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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 1 - Nr. 8 (4. Januar - 28. Januar)
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Holksblatt.

Nr. 7.

Mittwoch, den 25. Januar: 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 18 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
ö und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Der Adoptivvater.
PNovelle von Emerentius Seä vola.

(Fortſetzung.)

Noch rang Gottholde, verſunken in ihre Rathloſig-
keit, die Hände, als der Schall nahender Tritte eines
geſpornten Fußes in ihr Ohr drang; ſie trocknere ihre
Augen und wandte ſie der eben ſich öffnenden Thür
zu, auf deren Schwelle der Hofrath in völliger Uniform
ſtand, den Degen an der Seite, den dreieckigen Hut in
der Hand.
ſie gut?“ — Er drehte ſich ſeit- und rückwärts und
kam dann, unaufhörlich den Streit ſchlichtend, in wel-
chen Degen und Sporen mit einander geriethen bei je-
dem Schritte, gravitätiſch näher gewandelt. „Nun,
mein Liebchen,“ ſprach er, wechſelsweiſe ſich ſelbſt in
dem Spiegel und ſie anblickend, „nun laß uns einmal
ſehen, wie der rothe Orden ſich ausnehmen wird neben
en Kragen und auf der blauen Bruſt.
QGuut,“ ſprach ſie, ihm das Band in das Knopf-
ägend. „Sehen Sie, außerordentlich gul. —
Nun werden Sie Ihrem Sohne doch ein freundliches
Wört ſagen? Ach, er iſt ja ſo gut, ſo treu, ſo kind-
lich; er will gehen, wohin Sie ihn ſenden; er will ja
nichts, als was ſein theurer, geliebter Wohlthäter will!“
„Wahrhaftig, Kindchen? er will gehen?“ rief der
Greis lebhaft erfreut. „Hab' ich doch über die Mon-
tirung ganz den Brief vergeſſem vom Rector. Alſo
reiſen will er;z wann? heute? — O, Engelchen, Weib-
chen, wenn der Junge bei Seit' iſt, dann ſoll mein Le-
ben angehen und das Deinige; dann fahren wir nach
Breslau, gehen auf die Redoute; ich habe noch meine
Kaſaner Türkenmaske. O, als Türke ſollteſt Du mich
ſehen; mit dem Turban auf dem Kopfe bin ich beinah
noch eine Spanne länger als mit dieſem Hute, und
der — mit Deiner Erlaubniß“ — er ſetzte ihn auf —
„macht mich doch ſchon um zweiSpannen größer; nicht
wahr? — Aber, Holdchen, ſeh' ich recht, weinſt Du?“
— Gottholdens Herz ſchwoll über von ihrem Weh.
„Ja,“ rief ſie, „ja, lieber Vater, ich weine, daß Sie
die Macht, die Gott in Ihre Hand gelegt hat, die Macht,
Menſchen zu beglücken an Gottes Statt, verkennen.
O, wie unausſprechlich ſelig müßten Sie in dieſem Au-
genblicke ſich fühlen, wie getroſt die wenigen Schritte
zu Ihrem Grabe, zu Ihrem Himmel niederblicken, wenn

„Nun, was ſagſt Du, mein Weibchen? ſitzt

Sie ſich ſagen könnten: Ich habe gewaltet auf Erden
mit göttlichem Walten! Ich habe die Segenloſen ge-

ſegnet, ich habe die Unglücklichen beglückt. Seht he-

rab, Ihr Seligen, auf mein Werk: Eure Kinder beten
für mich, denn ich bin der Vater Eurer Kinder, ich bin
ihr Beglücker! — O, Väterchen, wie veh muß Ihnen
ſein im Gefühle, Ihren herrlichen Beruf verfehlt zu
haben, und wie weh wird Ihnen einſt werden auf Ih-
rem Sterbebette, wenn die Angſt Sie ergreifen wird
vor der Nähe Gottes und des Vaters Ihres verſtoße-
nen Sohnes und der Mutter Ihrer verzweifelnden
Tochter!“ ö
Das Geſicht des Alten hatte ſich unbeſchreiblich ver-
längert unter ſeinem großen Hute. „Kind, allerliebſtes
Kind, ſprich doch nicht ſolche Sachen von Sterbebett
und Verzweiflung und Verſtoßung,“ keuchte er. „Ich
will den Jungen ja nicht verſtoßen, er ſoll ja nicht um's
Brod dienen da bei der jüdiſchen Frau Baronin, ſon-
dern blos par honneur; ich will ihm ein Reitpferd hal-
ten bei ihr und ihm ein Taſchengeld geben, ſo reichlich,
als wär' er ein Grafenſohn. — Und nun, mein aller-
einzigſtes Täubchen, nun ſprich mir nicht mehr von den
Seligen und Deiner Verzweiflung';z ich ſchwöre Dir: in
ganz Schleſien ſoll keine Frau glücklicher ſein, als Du
es werden wirſt an meiner Seite; aͤber den Jungen
ſchlag' Dir aus dem lieben blonden Köpfchen, Du haſt
mir ja ſelbſt geſagt, daß Du mich lieb haſt; lieber
als ihn, nicht wahr? — nicht wahr? — lieber als
ihn!“ ů
„Angebetet hab' ich Sie, als Sie unſer Vater wa-
ren,“ rief Gottholde. „Werden Sie es wieder, und
kein Vater ſoll geliebt vorden ſein, wie Sie von mir!“
„Vater? Vater? — Ich will aber Dein geliebter
Vater nicht ſein,“ verſetzte der Greis, ſich erhitzend,
„Dein Mann bin ich, Dein Ehemann, und noch in
dieſer Stunde ſoll der Junge mir das Haus räumen,
und dann — dann ſoll das Wort mir nicht umſonſt
in der * ſtehen: Er ſoll Dein Herr
ſein!“ ö ö ö
Mit dem Auge ihres Vaters blickte Gottholde dem
kecken Droher, dem der Hut, der Degen und die Uni-
form dieſen herriſchen Geiſt mitgetheilt zu haben ſchie-
nen, ſtarr in das ungewöhnlich geröthete Antlitz, dann
bog ſie ſich — er hoffte, die Ehrfurcht ſenke ihr Haupt
— flüchtig nieder, umklafterte mit kräftigen Armen das
kleine Männchen, hub es empor und trug es, trotz ſei-
nes Füßezappelns und Sporengeklirrs, ungehindert durch
ſeinen Degen, in ſein Cabinet, ſetzte ihn auf den Groß-
 
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