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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 96 - Nr. 104 (2. Dezember - 30. Dezember)
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Heidel

erger Bollsblatt.

Nr. 97.

Mittwoch, den 5.

Dezember 1871. 4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr.

Einzelne Nummer à 2 kr.
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Man abonnirt in der Druckerei, Schiffge

Ungariſches Heldenthum.
(Fortſetzung).

Lange dauerte der Widerſtand. Die Szekler wur.,
den zuletzt in den Attilaſaal gedrängt und hätten noch
entfliehen können durch die Nothtreppe und den gehei-
men Gang, wenn die zwei Knechte, welche die Treppe
vertheidigen ſollten, nicht zu gleicher Zeit, von zwei
Schüſſen durchbohrt, niedergeſtürzt wären. Ueber ſie
hinweg ſtürmten die Soldateu und drangen faſt gleich-
zeitig mit den Szeklern in den Saal. Die Thüre zu
verſchließen war es zu ſpät. So blieb ihnen denn
nichts übrig, als ihr Leben theuer zu verkaufen und zu
ſterben. Bald hatte der Tod alle Dienſtleute um Ko-
rondi's Perſon niedergemäht. Nur er ſtand noch, mit
ſeinem uralten mächtigen Schlachtſchwerte um ſich ſchla-
gend, wie ein gewaltiger Hunenfürſt, düſter und ſchreck-
lich anzuſchauen, aufrecht. Jetzt fiel ſein Blick auf
Attila's Bildniß und ſiehe, das blinde Auge war ge-
öffnet, ja, da war kein Zweifel. Bleiern blickte der
Augapfel, eine Kugel war hineingefahren. „Auf ſteht
der König!“ rief der Edelmann, und eine wunderbare
Heiterkeit erleuchtete ſeine Züge. Aber in dieſem Au-
genblicke ſank er, deſſen Hand mit dem Schwerte ſich
ruhend geſenkt, von vielen Bajonettſtichen durchbohrt,
nieder.
Die Frauen hatten den Wald erreicht. Angſterfüllt
rang Sarah die Hände, während vom Hauſe her un-
aufhörlich die Schüſſe krachten; war es doch, als ziele
jedes Geſchoß auf des Vaters Herz. Die Angſt ließ
ihr keine Ruhe, ſie eilte wieder dem Schloſſe zu. Un-
terwegs kam ihr der treue Bär entgegen; er folgte
ihr. Als ſie eben in den bedeckten Gang eintreten
wollte, erſchienen plündernde Soldaten vor ihr, denn
das Trauerſpiel im Hauſe war vorüber. Ihnen dünkte
das wunderſchöne Mädchen die willkommenſte Beute;
Sarah floh mit einem Schrei des Entſetzens, aber ſie
ſtrauchelte und fiel. Sicher würde es jetzt den Solda-
ten ein Leichtes geweſen ſein, ſich ihrer zu bemächtigen;
aber da eilte Barna, der Bär, in mächtigen Sätzen
herbei, warf die vorderſten Soldaten nieder, und ach-⸗
tete es nicht, als mehrere Schüſſe der Nachfolge nden
ihn trafen. Er ſtürzte ſich mitten unter die Solda⸗—
ten, welche von Entſetzen gepackt die Flucht ergriffen.

Sarah eilte hinweg und ſchloß ſich den ihrer Harren-
den an. Nach kurzer Ueberlegung beſchloſſen ſie, jenem
Zufluchtsorte zuzuwandern, den ihnen Korondi bezeich-
net hatte.

den; Niemand kam. Aber die Kunde vom Schickſale
der Erwarteten gab die Flammenröthe, welche plötzlich

Bis ſie die Bergſpitze erreichten, brach der
Abend herein. Da ruhten ſie eine, zwei, mehrere Stun-

in der Gegend, wo das Herrenhaus geſtanden, aufſtieg.

Lange, lange leuchtete die Lohe durch den Wald. Den
Hirten ſchickten ſie in's Thal hinab. Vielleicht war ja
dennoch Hilfe vorhanden, vielleicht waren die Männer
genöthigt worden, vom Feinde verfolgt, eine andere
Richtung einzuſchlagen. Gegen Morgen kehrte er zu-
rück. Trauervoll blickte ſein Antlitz.
„Wo iſt mein Vater, lebt er?“ fragte Sarah.
. Mann ſchüttelte den Kopf. „Alle, Alle ſind
todt!“
Bewußtlos ſtürzte das Mädchen zu Boden.
„Wohl ihr!“ riefen die Frauen. „Der Tod iſt
gnädig gegen ſie.“ ö
„Nein,“ ſagte weinend die Amme, „ſie lebt, mein
Täubchen lebt, Gott wird ſie nicht von mir nehmen.
Ihr aber verſprecht mir, ſie nicht zu verlaſſen. Wir
wollen zu ihr halten, und ſie zu ihren Verwandten
führen.“
Wirklich kehrten des Mädchens Lebensgeiſter wieder.
Vom Vater hatte ſie eine ſtarke Seele geerbt; nachdem

der erſte Schlag auf die gewaltig erſchütterte Natur

überſtanden war, raffte ſie ihre ganze Energie zuſam-
men und trug die ſchwere Heimſuchung mit Faſſung.
Sie ſtiegen auf der andern Seite des Berges hinab,
von dem Hirten gefolgt, der alles Beſitzthum von Vieh
und Pferden mit ſich führte. An Lebensmitteln fehlte

es für Menſchen und Thiere nicht. Manche Tage wan-

derten ſie durch einſame, höchſt ſpärlich bewohnte Ge-

genden, bis ſie am ſechten Tage das Udvarhelyer Ge-
biet erreichten. Jetzt zwang ſie die Noth und die Rich-⸗

tung der Gebirge, in bewohntere Thäler hianabzuſtei-
gen. Sobald ſie jedoch mehr unter Menſchen kamen,
wurden ſie auch von den Leiden heimgeſucht, denen die
dichter beiſammen Wohnenden ausgeſetzt waren. Schreck-
lich wüthete die Cholera damals im Szeklerlande.
Noch war die kleine Caravane noch nicht drei Tage im
Udvarhelyer Gebiete gewandert, als ſchon die Hälfte
von der aſiatiſchen Krankheit hingerafft worden. Sa-
rah rieth, wieder in's Gebirge zu ziehen, allein eben
damals wälzten ſich neue Heeresmaſſen der Ruſſen durch

die Gebirgspäſſe aus der Moldau in das Szeklerland.
 
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