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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 52 - Nr. 60 (1. Juli - 29. Juli)
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Heidelberger Volksblatt.

Nr. 56.

Samſtag, den 15. Juli 1871.

4. Jahrg.

Geſcheint WMittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
und ber den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

———

Die Roſe und das Schaffot.
(Forſetzung)

Die Landbewohner gehen zeitig zu Bette; in Schlöſ-

ſern wie in Hütten herrſcht hierin ziemlich dieſelbe
Gewohnheit. Man ſteht gern mit der Morgenröthe
auf, nachdem die Nacht im Bette zugebracht wurde, und
hält es nicht für reizend, wie in Paris, mit Sonnen-
aufgang ſchlafen zu legen. Halb elf Uhr ſah man nur
noch ein einziges Licht bei Frau Marceau, nämlich das
Blankas. Die junge Vendeerin ging in ihrer Stube
nachdenklich und mit beklommenen Herzen auf und ab;
der General kam übermorgen; Fräulein Beaulieu war
nahe dran, die Träume ihres Glücks wahr zu ſehen,
und ſich in einer ſüßen Wirklichkeit zu berauſchen, wäh-
rend ſie in zwölf ſchlafloſen Nächten nur ein angeneh-
mes Traumbild geliebkoſt hatte. Die Schwärmerei Lie-
bender iſt ſtets unachtſam; Blanka dachte nicht daran,
die Vorhänge ihres Fenſters zuzuziehen. Sie entklei-
dete ſich inſtinktmäßig, ohne an das zu denken, was
ſie that. Ihr Militärfrack hing ſchon auf einer Stuhl-
lehne; die netten Fingerchen, nicht minder zerſtreut,
als der Wille, welcher ſie lenkte, knöpften langſam ein
weißes Weſtchen auf und entfernten dann eine Hals-
binde von ſchwarzer Seide, wodurch ein blendendwei-
zer Hals zum Vorſchein kam-
Nie hatte ein Mann einen ſo weißen Hals, ſprach
pon Außen eine Stimme, die Blanka nicht hören konnte.
Jetzt nahm Fräulein Beaulieu das nothe Mützchen
ab, was ſie ſtets auf dem Kopfe trug, ſogleich bedeckte
ein langes blondes Haar ihre Schultern.
Wahrhaftig! ich zweifle ſchon nicht mehr daran, be-
gann die Stimme draußen, aber wir wollen noch war-
ten. Zum Henker! wenn die ſchöne Maske nicht vor-
ſichtig iſt, ſo kann die Beſtätigung meines Argwohns
weit führen, wie ich hoffe.
Blanka, ausſchießlich in Gedanken vertieft, welche
ſie völlig beherrſchten und die ihr in dieſem Augen-
blicke aus den Augen leuchteten, gerieth durch die Hoff-
nung in eine Verzückung, wobei ſie weder ſah noch
hörte, noch auch von dieſem unverſtändigev Sichſelbſt-
überlaffen irgend eine Gefahr fürchtete. Natürlich
kannte ſo die Unklugheit des armen Kindes weder Maß
noch Ziel.

Bin ich wirklich ſeiner würdig?.— ſprach Fräulein

ſtiegen.

Seaulieu, ſich einem dem Fenſter gegenüber befindlichen

Spiegel nähernd. — Dieſe Augen — findet man ſchön

— außerdrm drücken ſie ſo viel Liebe aus! — Dieſe
Haut iſt, wie mir oft geſagt wurde, weiß; man ver-
glich ihre Feinheit mit der- des Atlas. — Bei dem
Heißgeliebten wird mein Geſicht ein ſo lebhaftes Colo-

rit annehmen! — Mehr wie einmal hat man die Friſche

dieſes Mundes und die Zähne bewundert, welche von
den Lippen nur hald verborgen werden. — Wie oft
werde ich nicht damit ſagen: Ich liebe Dich! Wie
häufig werden ſeine Küſſe ſein.! — ö
Verdammt! rief Jemand im Tone wollüſtiger Auf-
regung, und ich ſollte einen ſolchen Schatz den Liebko-
ſungen jenes hochmüthigen Soldaten überlaſſen? Nein,
bei allen Teufeln, er ſoll ihn nicht genießen. Dies
Weib kann nicht mein werden; er ſoll ſie auch nicht ha-
ben. — Hölle und Verdammniß! ich will, daß ſie kei-
ner erhält. Man zerſchlägt, zerſtört, vernichtet gern
ein Gut, was man nicht beſitzen kann. — Warum ſoll.
der Verſchmähte nicht auch ſeine Freuden haben?

Wir müſſen jetzt einen Umſtand der Erzählung er-
läutern; der Hund nämlich, welcher gewöhnlich des
Nachts im Hauſe der Frau Marceau wachte, war nicht,
wie öfters, von ſeiner Liebe zum Herumſchweifen, in's
Weite getrieben worden. Das arme Thier wurde Tags
vorher an der Ecke eines Gäßchens von einer gedun-
genen Hand ergriffen, und mit einem Steine am Halſe,
in den benachdarten Teich geworfendb —
Torquatus, von dieſem unbequemen Wächter be-
freit, hatte gegen zehn Uhr Abends, mit einer leichten
Leiter verſehen, die uns bekannte Gartenmauer über-
Mit Hülfe deſſelben Inſtruments, was er un ⸗m
ter dem Fenſter Blankas anlehnte und ſich ſeiner gan-
zen Länge bediente, ſah der Spion in das Zimmer,
ohne ſehr zu riskiren, bemerkt zu werden. Wäre er
ertappt worden, ſo hätte er ſich, nach Art der engli-
ſchen Laternenzünder, auf die Erde gleiten laſſen, was
aber nicht nöthig war. Torquatus hatte Alles nach

Wunſch bemerkt und gehört; jetzt werden wir ihn mit

aller der Schnelligkeit handeln ſehen, womit der Böſe-
wicht Unheil anzurichten weiß, mit aller der Gewandt-
heit, die Jemand beſitzt, welche aus dem Hintergrunde
einer Küche die Handlungen der Jeſuiteu berbachtete.
Früh um ſechs Uhr klingelte der berühmte Clubbiſt
an der Thür eines Volksrepräſentanten, der damals
eine Sendung nach Chartres erhalten hatte. ö
Blanka wurde noch deſſelben Tages nach Chartres
 
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