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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 26 - Nr. 34 (1. April - 29. April)
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Samſtag, den 29. April 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mi ttwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt i
ö Ees Und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

u der Druckeret, Schiffgaſſe a

Das Opfer des Herzens. ö
Erzählung von G. Reinbeck.
Forſetzung)

In Völkners Augen kam kein Schlaf. Sein un-
glücklicher Freund ſtand vor ihm mit dem verwirrten
Blicke, der bei dem Eintritt in ſein Zimmer ſein Herz
durchbohret hatte; ſeine Schweſter in der Verzweiflung
der Liebe.
erlaubte ſeine Pflicht es nicht, die Hand der Schweſter
mit den Unglücke des Jüngliugs zu verbinden; dann
mußte er ſeine ſüßeſten Hoffnungen aufgeben, und das
Glück ſeines Lebens, der Friede ſeines Hauſes war auf
lange, vielleicht auf immer dahin. Welche Gefühle be-
ſtürmten ſeine männliche Bruſt! Lägen dieſe Waaren
ſchon in Ihren Gewölben! —. Immer tönten dieſe
Worte vor ſeinen Ohren. — Sie ſind auf der See,
in wenigen Wochen müſſen ſie eintreffen, in einigen
Wochen — ach! wäre dieſe Ewigkeit zu überſpringen!
Friedberg, deine Laide, das Glück deines Lebens, al-
les, alles wäre gerettet! — Bei Jenniſon wird nichts
verloren gehen. — Nur dieſe wenigen Wochen
Sein eigenes Vermögen, ſo gern er es auch daran ge-
ſetzt hötte, ſeinen Freund zu retten, reichte bei weitem
nicht zu. War denn kein Freund, an den er ſich hätte
wenden können? — Aber dann war Friedbergs Cre-⸗
dit dahin, des Kaufmanns einziger wahrer Reichthum;
der Einzelne ſeiner Freunde war nicht vermögend, ein
ſo beträchtliches Kapital baar herzuſchießen, und meh-
reren dieſes Geheimniß zu vertrauen, war gefährlich.
Wenn nur dieſe Waaren ſchon in Ihren Gewölben lä-
gen! — Er konnte ſich von disſen Worten nicht los-
reißen. ö ö
Plötzlich rang ſich der Gedanke, der nur dunkel in
ſeiner Seele aufgeblitzt war, zur Klarheit empor: Wie,
wenn du Friedberg die Papiere ausfertigteſt, als lä-

gen ſie bexeits in den Gewölben des Zollhauſes? Fried

berg iſt ein redlicher Mann, die Waaren ſind bereits
in See; ſind ſo gut als ſchon in den Gewölben, du
retteſt ihn, deine Schweſter, dich ſelbſt in ihnen; zu
deſorgen iſt allem menſchlichen Anſehen nach nichts da-
bei, niemand wird gefährdet. — Aber deine Pfiicht!
— WMie ein Gebirge trat ſie vor jeden andern Gedan-
ken hin; er fahe nur ſie. — Doch die Liebe überflog

das Gebirge und blickte in die reizenden Hoffnungen

War Friedberg zu Grunde gerichtet, dann

hinaus, welche der kommende Morgen alle vernichten
ſollte. — Hebe den Stein gegen ihn auf, wer es ver-
mag! Die Liebe riß den Mann zu einer Handlung
hin, zu der ihn kein Geld, kein Glück, nichts, was die

Erde ſonſt ihm darbieten konnte, zu verleiten vermocht

hätte. Der Mann von den ſtrengſten Grundſätzen,
von der unerſchütterlichſten Rechtſchaffenheit ging hin
und — wähnte, ſeinen Freund zu retten.
Mit welchem Gefühle empfing dieſer am folgenden
Morgen die Papiere, die ihm ſeine Rettung zu ſichern
ſchienen. Dieß, nein, dieß hatte er nicht erwartet.
Lange ſtand er betäubt da, als er das äußere Siegel
gelöſet hatte, und wußte nicht, ob er dieſes Opfer der
Freundſchaft annehmen ſollte. — Wie, wenn das an-
ſcheinend Unmögliche möglich würde, wenn die Waaren
ausbleiben könnten, und dein Freund, der Rechtſchaf-
fene, ſtünde dann vor der Welt als Betrüger da? —
Der ſchreckliche Gedanke durchbebte ſein Innerſtes.
Schon war er entſchloſſen, die ihm dargebotene Rettung
nicht anzunehmen, als die Inhaber der Wechſel ſich zur
Zahlung meldeten. Der Kampf war heftig, der Augen-
blick entſcheidend. Entweder Alles, auch Laiden ver-
loren, oder mit mehr als Wahrſcheinlichkeit alles ge-
rettet. — Er unterlag, und wies die Deckung ſeiner
Wechſel auf die Waaren au, die nach den Scheinen

des Zoll⸗Direktors in den Gewölben des Zolles liegen

ſollten ö ö ö
Jetzt eilte er zu ſeinem Retter. — Er fand ihn in
ſich gekehrt; zum erſten Male hatte der Friede das
Herz verlaſſen, das nun von dem ihm ſo fremden Ge-
fühle zerriſſen wurde, ſeine Pflicht verletzt zu haben.
Theuer, ſehr theuer, Friedberg, habe ich Ihre Ret-
tung erkauft! — Dieß war der einzige Vorwurf, der
über ſeine Lippen drang, als er den tief Erſchütterten
an ſein Herz drückte. ö ö ö
Ach! ich hätte das Opfer der Freundſchaft nicht an-
nehmen ſollen, rief Friedberg ſchmerzhaft aus, ich hätte
es nicht ſollen, allein dann hätte ich auch meinem Leben
entſagen müſſen.
Nun, ich hoffe, erwiederte Völkner, der Richter dort
oben, der mein Herz durchſchauet, wie fern es von al-
ler Unredlichkeit iſt, wird mich dies Vergehen nicht zu
hart büßen laſſen.
Sind Sie ſchon bei Laiden geweſen? ſagte Völkner.
Erſt muß ich meinen Dank an Ihrem Buſen aus ⸗
weinen, erwiederte Friedberg. ö
Gehen Sie zu ihr; das Herz der Armen ſehnet ſich
nach Ihnen, Friedberg, machen Sie Laiden glücklich,
 
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