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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 96 - Nr. 104 (2. Dezember - 30. Dezember)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44617#0390

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388

Alſo wiederum ſüdwärts. Endlich war das Haromſzek
erreicht. Von den Frauen waren nur noch drei üb-
rig. Der Hirte hatte ſie verlaſſen, um auf günſtigere
Zeiten wartend, im hohen Gebirge der weiteren Be-
fehle ſeiner Herrin zu harreu und die Heerde ihr dann
zuzuführen. Erſchöpft kamen ſie eines Abends in ein
Dorf, und ſprachen die Gaſtfreundſchaft eines Edel-
mannes an. Der alte Herr, als er ihre Geſchichte ver-
nommen, neigte ernſt das Haupt.
„Schwer,“ ſprach er, „iſt das arme Szeklerland
mit Leiden geſchlagen. Seht,“ ſprach er, „Ihr habt
Vater und Beſitzthum und Heimath durch den Krieg
verloren; mir hat das Schwert zwei Söhne, die Krank-
heit alle übrigen Kinder und das Weib weggeriſſen.
Jetzt lebe ich allein und warte der Todesſtunde, die
mich mit den Meinigen wieder vereinigen ſoll. Blickt
um Euch' Jenes Haus iſt leer, den letzten Einwohner
hat man heute herausgetragen; dort wohnt eine Mut-
ter, die den Mann in der Schlacht, die Söhne, eben
im Begriff, auch in den Krieg zu ziehen, in wenigen
Stunden als Opfer der ſchrecklichen Krankheit fallen
ſehen mußte. Unſere Jugend iſt gering geworden an
Zahl, was der Tod übrig läßt, nimmt der Oeſtreicher
und preßt ſie zu Soldaten. Bleibt bei mir, werthes
Fräulein, bis Ihr Euch ausgeruht, dann bring' ich
Euch zu Euren Verwandten.“—
Der Ruhe bedürfend, nahm Sarah die Einladung
an. Nach einigen Tagen nahten feindliche Heeresmaſ-
ſen, man beſchloß zu fliehen. Der Edelmann ſpannte
ſeine Roſſe an das Wägelchen und führte ſie noch den-
ſelben Tag bis auf einige Meilen Entfernung von Illye-
falva. Sie kamen durch viele abgebrannte und ver⸗—
wüſtete Ortſchaften, über Schlachtfelder, auf denen noch
die verwilderten Hunde und die Raubvögel ſich um die
Leichnahme der gefallenen Krieger ſtritten. Ganze Züge

heimath⸗ und beſitzlos gewordener Bauernfamilien zo⸗—

gen, Hunger und Elend im Antlitz, an ihnen vorüber.
Hier und da lag ein von der Cholera ergriffener Wan-
derer; ſie ſahen prachtvolle in Reife ſtehende Kornfel-
der, aber keine Hände, ſie zu ernten, und an anderen
Stellen Dörfer, denen die Füße der Roſſe und Solda-
ten die ganze Ernte vernichtet. Es gab, wohin ihr
Auge blickte, keinen Menſchen, der nicht um ſeine ver-
lorene Mutter, Schweſter, um Bruder oder Vater trau-
erte. Als die Reiſenden am folgenden Tage ſich be-
reits auf der Straße nach dem einſtweiligen Ruheplatz
befanden, wurden ſie unverſehens von Koſaken ange-
griffen. Der Edelmann, welcher mur drei derſelben
vor ſich ſah, ſetzte ſich zur Wehre und ſchoß einen vom
Pferde herunter, erhielt aber durch einen Lanzenſtich
eine tödtliche Wunde und ſtürzte vom Wagen herab.
Die Koſaken ergriffen nun die Amme und die beiden
andern Frauen, während Sarah die andere auf dem
Sitze liegenden Piſtolen auf einen der Koſaken abfeuerte.
In dieſem Angenblicke wurden die Roſſe ſcheu und jag-
ten mit dem Wagen in raſender Eile davon. Ihm
nach jagte der noch einzig übrig gebliebene Koſak, wie-
wohl es ihm nicht mehr gelang, die Flüchtigen einzu-
holen. Quer über Felder und Wieſen ſchleppten die

Roſſe den Wagen; durch ein Dorf flogen ſie, Alles vor
ſich niederwerfend, und es war, als vermehre ſich ihre
Schnelligkeit, je weiter ſie kamen. Endlich rannten ſie
gegen einen Baum, der Wagen ſtürzte um und Sarah
ward, glücklicherweiſe wenig beſchädigt, auf das Feld
geſchleudert.

Vor einer Bauernhütte zu Petersdorf, einem ſäch-
ſiſchen Orte, nicht fern von Kronſtadt, waren Frauen
geſchäftig. Eine noch junge, derbe Frau und ihre
Schweſter ſtanden am Zuber, die gereinigte Wäſche
nochmals dem Waſſerbade übergebend, während einige
ruſſiſche Reiter im Hofe neben den Pferden ſich ſonn-
ten. Einer derſelben hielt ſeine Augen unabläſſig auf
das ſchöne, zarte Fenſter gerichtet, das ſtill auf der
Hofbank ſaß, und der Bänerin Kind auf den Armen
wiegte. Sie glich gar nicht den grobgebauten, ſtark-
knochigen Weibern des Dorfes, auch trug ſie in ihrem
ganzen Aeußeren etwas, das die fremde Abkunſt ver-
rieth. Jetzt wendete ſich eine der Frauen um, rief
dem Mädchen, und befahl ihm, mehr mit Zeichen als
Worten, Waſſer herbeizuholen. Die Fremde ſtand auf,
legte das Kind behutſam auf die Bank, ſtand auf und
ging, wiewohl mühſam, mit dem Eimer zum Brunnen,
füllte den bereit ſtehenden Zuber, und fuhr ſo lange
fort, bis das allein gelaſſene Kind ſeine Ungeduld mit
Schreien zu erkennen gab. Da lief ſie hin und lieb-
koſte den Kleinen, der bald zu lächeln begann, weil er
die freundliche Wärterin faſt mehr liebte, als ſeine ei-
gene Mutter. ö
(Schluß folgt.)

Wandernde Komödianten in England.

In dem Oxford Magazin von 1769 iſt der folgende
Aufſatz mitgetheilt, als deſſen Verfaſſer ſich R. Harris,
Middle Temple, nennt.
„Vor einiger Zeit nöthigte mich ſchlechtes Wetter,
in einem Dorfe einige Meilen von Exeter, zu über-
nachten. Ich beſtellte in dem Gaſthofe, wo ich einge-
kehrt war, ein gebratenes Huhn und zwar ſo ſchnell
als möglich. Ich ſetzte mich in die Küche und über-
wachte die Zubereitung meiner beabſichtigten Mahlzeit,
als ein junger, einnehmder, aber ärmlich gekleideter
Burſche eintrat, und indem er einen begehrlichen Blick
auf das Huhn warf, die Wirthin fragte, wann es ge-
braten ſein würde. Sie antwortete, in zehn Minuten.
Darauf ging er wieder hinaus, aber ich wurde unru-
hig, denn ich vermuthete einen Anſpruch auf meinen
mir geſetzlich zuſtehenden Braten. Er kam wieder, ſah
ängſtlich nach dem Bratſpieß und ſagte in einem un-
verſchämten Tone, das Huhn würde wohl nie gar wer-

den. Die Sache ſchien bedrohlich und obgleich von ru-
 
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