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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 9 - Nr. 16 (1. Februar - 25. Februar)
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Nr. 14.

Samſtag, den 18. Februar 1871.

4. Johrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr.

Einzelne Nummer à 2 kr.

Man abonnit in der Druckerei, Schiffgaſſe 4

und bei den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Des Freundes Sohn.
Etn Familiegemälde von Karl Haniſch.
(Fortſetzung.)

So waren ſie zu zwei hübſchen Jungfrauen heran-

gewachſen, auf welche die jungen Männer mit Wohlge-
fallen zu blicken begannen, wenn bei irgend einer Ge-
legenheit die zierlichen Schweſtern ſichtbar wurden und
mancher Papa warf die ſpekulirenden Augen auf die
Reize derſelben, letztere mit dem Vermögen des Va-
ters zuſammenrechnend und ſie als eine gute Parthie
für lieb Söhnchen zu notiren, der von Univerſitäten
oder Reiſen zurück erwartet wurde, um den eigenen
Heerd auf ſolide Art zu gründen. ö
Vater Stiller hatte bisher noch nicht ſehr ernſtlich
an die Verſorgung ſeiner Töchter gedacht, obgleich die-
ſer Gegenſtand mit der Gattin insgeheim wohl ſchon
zur Sprache gekommen war; doch konnte man voraus-
ſehen, daß er auch hier von ſeinen Grundſätzen nicht
weichen werde. Obwohl er nicht willens war, die
Neigung ſeiner Kinder zu feſſeln; durfte er doch von
ihnen gewiß ſein, daß ſie ohne der Eltern Wiſſen und
Rath in keine Verhältniſſe ſolcher Art ſich einlaſſen
würden und die heitere Fröhlichkeit derſelben gab Zeug-
niß, daß noch keine Leidenſchaft Wurzel geſchlagen
hatte; wie denn Stiller überhaupt meinte, daß ein
wohlgezogenes, ſittſames Mädchen dergleichen Wünſche
nur dunkel ahnen, nie laut werden laſſen ſollte.
Das Geſchäft des Hauſes lief ungeſtört, wie ein
gutes Uhrwerk, Tag für Tag ab, in welchem der Va-
ter die bewegende Kraft war. Es gab wohl keine Fa-
milie, in der Stadt, wo alles regelmäßiger hätte ge-
trieben werden können, als hier, während bei alle dem
eine Ruhe und Zufriedeuheit im Ganzen herrſchte, die
bewieſen, wie ernſt es jedem Hausgenoſſen, bis auf
den Hausknecht hergb, war, ſeine Pflicht ohne Geräuſch
zu erfüllen.
Vater Stiller liebte es, nach Beſtimmung und Ein-
leitung der Tagesordnung in ſeinem Comptoir die Zei-
tungen zu leſen.
So ſaß er alſo auch heute mit den neueſten Blät-
tern in der Hand, nickte oder ſchüttelte mit dem Kopfe,
je. nachdem ein Artikel ihm zuſagte, oder nicht. Er

wünſchte dem Ibrahim glückliche Reiſe in ſeine Hei-
math, dem Großſultan guten Rath, oder beſſere Rath-—
geber, dem Don Pedro baldige Verſöhnuug mit ſeinem
Bruder, dem engliſchen Parlamente Einheit und Feſtig-
keit bei gemeinnützigen Bills, den Franzoſen etwas we-
niger Lebhaftigkeit in der Julifreude und dem eigenen
Vaterlande Ruhe und Friede: die Grundpfeiler des
bürgerlichen Wohlſtandes. Die überall ſichtbare Span-
nung bei den öffentlichen Angelegenheiten machten ei-
nen trüben Eindruck auf ihn. Wenn man das wahre
Gute mit reinem Herzen auf dem rechten Wege beför-
dern wollte, es würde bald aus ſein mit dem ktollen
Treiben, ſagte er, das Blatt aus der Hand legend,
Gott ſtrafe Alle, die unter dem Titel der Volksfreund-
ſchaft die Völker in Verwirrung und Noth bringen.
Er blickte nachdenkend auf die Scheiben des großen
Bogeufenſters ſeines Comptoirs, deren einige ſorgfältig
mit Blei geflickte, ſeltene alte Glasmalereien enthiel-
ten, und fuhr mit ei em Seufzer fort: Es wird eben
nicht beſſer, ſondern ſchlimmer in der Welt, weil man
an Allem beſſern will und nie auf den rechten Grund
kommt; manches Gut geht verloren, oder iſt ſchon ver-
loren gegangen, wie die Farben dort in dem Glasge-
mälde, von denen mehrere auch nicht mehr hervorzu-
bringen ſind. Die Geſchichte lehrt überall und zu al-
len Zeiten, was zum wahren Wohle des Leibes und
der Seele dient, aber man lacht der Lehre, hält ſich
für ſtärker und weiſer und tappt in dieſelbe Grube.
Der Briefträger unterbrach die ernſte Betrachtung.
Stiller nahm die Correſpondenz in Empfang, fertigte
den Poſtdiener ab, beſah die Ueberſchriften und Siegel,
um ſchon an der Außenſeite die Briefſteller zu erken-
nen, drehte einen der Briefe mit ſchnell beſorgter Miene
in der Hand herum und ſagte halblaut vor ſich hin:
von Klarens! zur ungewöhnlichen Zeit? Was wird der
wollen? Gewiß gibt's ein Unglück in der Handels-
weli.
Er ſchob die Brille zurecht, löſte behutſam das Sie-
gel und las. Mit jeder Zeile erheiterte ſich ſein Ge-
ſicht und als er an den Schluß gekommen war, ſprang
er von ſeinem Sitze auf und rief zur Thür hinaus:
Mutter! komm herab! —
Die Hausfrau, mit der Zubereitung des Frühſtücks
in der Küche beſchäftigt, rief: Gleich, Väterchen! nur
einen Augenblick Geduld, ſonſt rinnt die Milch in's
Feuer — und toffelte dann nach einiger Zeit die Treppe
herab, unterdeſſen der Handelsherr in freudiger Unge-
duld im Zimmer auf und ab lief.
 
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