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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 35 - Nr. 43 (3. Mai - 31. Mai)
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Nr. 389. Mittwoch, den 17. Mai 1871. 4. Jchrh.

Gacheint Mittw och und Samſca g. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnert in der Druckerel, Schiffgafſe
und ber den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö

widerſetzte mich ſeiner Anordnung und verſicherte, ich
würde ihm nicht ſolgen. Er war unverſchämt genug.
den Träger mit meinen Sacheu fortzuſchicken und mir
Schutz und Begleitung mit. Gewalt aufnöthigen zu wol-
len. Er bat und deſtürmte mich mit Vorſtellungen,
und obgleich ich nicht nachgab, ſo ſtand ich doch dabei
in Sorgen um mein Gepäck, und mehr noch ängſtigte
mich des Hauptmanns freche Zudringlichkeit und meine
hülfloſe Lage. Während ich uoch mit dieſen peinlichen
Empfindungen im Innern, doch ſtandhaft und feſt, den.
Hauptmann zurückwies, trat plötzlich der Unbekannte
aus dem Poſthauſe. Ich lief zu ihm und klagte ihm-
mein Mißgeſchick. Er führte mich fogleich in den Gaſt-
hof, ließ mir daſelbſt ein anſtändiges Zimmer anwei-
ſen und ſendete einen der Leute des Hauſes dem Manne
nach, der mein Gepäck trug. Am folgenden Morgen
erſchien ein Lohndiener, der auf ſein Geheiß die jetzige
Wohnung meiner Tante erfragt hatte, und mich zu ihr-
führen ſollte.
Die Tante empfieng mich ziemlich lau, und ver-
ſicherte, daß auch ſie durch den Fall meines Vaters
den größten Theil ihres Vermögens verloren habe,
und nun genöthigt ſei, ſehr eingezogen zu leben. Des-
halb müſſe man auch Sorge tragen, mir ſogleich ein
Unterkommen zu verſchaffen. Ihr Dienſtmädchen ver-
ließ gleich nach meiner Ankunft ihre Wohnung, einer
Krankheit wegen, die langwierig zu werden drohte, und
ich unterzog mich nun aller ihrer bisherigen Geſchäfte.
Ich that es mit Vergnügen, denn tauſendmal lieber
wollte ich meinen täglichen Unterhalt auf dieſe Weiſe
gewinnen, als, meiner Tante eine unnütze, beſchwer-
liche Laſt. mir ſtündlich die Koſten, die ich ihr verur-
ſachte, vorrechnen hören. Sie ſchien mit meiner Thä-
tigkeit, die ihr Vortheile brachte, zufrieden, und ich er-
lernte binnen kurzer Zeit das Kochen und Waſchen und
hundert andere geringſügige Fertigkeiten, von denen-
ich früher keinen Begriff hatte. Den Unbekannten ſah
ich nicht wieder. Er ſchien, wie mein Schutzgeiſt, zur
Zeit der Noth mir nah und dann ſpurlos verſchwunden
zu ſein. Unauſhörlich beſchäſtigte mich die Erinnerung
Alles deſſen, was er für mich gethan, und ſein Bild
ſchwebte meinem innrn Auge vor. Eine geheime Sehn-
ſucht lenkte, mir ſaſt unbewußt, meine Blicke, ihn zu
ſuchen, wenn ich an der Seite meiner Tante ausging.

Des Lebens Wendungen.
Aus einem Tagebuche.
(Fortſetzung.) ö

Das war es nun eben nicht, was mich beunruhigen
konnte, denn der Unbekannte ſchien mein Schickſal nur
ſo weit der Aufmerkſamkeit zu würdigen, als die Pflicht
der Menſchenliebe erheiſchte;er verſchmähte ſogar mei-
nen Dank. In M. verließen der Nadler und der Kan-
zeliſt, Letzterer mit einem Jammergeſicht, den Wagen,
und ich dankte dem Himmel, daß der Unbekannte nicht“
auch abgieng, denn der Hauptmann ward immer zu-
dringlicher. Von dem Augenblick an, als wir M. ver-
ließen, und ich mit furchtſamen Blicken, bei den An-
ſtalten zur Fortſetzung des Weges, mein Auge, wie um
Hülfe bittend, auf den ernſten Reiſegefährten richtete,
beginn dieſer mir alle die kleinen Dienſtleiſtungen,
welche Männer von gebildeten Sitten immer bei der-
gleichen Fällen den Frauen widmen, zu beweiſen, und
mich ſchweigend in Schutz zu nehmen. Doch ſtand er
mir noch immer ſo fern als früher und ſein Betragen
blieb in den Grenzen kalter Zurückhaltung. Es war
ſchon Abend, als wir endlich B. erreichten. Der Haupt-
mann ſchien ſorgſam und hinterliſtig den Unbekannten
zu beobachten. Dieſer fragte mich: wohin ich wolle?
Ich nannte ihm Namen und Wohnung meiner Tante,
und zufällig war die Straße, in welcher ſie wohnte,
dieſelbe, in der wir abgeſtiegen waren. Ich folgte dem
Träger meines Gepäckes, doch als wir das bezeichnete
Haus erreicht hatten, erfuhr ich, daß meine Tante ſeit
einigen Tagen ausgezogen und am äußerſten Ende ei-
ner entfernten Vorſtäadt ein Logis genommen habe,
das man mir nicht einmal genau angeben konnte. Da-
ſtand ich nun rath- und treſtlos in einer großen volk-
reichen Stadt. Der Träger rieth mir, die Nacht in
einem Gaſthofe zuzubringen, der ſich dem Poſthauſe ge-
enüber befand, an deſſen Eingange der Hauptmann,
im Streite mit dem Poſtillon, welcher ſein Trinkgeld
ihm abforderte, noch verweilte. Kaum erblickte er mich
wieder, als er, durch den Träger von meiner Verle-
genheit unterrichtet, dieſent Geld gab, mit der Anwei-

ſung, die Sachen in ein anderes Gaſthaus, wohin er

ſelbſt mich begleiten wolle, zu bringen, und mir ver-

ſicherte: es ſei jener Gaͤſthof ein billigerund ſchicklicher

— ufenthalt jür mich und dieſem aveit vorzuziehen. Ich

Tante ſich von einer Freundin bereden ließ, dieſe auf
einen öffentlichen Ball zu begleiten und mich auch mit-

So waren einige Monate dahingefloſſen, als meine

zunehmen. Ich tanzte mit dem Sohne dieſer Freui-
 
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