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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 52 - Nr. 60 (1. Juli - 29. Juli)
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Heilelberger Wollobhtt.

Nr. 54.

Samſtag, den 8. Juli 1871.

I. Jahr.

Gſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ——

Die Roſe und das Schaffot.
(orſetung)

ö Wir wollen darüber zur gelegenen Zeit ſprechen —
äußerte Blanka in einem anmuthigen nud zugleich edeln

Tone. — Der Commandant ſelbſt weiß wenig von
meiner Verbindung mit Marceau. — Erlauben Sie
mir zuerſt, die Mutter desjenigen zu umarmen, dem
mein Leben gehört. ö

Sofort warf ſich die junge Vendserin der Frau Mar-
ceau in die Arme, welche ſie an ihr Herz drückte.
Blanka übergab der Matrone einen Brief, welchen
ihr Sohn in der Eile geſchrieben, während Fräulein
Beaulieu ſich ümkleidete. Beim Leſen deſſelben ſah die
gute Frau mehrmals mit Rührung auf die intereſſante
Vendserin. —
das Papier ſehend, das iſt viel, ſehr viel Liebe. Glück-
licher Weiſe hat ſe ſich an einen Maun von Ehre ge-
wendet, an einen jungen Mann, der unfähig iſt, Miß-
brauch davon zu machen — kurz, an meinen Sohn.
Das iſt nicht genug, meine Kinder, ſprach die acht-
bare Frau, ſich im Bette aufrecht ſetzend; ihr müßt
noch eſſen. Leonarde wird viel Worte gemacht haben,
was aber für den Hunger nichts hilft. Mit zwei Hand-
griffen ſoll das in Orduung ſein.
Frau Marceau ſchloß hierauf ihre Vorhänge, zog
ſich dahinter an und war im Augenblicke fertig.
Sobald ſie auf den Beinen war, ſah Blanka eine
große, noch gerade Frau vor ſich, deren elegante Hal-

tung man leicht, ſelbſt durch das Morgenkleid, was ſie

verhüllte, erkenuen konnte. Frau Marceau, kaum 42
Jahre alt, beſaß jene bevorrechtete Schönheit, welcher
die Fülle alles erſetzt, was ihr die Jugend an Friſche
nahm. Dieſe Frau mußte mehr wie eine Leidenſchaft
eingeflößt haben, und der unbedeutende Eigenthümer,
welchex ſie geheiralhet hatte, konnte ſich 17 bis 18
Jahre lang ſchmeicheln, eine hübſche Frau zu beſitzen.
Die Mutter des Helden der Weſtarmee war noch
ſo ſchön. als thätig. Nach einer halben Stunde war
das Mahl bereit und die alte Magd hatte wirklich
nichts dabei gethan, als geredet. Nach Tiſche begab ſich
„Blerinval in das kleine Gemach, was er während der

kurzen Beſuche auf dem Lande mit ſeinem General zu

bewohnen pflegte. Blanka dagegen wurde von Frau
Marceau in das ſchönſte Zimmer des Hauſes, in den

rmes Kind, murmelte ſie, wieder auf

Familientempel geführt; nämlich in die Stube des Ge-

nerals.

Sie ſehen, mein Kind, begann dieſe, daß ich Sie

ſchon wie meine Tochter behandele. Hier iſt das Bett
Ihres Verlobten, worin Sie für jetzt noch allein ſchla-
ſen ſollen. Bald aber wird Ihr Gatte neben Ihnen

ruhn. ö
Hoffentlich wird ihm der Ruhm ſoviel Zeit laſſen,
um glücklich zu ſein. Doch, um etwas Ernſthafteres
zu ſprechen, es ſcheint, daß mein Sohn ſeinem Adju-
tanten nicht wiſſen ließ, wo Sie her ſind; er hält Sie
ſchon für vermählt. Dieſe Vorſicht war nöthig, denn
das Geheimniß anvertrauter Ehre darf man keinem
Dritten mittheilen. Uebrigens iſt hier keine Gefahr
für Sie, Blerinval iſt aufrichtiger Republikaner; Re-

publikaner aus Grundſätzen und Ueberzeugung; aber
keiner jener elenden Clubbiſten, welche das Schaffot zur

Grundlage ihres Glücks machen wollen. ö
Ach! Frau Marceau — entgegnete Blanka melan-
choliſch, ſoll'ich es Ihnen ſagen? Ich ſehe das Schaf-
fot beſtändig vor mir. Geſtern im Zelte Marceau's
ſtand es zwiſchen mir und dem General und auf ihm
zeigte ſich das ſchreckliche Geſicht des Henkers. Heute

lief es unterwegs vor dem Wagen her und das Blut,

welches fortwährend herunterfloß, ſchien mir Laub,
Gras und die Blüthen des Weißdorn zu färben. Selbſt
hier, ja hier zwiſchen dieſem Bette — dem Bette Mar-
ceau's und mir — erblicke ich ein ſchreckliches Schau-
ſpiel. — Die beiden Pfähle neben einander — das
funkelnde, in doppelten Fugen gehende Eiſen, welches
mit unheilvollem Getöne auf ein Haupt fällt, deſſen Le-
ben ſofort verlöſcht.
Beruhigen Sie ſich, liebe Blanka, dieſe gräßlichen
Viſio en ſind die Folge einer Furcht und eines Schrecks,
welche Ihrem Alter und Geſchlecht ſehr natürlich ſind.
Furchi und Schreck habe ich nie gekannt. Ich war
dem Tode nahe und bot ihm Trotz. Die Blauen über-
fielen nämlich das Schloß in der Nähe von Saumür,
worin ich wohnte. Die Exceſſe, welche man beging,
waren ſchrecklich; die Republikaner übten auf greuelvolle
Art Repreſſalien wegen eines Tages vorher am Hauſe

eines Patrioten begangenen Frevels. In der Kammer,

wohin ich mich geflüchtet und verbarrikadirt hatte, hörte
ich den verworrenen Lärm von zerſchlagenem Geſchirr,
von Hämmern, womit man die Mauern einſchlug, um
dort verborgenes Geld zu ſuchen, von Weibern und
Mädchen, welche man mit aller Züg elloſſigkeit mißhan-
delte, von Flinten, womit man Jedem den Kopf zer⸗—
 
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