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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 61 - Nr. 69 (2. August - 30. August)
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Nr. 68.

Samſtag, den 26. Auguſt 1871.

S

Erſcheint Mittwoch und Samfeag

Preis monatlich 1 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö

Der Sohn des Millionärs.
(Fortſetzung.)

Um acht Uhr ließ ſich das Blaſen eines Piſtillons,
jene ſüße Muſik für die Einwohner eines Badeorts,
durch das Kindergeſchrei und das Bellen der Hunde
hindurch vernehmen. Viele Köpfe erſchienen an den
Fenſtern: Eine Kutſche! eine Kutſche! hieß es hier —
ein Reiſender! hieß es dort; er paſſirt blos durch. —
Nein, der Wagen hält vor der goldenen Kugel.
— UÄch nein, er fährt weiter. — Zum Teuſel! ſagte
der Gaſtwirth zur goldenen Kugel, der ein wenig zu
ſchnell vor die Thür gelaufen war, das geht ſchon wie-
der in ſo eine bürgerliche Baracke. — Unterdeß war
die Kutſche bei dem alten Hauſe vorgefahren, deſſen
Beſitzerin ſtrahlend vor Freude dem ausſteigenden
Fremden entgegenging und ihn mit einer graziöſen
Perbeugung begrüßte. Er war ein Mann von acht-
Undzwanzig bis dreißig Jahren, von angenehmer und
ausdrucksvoller Geſichtsbildung; er erwiederte die zu-

vorkommenden Artigkeiten ſeiner zukünftigen Wirthin

auf eine höfliche Weiſe, ſchien aber der Fagade des
Hauſes mehr Aufmerkſamkeit zu ſchenken, als der aus-
führlichen Beſchreibung der Annehmlichkeiten ſeines In⸗;
nern, die zu rühmen Madame Deschamps gar nicht
fertig werden konnte. Das ungeheure Zimmer, in das
er geführt wurde, und von dem oben die Rede war,
feſſelte ſeine Aufmerkſamkeit noch in einem höheren
Grade, er durchſchritt es von einer Ecke zur anderen,
ging von einem Möbel zum anderen und rief aus:
Merkwürdig! höchſt merkwürdig! — Ermuthigt durch
dieſe Ausrufungen, die der Madame Deschamps von
guter Vorbedeutung zu ſein ſchienen, wagte ſie es ſo-
gleich, ihm den Preis von 6 Fr, täglich anzukündigen.
— Was Sie wollen, Madame, antwortete der Frem de,
der ſeine Muſterung fortſetze, und nicht ohne ein ge-
wiſſes Vergnügen das Kamin, das Fenſter, die Wände
und die Möbels betrachtete; was Sie wollen, dieſes
Zimmer gefällt mir gusnehmend! — Dieſe Worte, wo-
durch er ihrer doppelten Leidenſchaft ſchmeichelte, grif-
fen ihr an's Herz und ſir autwortete ihrem Mieths-
manne mit einer Rührung, die ihr faſt Thränen aus“
preßte, Als ſie ſich endlich, und zwar wiederum mit

vieler Umſtändlichkeit, empfahl, vergaß ſie nicht, ihn

auf morgen zu ſich zum Diner einzuladen.

Während am andern Morgen Franziska die Brat-
öfen heizte und die Vorbereitungen zum Diner traf,
huſchte Madame Deschamps zu ihrer Rachbarin hinü-
ber. Madame Firmin hatte eine ſehr ſchlechte Nacht
gehabt, die Hoffnung des Gelingens und die Furcht
des Mißlingens hatte ſte abwechſelnd beunruhigt; gar
ſehr ſtachen ihr langgezogenes Geſicht und ihre trüben
Augen gegen das friſche Geſicht und den klaren Blick
ihrer Tochter ab. Juliette hatte eine dreifache Reihe
Haarwickel in den Haaren und kniete vor ihrer Mut-
ter, die ihr die blonden, in ſchwarzes Papier eingeroll-
ten Locken brannte. Dieſe' Operation ſchien ſie ſehr
zu langweilen, ſie wartete ſehnlichſt auf den Augenblick
ihrer Befreiung.
Ich verſichere Dich, liebe Mutter, ſagte ſie, als
Madame Deschamps in das Zimmer trat, ich verſichere
Dich, daß ich mich ganz und gar nicht um dieſen Mil-
lionärsſohn kümmere. ö
Schweig, kleine Närrin, und halt ſtill, wenn ich
Dich nicht brennen ſoll, ſagte Madame Firmin in ei-
nem trockenen und ernſten Tone, und ihre Nachbarin
anblickend ſetzte ſie mit großer Zungengeläufigkeit
hinzu: Nun, liebſte Madame Deschamps, er iſt ange-
kommen; erzählen Sie mir Alles, was ſagte er? wie
benimmt er ſich? was iſt er für ein Mannü!e
Ein ſcharmanter Mann! ein ganz ſcharmanter
Mann! antwortete die alte Dame in Enthuſiasmus.
Juliette. ſchüttekte boshaft lächelnd den Kopf: O,
das ſagen Sie, Madame Deschamps, weil er reich iſt.
Ganz und gar nicht! Fräulein Juliette; ſondern er
iſt ſcharmant, weil er höflich iſt, ſehr höflich iſt, weil
er Lebensart weiß, weil er kein Knicker, weil er ein
Mann von feinen Sitten iſt, darum iſt er ſcharmaut.
Julie zuckte ungläubig und verächtlich mit den
Schulten. ——
Unnd überdies noch, fügte Madame Deschamps hinzu,
iſt er ein recht hübſcher Junge; er hat ſchwarze Au-
gen, ſo lang, und dabei ſtreckte ſie ihre dicken, fleiſchi ⸗
gen, mit Ringen beladenen Finger aus.
Und ſein Haar? fragte Juliette. —
Schwarz wie ſeine Augen. Ah, Du wirſt einen
hübſchen Mann bekommen, mein Täubchen! ö
Madame Deschamps, iſt er groß oder klein??
Weder das Eine, noch das Andere; er iſt mittle-
rer Größe, gut gewachſen, gut gekleidet, kurz, zum
Malen. · —
Es iſt doch drollig, ſagte Juliette lachend zur Mut-
ter, gerade, wie ich ſie liebe. ö
 
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