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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 87 - Nr. 95 (1. November - 29. November)
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eiclelberger Volksblatt.

Nr. 88.

Samſtag, den 4. November 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſt 4

und bei den Trägern.

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö

Aus der Geſellſchaft.
Von Elariſſa Loh de.
(Fortſetzung.)

„Charlotte“, flüſterte er zärtlich, „holdes, geliebtes
Weib, faſſe Dich, beruhige Dich! Ich liebe Dich! Kann
Dich das beleidigen? ſprich! Ich liebe Dich mit einer

Leidenſchaft, die ich ſelbſt nie in mir geahnt habe, der ge-

genüber ich ohne Kraft bin. Vergebens habe ich Deinem
Zauber zu entfliehen geſucht, ich konnte nicht. Jetzt nimm
mich hin, ich bin ganz Dein eigen!“
Er zog ſie ſanft an ſich und ſeine Lippen berührten
das braune, wellige Haar des tief niedergebeugten Haup-
tes. Faſt beſinnungslos hatte Frau von Reuter in ſeinen
Armen gelegen. Bei dieſer Berührung fuhr ſie entſetzt

auf und riß ſich mit aller Gewalt von ihm los. Ihre

Augen ſprühten Feuerſtrahlen.

„Wagen Sie mich nicht mehr zu berühren, Herr Ba-

ron!“ rief ſie, „treiben Sie ihr frevelhaftes Spiel nicht
weiter. Sie vergeſſen, daß Sie eine Braut haben, die noch
vor kaum einer Stunde Ihr Haus verlaſſen hat!“
Der Baron erblaßte beti dieſen Worten.
„Eine Braut!“ erwiederte er; „welch' grauſamer Irr-
thum, theure Frau! Können Sie wirklich glauben, daß
ich im Stande bin, Fräulein von Raven zu lieben?“
Ein bitteres Lächeln umſpielte die Lippen Frau von
Reuter's: „Und doch haben Sie mir vor zwei Abenden,
als Sie don dem General von Raven zurückkehrten, mit-
getheilt, daß Sie lieben und zu heirathen gedenken, und
doch iſt hier im ganzen Hauſe Niemand, der nicht wüßte,
daß Sie Fräulein von Raven mit ihren Eltern hierherge-
laden, um Ihrer zukünftigen Gemahlin ihre neue Heimath
zu zeigen.“
Der Baron ſtand verwirrt. Was ſie ſagte, war
Wahrheit und war es doch wieder nicht. Wie ſie über-
zeugen? ö
„Ich leugne nicht,“ ſagte er endlich nach langer Pauſe,
daß es meine Abſicht war, Fräulein von Raven zu hei-
rathen; ſie war es, doch ſie iſt es nicht mehr; das müſſen
Sie ſelbſt heute bemerkt haben.“ ö
„So haben Sie ein frevelhaftes Spiel mit der jungen
Dame getrieben,“ entgegnete Frau Reuter, „oder Sie trei-
ben es jetzt mit mir. Beides iſt gleich unwürdig.“
Sie wandte ſich ab und ging feſten Schrittes der Thür
zu; einen Augenblick ſtand der Baron wie gebannt, nie-
dergeſchmettert von der gegen ihn geſchleuderten Anſchuldi-

gung; dann aber ſeiner ſelbſt nicht mehr mächtig, ſtürzte
er ihr nach und ſie mit beiden Händen umſchlingend, preßte
er ſie leidenſchaftlich au ſein Herz.
5„Grauſames Weib!“ rief er vor Aufregung bebend,
„ſo darfſt Du mich nicht verlaſſen. Nimm Deine ankla⸗—
genden Worte zurück, ſiehſt Du denn nicht, daß es Wahr⸗—
heit iſt, was ich ſpreche? Schaue in mein Auge, das wird

Dir von meiner Liebe beſſer ſprechen, als meine Zunge es

kann. — Ich bin kein Unwürdiger, wenn ich Dir auch ſo
erſcheinen mag. Ich habe geſchwankt, ich geſtehe es, ich
habe gegen die Gewalt der Liebe, die Du mir einflößteſt,
an gekämpft, iſt das ein Verbrechen? — Das kannſt, das
darfſt Du nicht ſo grauſam ſtrafen. — Noch nie hat eine
ſo heftige Leidenſchaft meine Adern durchtobt — der ru-
hige Mann iſt ein glühender Jüngling geworden und Du
zweifeſt noch? — nein, nein, Du kannſt es nicht — folge
nur der Stimme Deines Herzens, es wird, es muß für
mich ſprechen. Habe ich in Deinem Auge doch nur Güte
und Milde geſehen, woher dieſer Zorn gegen den, der Dich

liebt?“

Er hielt plötzlich erſchreckt inne; eine tödtliche Bläſſe
breitete ſich über die Wangen Frau Reuter's aus. Sie
ſchien ſeine Worte nicht gehört zu haben, mühſam richtete
ſie ſich auf und den Erſchrockenen flehend anblickend, bat
ſie leiſe: — ö
„Laſſen Sie mich fort, Herr Baron. Wenn Sie ein
edler Mann ſind, beſtürmen Sie mich nicht weiter; Sie
ſehen, ich bin nicht im Stande, Sie länger anzuhören.“
Der Baron ließ ſie los, er machte ſich heftige Vor-
würfe über ſeine Leidenſchaftlichkeit, die ſo Uebles ange-
richtet hatte. Mit zarter Sorge geleitete er ſie, ohne ein
Wort zu ſprechen, nur ſein Auge ruhte beſorgt auf ihrem
todesblaſſen Antlitz. Am Fuße der Treppe angelangt, die
zu ihrem Zimmer führte, winkte ſie ihm, ſie zu verlaſſen.
Ei preßte beim Abſchied wiederholt ihre Hand an ſeine
ippen. ö
„Seien Sie morgen milder, theure Frau!“ bat er,
„rauben Sie mir nicht alle Hoffnung, ſagen Sie mir ein
Wort der Ermuthigung.,
Sie wandte ſich mit einer ſtummen Verbeugung ab,
das erſehnte Wort kam nicht über ihre krampfhaft geſchloſ-
ſenen Lippen. Oben an ihrem Zimmer angelangt, winkte
ſie ihn noch einmal zu — und die Thür ſchloß ſich hin-

ter ihr.

ö VII.
Die Sonne ſtand ſchon hoch am Himmel, als der Ba-

ron nach fieberhaft verbrachter Nacht aus wirren Träu-
 
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