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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 79 - Nr. 86 (4. Oktober - 28. Oktober)
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Nr. 81.

Mittwoch, den 11. Oktober 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonntrt in der Druckorei, Schiffgaſſe 4

und bei den Trägern.

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Aus der Geſellſchaft.
Von Elariſſa Lohde.
(Fortſetzung.)

Frau von Reuter ſprang erſchreckt auf, hatte ſie doch
beinahe den Wunſch des Barons, mit ihr deu Thee zu
trinken, gänzlich vergeſſen. Sie eilte ſogleich, ihre Ver-
geſſenheit nachzuholen.
In der Veranda war bereits die roſenfarbene Glas-—
ampel angezündet und warf ein träumeriſches Licht auf die
grünumrankten Säulen derſelben und die hohen Kaſtanien-
bäume, die zu beiden Seiten ihre mit dem erſten Grün
des Frühlings bedeckten Zweige ausbreiteten. Frau von
Reuter war entzückt über das anmuthige Plätzchen, ſie trat
an die niedrige Balluſtrade und ſchaute hinaus über den
Garten und das kleine Birkengehölz, bis ihr Auge auf ei-
uen von dem roſigen Abendhimmel purpurn gefärbten
Streifen traf. Es war die Oſtſee, deren fernes Rauſchen
bis zu ihren Ohren drang.
Dann wandte ſie ſich zum Theetiſch, auf dem der ſil-
berne Theekeſſel bereits vorſorglich auf der Spirituslampe
ſtand und durch ſein eintöniges Summen ſie an ihre Pflicht
erinnerte. In der Hand hielt ſie noch geöffnet das Buch
der Lieder, in der Haſt des Aufbruchs hatte ſie es mitge-
nommen; halb lächelnd, halb über ihre Gedankenloſigkeit
zürnend, legte ſie es neben ſich auf den Tiſch. Doch als
der Thee fertig war und der Baron immer noch nicht er-
ſchien, wurden ihr Heine's Lieder wieder ein willkomme-
ner Geſellſchafter, der ſie aus der öden Wirklichkeit in das
Land der Träume, das Land der ſüßen, berauſchenden
Poeſie trug.
Doch ihre Lektüre wurde bald unterbrochen; die hal-
lenden feſten Schritte des Barons erſchallten im Salon,
und eilig das Buch fortlegend trat Frau von Reuter dem
Hausherrn einige Schritte entgegen. Er begrüßte ſie mit
großer Freundlichkeit und ſetzte ſich zu ihr an den Tiſch.
Die Unterhaltung, Anfangs etwas einſilbig, wurde bald
lebendig und heiterer. Der Baron ſchien ſehr angeregt
und in froheſter Stimmung, die gegen ſein gemeſſenes, ja
faſt einförmiges Weſen am Vormittag ſehr abſtach. Frau
Reuter ahnte, daß etwas beſonders Angenehmes ihn er-
regt haben müſſe. Er war beim General von Raven ge-
weſen; Eliſe hatte ihn mit vieler Liebenswürdigkeit empfan-
gen und ohne Widerſtreben hatte er ſich diesmal dem Zau-
ber ihrer Schönheit und ihres Geiſtes hingegeben. Keine

Scheu hatte ihn von der Annäherung an das ſchöne Mäd-
chen zurückgehalten; kein Wunder alſo, daß ſeine Seele in
wonnigem Traume ſchwamm und ſein Herz in ſüßeſter Luft
hoch aufklopfte. ö
Das Mahl war längſt beendet; aber der Baron machte
noch immer nicht Miene, vom Theetiſche aufzuſtehen. Es
war ihm ſo angenehm, jetzt nicht allein zu ſein. Der
Schmerz liebt die Einſamkeit — das Glück verlangt nach
Mittheilung.
Frau Reuter ſtand auf, ſie wollte ſich verabſchieden.
„Heute dürfen Sie mich noch nicht verlaſſen, gnädige

Frau!“ rief der Baron, als er ihre Abſicht bemerkte. „Der

Abend iſt ſo köſtlich! Können Sie ſich wohl etwas Schö-
neres denken, als hier dieſes Plätzchen mit der Ausſicht
auf die See und mit der Muſik ihres fernen Wellenrau-
ſchens. Wie ſchön muß es erſt ſein, wenn ein geliebtes
Weſen dieſen köſtlichen Genuß mit uns theilt!“
Der Baron hatte, ſeinen heute in ſo heftig bewegen-
den Gedanken folgend, das ausgeſprochen, was ihn ſo ganz
erfüllte. Ein freundliches Bild ſtieg vor ſeinem inneren
Auge auf; er dachte ſich das ſchöne Mädchen, deſſen an-
muthiges Lachen und heitere Scherze ihn heute ſo bezau-
bert hatten, als ſein Weib an ſeiner Seite, und heißes
Verlangen durchfluthete mit Feuerſtrömen ſeine Adern. —
Da fiel ſein Blick wie zufällig auf die junge Frau, die
an die Balluſtrade gelehnt, ſeiner Aufforderung zum Blei-
ben folgend ſtehen geblieben war und jetzt mit ſchmerz-
lichem Ausdruck in die milde, liebliche Frühlingsnacht hin-
ausſchaute. Die Worte des Barons hatten traurige Crin-
nerungen in ihr wachgerufen. Hatte doch auch ſie einſt ge-
liebt, war doch auch ſie einſt ein glückliches Weib geweſen
— aber ach — wie raſch war das Glück zerronnen? Ein
Rauſch, ein Lichtſtrahl, dem eine lange, bange, düſtere
Nacht gefolgt war, die noch immer ihr Leben mit dichtem
Schatten umhüllte. Einſam war ſie jetzt hier, eine Fremde
unter Fremden, eine Dienerin der Glücklichen, vom Schick-
ſal Begünſtigten. Ein tiefer Seufzer entrang ſich ihrer
Bruſt; über ſich ſelbſt erſchreckend wandte ſie ſich und be-
gegnete dem Auge des Barons, das mit eigenthümlich be-
wegtem Ausdruck auf ihr ruhte. In der That hatte ſie
ſeinem Blick ein reizendes und feſſelndes Bild dargeboten.
Von dem hellen Grün der Kaſtanien hob ſich der ſchöne
Kopf der blaſſen Frau mit den feinen Zügen und dem
üppigen in dichten Flechten geſchlungenen lichtbraunen Hhar
vortheilhaft ab. Die vollendet edle Geſtalt in dem ſchwar-
zen, einfachen Kleide zeichnete ſich in der ganzen Grazie
und Schönheit ihrer Form von der weinumrankten Ballu-
ſtrade ab, auf die ſich der runde weiße Arm, von dem der
 
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