Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

DOI Kapitel:
Nr. 87 - Nr. 95 (1. November - 29. November)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44617#0349

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
eidlelberger Vollsbla

Nr. 87.

Mittwoch, den 1. November 1871.

4. Johrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag.
und bei den Trägern.

Preis monatlich 1 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Aus der Geſellſchaft.
Von Elariſſa Lohde.
(Fortſetzung.)

Darf die Konvenienz und ein unglückliches Zuſammen-
treffen von Verhältniſſen mich beſtimmen, einer ungelieb-
ten Frau meine Hand zu reichen? Nein, niemals, das
wäre ein größeres Unrecht, was ich Eliſen anthäte, als
wenn ich ihr durch ein unerwartetes Zurücktreten eine au-
genblickliche Kränkung zufügte.
Die Stimme Fraͤuleins von Raven riß ihn aus ſei-
tnen Betrachtungen. „Sehen Sie den ſchönen Sonnenun-
tergang, Herr Baron,“ rief ſie. „Wie eine Feuerkugel
ſinkt die Alles belebende in die Fluthen und gibt noch im
Scheiden Leben und Licht dem Meere. Laſſen Sie uns
jetzt zurückgehen, daß wir dieſes lebensvolle Bild mit uns
nehmen. Iſt erſt das Sonnenlicht vom Meere gewichen,
dann ſieht es dunkel und farblos aus, ein ſolcher Anblick
ſtimmt mich ſtets traurig.“ ö
Sie war aufgeſtanden, ihre hohe Geſtalt vom roſigen
Abendſchein umſchloſſen ſah feenhaft ſchön aus.
„Du beneidenswerther Mann,“ flüſterte Uechtritz dem
Baron in's Ohr, „heute iſt ſie wieder zum Entzücken.“
Der Baron erwiederte nichts; er bot der jungen Dame
ſeinen Arm und folgte Uechtritz, der die Generalin führte,
während der alte General und Frau von Uechtritz den
Zug ſchloſſen. ö
Die Tafel in dem hohen luftigen Gartenſaal war
ſchon bereit, als die Geſellſchaft zurückkehrte. Die
Fenſterthüren, die auf die Veranda führten, ſtanden of-
fen und ließen den Blick über Garten und Wald bis zur
fernen See frei. Der Saal und alle Nebengemächer bis
zum Muſikzimmer waren hell erleuchtet, die Tafel mit
Blumen geſchmackvoll decorirt. Der Baron war über das
Arrangement ſehr erfreut und überraſcht. Er ſah, welch'
geſchmackvoller Sinn hier gewaltet hatte und wie ſein ein-
ſames Haus durch den Schönheitsſinn einer gebildeten
Frau ſo viel anders geſtaltet worden, als es bisher gewe-
ſen. Die großen Räume, die ſonſt ſo wenig Behagliches
für ihn gehabt, erſchienen ihm jetzt freundlich und ange-
nehm. Auch die Gäſte lobten die anſprechende Anord-
nung. ö ö
„Sie haben ja ein wahres Feenſchloß,“ ſagte Fräulein
von Raven.
Nur die Fee fehlt noch, die darüber herrſchen ſoll,“

rief Herr von Uechtritz, „hoffentlich wird Bandelow bald
eine ſolche finden, die für dieſes Zauberſchloß paßt.“ Er
ſah lächelnd Fräulein von Raven an, ſie verſtand ſeinen
Blick und wandte ſich erröthend ab. ö
Auch jetzt ſuchte der Baron vergeblich Frau Reuter,
um ihr ſeinen Dank auszuddrücken. Sie kam erſt, als
man ſich bereits placirt hatte und ſetzte ſich dann ſtill an
das untere Ende der Tafel zwiſchen die Inſpektoren. Ihre
Aufmerkſamkeit ſchien ſich nur auf die Bewirthung der
Gäſte zu konzentrieren, ſie ſprach wenig, aber ihre Augen
wachten ſorgiam darüber, daß nichts verſäumt wurde, nichts
fehlte. Am oberen Ende ging es indeſſen ſehr lebhaft
her. Der Baron widmete als liebenswürdiger Wirth al-
len Gäſten in gleicher Weiſe ſeine Aufmerkſamkeit. Eliſe
konnte deshalb nur wenig mit ihrem Nachbar ſich unter-
halten. Ihr Antlitz umflorte ſich während des Eſſens im-
mer mehr, ſie ſah das Ziel ihrer Wünſche immer weiter
in die Ferne rücken; mit der feſten Hoffnung war ſie her-
gekommen, daß heute der entſcheidende Schritt von Seiten
des Barons gethan werden würde und nun? — Alle Hoff-
nungen begannen in ihrem Herzen zu ſinken; es war ein
harter Schlag für ihr ſtolzes Gemüth und Zorn und Haß
gegen die Frau, die ſo unerwartet ihr entgegengetreten,
erfüllten ihre Seele. Zwar konnte ſie noch immer nicht
glauben, daß der Baron ganz zurücktreten könne, da er
ſchon ſo weit gegangen, — aber das ſah ſie klar, ſein
Herz gehörte ihr nicht. Obwohl ſie ſelbſt ihn nicht liebte,
erfüllte ſie der Gedanke, daß er eine Andere lieben könne,
mit bitterem Schmerz; war es doch das erſte Mal, daß
ſie, die von Allen Ausgezeichnete, einer Andern wegen zu-
rückgeſetzt wurde. ö
Die Tafel war aufgehoben, man unterhielt ſich in ver-
ſchiedenen kleinen Gruppen. Der Baron benutzte den Au-—
genblick, um zu Frau von Reuter zu gehen und ihr ſeinen
Dank auszuſprechen für die Mühe, die ſie ſich mit der
Bewirthung ſeiner Gäſte gegeben. Fräulein von Raven
folgte ihm mit den Augen, ſie ſah, wie er Frau Reuter's
Hand an die Lippen drückte. Eine helle Zornesröthe ſtieg
in ihre Wangen; haſtig wandte ſie ſich zu ihrer Mutter:
„Laß uns nach Hauſe fahren!“ bat ſie.
Die Generalin ſah ihrer Tochter überraſcht in das
erregte Geſicht: „Was iſt Dir, Kind?“ fragte ſie.
„Mir iſt nicht wohl, liebe Mutter,“ erwiederte Eliſe,
„ich ſehne mich nach Hauſe.“ ö ö
Die Generalin ſchaute ſie beſorgt an und wandte ſich
dann zu ihrem Gatten, der eben zu ihnen getreten war,
um Eliſe aufzufordern, den allgemeinen ſchon bei Tiſche
 
Annotationen