große
Jugend des Erben ſchien aber Vorſicht nöthig zu ma-

chen, und darum ward meinem Vater für's Erſte die
 
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