Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

DOI Kapitel:
Nr. 61 - Nr. 69 (2. August - 30. August)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44617#0261

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 65.

Mittwoch, den 16. Auguſt 1871.

4. Jahrg.

Grſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
—— und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Der Fremde.
(Fortſetzung und Schluß.)

Muth und Gewandtheit führten mich bald auffglän-
zendere Wege, der Wurm verletzter Ehre nagte an mei-
nem Innern, ihn zu beſchwichtigen, ſtürzte ich mich in
die größten Gefahren, unzählige Mal wagte ich mein
Leben, um Ruhm und äußeren Glanz zu erwerben,
und meine ehrgeizigen Wünſche gingen in Erfüllung.
Man nannte mich Kapitän, heftete dieſes Ehrenzeichen
auf meine Bruſt und vertrauete mir ein eigenes Schiff.
Mein Geſchäft war Raub! und darin eben lag für
mein erbittertes Gemüth eine wilde Befriedigung; denn
mit meinem Kaperbriefe verſehen, durfte ich ja nun
das Geſetz verhöhnen, deſſen erſte Beleidigung an mei-
nem Vater ſo hart geahndet wurde. So erwarb ich

Schätze über Schätze. Aber Dein liebliches Bild ben

gleitete mich, mit der Erinnerung an meine ſchuldloſe
Jugend, überall; im weiten. Ocean, wie an den Küſten
ferner Welttheile, und mitten in meiner gefährlichen
Laufbahn ergriff mich mächtig die Sehnſucht nach mei-
ner Heimath. So kam ich hierher zurück, um Dich,
wenn Du noch lebteſt, mit mir zu nehmen; oder Dei-
ner Schlummerſtätte und den Gräbern meiner Eltern
einmal noch den Zoll der Liebe zu bringen. — Es iſt
alles anders gekommen, Margaretha! als ich dachte.
Du ſiehſt nicht allein meine Ehre, auch mein Leben be-
fleckte die Schuld, und eine Scheidewand iſt zwifchen
uns gezogen, größer denn je!“.
Laut ſchluchzend drückte Margaretha ihr Geſicht an
die Schulter des Kindes. —
„Weine nicht!“ fuhr Emmerich fort, „wir ſind ge-
ſchieden für die Erde, aber dort an dem Throne eines
milden Richters biſt Du wieder mein. — Dein An-
blick, Deine Tugend hat-mich entſündigt. Hier, Du
Heilige, ſieh' mich vor Dir im Staube liegen,“ flüſterte
er leiſer, und kniete dicht neben ihr nieder. „Ich ge-
lobe Dir, meine Schuld dem Vaterlande abzutragen!
Lege Deine reine Hand auf mein ſchwer beladenes
Haupt und weihe mich ein zu einem beſſeren Leben.“
„Der Allliebende ſegne Deine Entſchlüſſe!“ lispelte
Margaretha, drückte mit der Linken das Kind an die

wogende Mutterbruſt, blickte zum Himmel und ließ

ihre Rechte eine Minute lang auf ſeinem Haupte
ruhen. ö

Emmerich ſtand geheiligt wieder auf. „Eines noch
bitte ich von Dir,“ verſetzte er ſanft und freudig, „ich
habe den alten Anton Ripen geſprochen, er kannte
mich aber nicht. Bringe ihm daher meinen Gruß und
ſage ihm, ich würde mein Wort halten, er ſehe mich noch
wieder. Auch Du, Margaretha. wirſt mich noch ein-
mal ſehen, bevor ich hinüber ſchreite in die langen
Grauen der Ewigkeit. — Das Geld, welches ich Dei⸗—
nem Manne zur Aufbewahrung gegeben, vertheile zur
Hälfte unter die Dürftigen im Dorfe; die andere Hälfte

aber überlaß ihm. — Und nun, Margaretha, meine
Margaretha, lebe wohl!“ ö
„Lebe wohl!“ erwiederte ſie ſchmerzvoll gefaßt.
Emmerich drückte leiſe die Lippen auf ihre Stirn,
küßte jedes ihrer Kinder zweimal und entzog ſich ſchnell
ihren nachfolgenden Blicken. —
Ob auch alle Mächte des Geſchicks ein liebendes
Paar zürnend verfolgeu, die Gelegenheit hört nie auf,
ihnen günſtige Blicke zu ſpenden. Sie hatte auch dies-
mal für die Liebenden gewacht, daß kein lauſchender
Störer den Austauſch ihrer Herzen hemmte. Marga-
rethens Gatte kam erſt ſpät am Abend heim, nachdem
ſie den erſten Sturm im Buſen ſchon beſchwichtigt
hatte. Zwar ſah er ſeine Erwartung unangenehm ge-
täuſcht, als er den Fremden, deſſen Erſcheinung ſeine
Neugierde ſo ungemein ſpannte, nicht mehr vorfand;
jedoch der Auftrag zur Vertheilung des Geldes erfreute
ihu in doppelter Hinſicht, und er ſelbſt half ihn Mar-
garethen ausführen; denn obgleich nicht frei von Ge-
winnſucht, überſtieg er doch nie die Schranken der Recht-
lichkeit, und theilte ſtets den Armen gern und freudig
mit; theils weil er ſelbſt Luſt am Geben fand, theils,
weil er den feſten Glauben nährte, daß der Himmel
ſolche Gaben reichlich vergüte.
Margaretha traf nun ſolche Anſtalten, daß mit Em-
merichs Gelde jedem Mangel, womit der kommende
Winter den Dürftigen droh'te, abgeholfen wurde, und
die Segenswünſche der unerwartet ſo reichlich Unter-
ſtützten für den wohlthätigen Fremden drangen zum
Thron der ewigen Güte. Ihre zahlloſen Gebete für
den Helfer aus der Noth verfehlten das Ohr des All-
mächtigen nicht, denn zu ihm trägt ein Engel die Thrä-
nen auf, welche die Dankbarkeit der hülfreichen Liebe
weint und jede löſcht eine That mehr im Schuldbuche
des Retters aus.
Der Fremde ſelbſt war und blieb verſchwunden und

ſeine Erſcheinung dem ganzen Dorfe ein Räthſel, bis

Nanf Anton Ripen und Margaretha, die ſich gegenſeitig
 
Annotationen