Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

DOI Kapitel:
Nr. 26 - Nr. 34 (1. April - 29. April)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44617#0109

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 27.

Mittwoch, den 5. April 1871. „

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſeag. Preis movatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
ö ö und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Zu ſpät.
(Fortſetzung.)

Er kam auch wirklich noch an demſelben Abend.
Mit großen Schritten ging er in dem Zimmer, das
wir beide als Quartier innehatten, auf und FP, die
Stirn in düſtere Falten gezogen. 44
„Ich hätte Dein Vertraueu eigentlich ſchoßz lange
mit gleichem Vertrauen vergelten müſſeu,“ begann er
endlich, vor mir ſtehen bleibend; „Du haſt mir das
Wo, Wann und Woher Deiner Perſönlichkeit ſchon lange

mitgetheilt, von mir weißt Du nichts, als daß ich —,

Dir wenigſtens — ein leidlicher Kamerad bin.“
Ich wollte ihn unterbrechen. ö
„Laß nur,“ wehrte er, „ich weiß, daß ich Unrech
gethan habe, und will ſuchen, daſſelbe wieder gut zu
machen. Die menſchlichen Naturen ſind nun einmal
verſchieden. Ueberdies lag's in dieſen Wochen wie ein
Alp auf mir. Das iſt nun in etwas von mir gewi-
chen, und Du ſollſt einen Einblick thun in ein — ſeine
Stimme ſank faſt zum Flüſtern herab — in ein jam-—
mervolles, zerſtörtes Menſchenlebeu.“
Erſchreckt blickte ich zu ihm auf, aber er hatte ſei-
nen Gang durch's Zimmer wieder aufgenommen. Still
ſetzte ich mich an's Fenſter und blickte, da das Haus
unmittelbar an der alten Stadtmauer lag, in die Land-
ſchaft hinaus, über die ſoeben der Mond voll, groß und
ſchweigend herauſſtieg. Auch Paul trat herzu und ſah
lange in die glänzende Scheibe. Plötzlich wendete er
ſich zu mirn. ö ‚
„Sag' mal, Du gehörſt der Gelehrtenkaſte an, wie
alle Deine Vorfahren ſeit undenklichen Zeiten.
denkſt Du eigentlich über eine ſogenannte Mesallianz,
mit welchen Vorurtheilen biſt Du eigentlich großgeſäugt
worden?“ ö
„Mesallianz? Vorurtheile? Ich verſtehe Dich nicht“,
gab ich erſtaunt zurücck. ö ö
„Nun, ich meine kurz und rund, betrachteſt Du es
auch als eine unſühnbare Schuld, wenn ein hochgebore-

ner Erbe zu einem Mädchen aus dem Volke herabſteigt,

und ſie, der er Treue geſchworen für's Leben, nicht laſ-
ſen will?“ ö ö

„Sonderbare Frage,“ antwortete ich und eine Ah-
nung von überraſchenden Dingen, die ich zu hören be-
kommen würde, ſtieg in mir auf. „Sonderbare Frage,

Gang durch's Zimmer aufnahm.

Wie

ich dächte, Du kennteſt mich gut genug, daß dieſelbe
eigentlich überflüſſig wäre. Darum wird ein Menſch
Vater und Mutter verlaſſen und an ſeinem Weibe han-
gen — iſt ein ſo ewig wahres Wort, daß ein edler
Mann nie wird anders handeln können, und wenn er
auch ein hochgeborener Erbe und die Erkorene ein Weib
aus dem Volke wäre. Die Liebe, d. h. die wahre,
echte Liebe, iſt ein göttlicher Funke, der wie der Blitz
ſeinen Weg geht nach eigener Wahl und zündet, ohne
daß des Menſchen Macht und Satzungen etwas dage-
gen auszurichten vermöchten.“
Ein tiefer Seufzer hob die Bruſt des Freundes,
als er, leiſe mit dem Kopfe nickend, wieder ſeinen
„Darum wird ein
Menſch Vater und Mutter verlaſſen,“ hörte ich ihn
leiſe murmeln. Endlich aber zog er ſeinen Stuhl her-
bei und nahm gleichfalls am Fenſter Platz.
„Höre!“ begann er leiſe und blickte unverwandt in
den Mond empor, „Du haſt Dich gewundert über meine
genaue Ortskenntniß in dieſem nördlichen Elſaß: nicht
weit von hier liegt das Haus meiner Väter, wir ſind
unfern daran vorübergekommen, als wir gegen Wörth
marſchirten.“ ö ö
Erſtaunt blickte ich ihn an, ſeine Sprache war faſt
reines Norddeutſch mit wenig fremdartigem Anfluge,
auch fand ich es ſonderbaxr, daß er an ſeinem Vater⸗—
hauſe vorübermarſchiren kounte, ohne deſſelben auch nur
mit einem Worte zu gedenken. Ich drückte ihm das

auch in Worten aus.

„Hat ſeine Gründe, Freund,“ antwortete er bitter;
„und was die Sprache andetrifft, ſo danke ich das mei-
nem vortrefflichen Akkomodationsvermögen, ich würde
in wenigen Jahren ein eben ſo vortrefflicher Franzoſe
oder Italiener werden können, glaube ich. Doch laſ-
ſen wir das. Es iſt ſo, wie ich ſage, ich bin hier zu
Hauſe. Und es iſt ein ſtattliches, ein vornehmes Haus,
kann ich Dir verſichern, und der Herr Graf — mein
Vater wollte ich ſagen — —“
„Na, das wird ja immer beſſer,“ brach ich nun
aber los und ſprang auf, „am Ende biſt Du ſelbſt noch
ein Graf oder ſo etwas.“ ö
„Bleib' ſitzen und höre,“ antwortete er ruhig, und
drückte mich wieder in meinen Stuhl nieder. „Sie
nennen mich freilich ſpottweiſe den Herrn Grafen und
wiſſen nicht, wie nahe ſie damit der Wahrheit ſind. —
Bleib' ich bitte Dich,“ bat er förmlich dringend, als er
ſah, daß ich von neuem meinem wachſenden Erſtaunen
Luft machen wollte. „Der Herr Graf iſt lange todt,
 
Annotationen