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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 52 - Nr. 60 (1. Juli - 29. Juli)
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ſchmetterte, der ſich den Schändlichkeiten dieſer Nacht **

widerſetzte. — Leider fand man guch meinen Zufluchts-
ort; ſchon forderte das verwirrte Geſchrei mehrerer
Stimmen ein Opfer, welches bis jetzt noch fehlte. Der
Fußboden knarrte unter den Tritten mehrerer Männer
— der Lärm kam näher — bald konnte ich nicht mehr

zweifeln, daß es meinem wenig zuverläſſigen Aſyle galt.

— Ich öffnete das Fenſter; war es noch ſo hoch, ich
wäre nicht davor zurückgebebt, denn ich ziehe den Tod
einer Entehrung vor, die um ſo ſchmählicher iſt, weil
ſie Natur, Willen und Tugend zugleich empört. Zum
Unglück war das Fenſter vergittert, ich rüttelte an den
Stäben wie eine junge Löwin, aber vergeblich. Ich
mußte alſo in die Gewalt der Räuber fallen, um die
von Wein und Wolluſt Trunkenen zu ſättigen. Nein,
den Kopf an der Mauer zerſtoßen, wäre für mich ein
hilfreicher Märtyrertodt geweſen, allein ich hatte nicht
Zeit, mich mit ſeiner Krone zu ſchmückeu, denn die

Thür, an welche man ſeit Kurzem mit einem mächti-

gen Hebebaum ſchlug, brach zuſammen und öffnete mei-
nen Verfolgern den Weg. Plötzlich zeigte ſich ein
Mann von hohem, zierlichem Wuchs unter den Solda-
ten; ſeine ſchönen, edeln und ſtolzen Züge belebte der
Unwille, — ein blitzender Säbel glänzte in ſeiner
Hand. Er ſtürzte nach dem Eingange meines Aufent-
haltes, vor die Wülhenden, welche eindringen wollten.
Halt, Republikaner! rief er mit ſtarker Stimme, Euer
Betragen iſt abſcheulich, es entehrt die heilige Sache,
der wir dienen. Ihr beſtätigt die Beleidigungen un-
ſerer Feinde, welche mit Recht ſagen werden, die Frei⸗-

heit ſei für uns eine ſcheußliche Züge loſſigkeit, ihre

Ketten wären nöthig, um das Verbrechen zu feſſeln und
ihr eherner Scepter könne allein die geſellſchaftliche
Ordnung garantiren, da außerdem nur Anarchie, Gräuel
und Verwirrung wären. Habt ihr das bedacht, Sol-
daten? — ö
Kein Wort, kein Laut ließ ſich unter den noch kürz-
lich Wüthenden hören — ſie entfernten ſich ſchweigend.

Der, welcher, gleich einem Gott, mit ſeiner mächtigen

Stimme ſo ſchnell den Sturm beſchwor, der, deſſen ſtolze
Haltung, heroiſches Weſen und von edlem Unwillen be-
lebte Züge ich bewundert hatte, war — der General
Marceau. ö ö
Ich hätte darauf wetten wollen, rief die zärtliche
Mutter und trocknete eine große Thräne ab.
Gauz in der Gewalt meines edeln Beſchützers, ſah
er mich nicht einmal, da in dem halbdunkeln Gemache
kaum die Umriſſe meines Körpers zu erkennen waren.
Ich aber hatte genug von ihm geſehen, um mein Herz,

meine Seele, mein ganzes Sein von ihm angezogen zu
fühlen. — Den folgenden Tag ſchloß ich mich einem
Trupp Vender an, ließ mich von den Blauen fangen

und kam zu Marceau. — Sie ſehen, daß keine klein-
müthige Furcht, kein entwürdigender Schreck ſich in dem
jetzt Erzählten zeigt; ich ſcheute nur die Entehrnng und
der Selbſtmord ſollte mich davon befreien. Dann trotzte
ich Bayonnetzn und Kanoneu, um zu dem Manne mei-
nes Herzens zu gelangen; doch fürchte ich — ſoll ich
es Ihnen ſagen? — Ihm nicht angehören zu können.

fürchten.

Schaffot, welches mir mein Eintädungskraſt vor
gen ſtellt, iſt vielleicht in meinerx Beſtimmung zu

gegründet. — Hier ſteht es witder und wirft zeinen

rothen Schein auf den Alkoven, wo Marceau auhte.
Ach! wie angenehm würde ſich's jetzt nicht leben, da
ich ihn liebe! ö
Beruhigen Sie ſich, mein liebes Kind, erwiederte
die gute Frau, ihre künftige Schwiegertochter umarmend,
mit ein wenig Vorſicht können wir Sie jeder Gefahr

entziehen. ö

Wir müſſen klug ſein, fuhr Madame Marceau fort,

es giebt in der hieſigen Gemeinde einige Terroriſten,

und namentlich einen gewiſſen Torquatus, der früher
Schulmeiſter war, jetzt Correſpondent eines Jakobiner-
klubb's und nicht ohne Einfluß auf die leidenſchaftli-
chen Gemüther iſt. Dieſer Mann achtet meinen Sohn
wenig, den er einen Föderaliſten, Giroudiſten und An-
hänger Pitt's und Coburg's nennt, weil ſich der Gene-
ral, bei einer voriges Jahr hierher gemachten Reiſe ei-
ner Expedition gegen einige benachbarte Schlöſſer wi-
derſetzte, wodurch Torquatus nichts weniger beabſich-
tigte, als ſich etwas auf Abſchlag der Wohlthaten des
agrariſchen Geſetzes zuzueignen. — Wir müſſen uns
vor dem angeblichen Bürgerthume dieſes falſchen Re-
publikaners hüten. Die Adjutantenuniform verbirgt
Sie bei der Größe und Völligkeit Ihres Körpers ſehe
gut; aber ein Ofſizier Ihres Alters verkriecht ſich nicht
auf dem Lande, während die Kriegsflamme überall lo-
dert. Eine Verwundung muß als Grund dieſer Zu-
rückgezogenheit erſcheinen, welche ſich ſo wenig mit der
jetzigen Begeiſterung der Nation verträgt. Ich' will
Ihr Klrid mitnehmen, um den rechten Aermel auſzu-
ſchneiden, und morgen tragen Sie den Arm in der
Binde. — Jetzt verlaſſe ich Sie, ſchlafen Sie wohl und
entfernen die düſtern Gedanken, welche Sie plagen.
Mein Sohn liebt Sie, giebt Ihnen ſeine Hand und
wird als einer der Retter des Vaterlandes gewiß mäch-
tig genug ſein, ſeine Gattin vor jeder Anfechtung zu
bewahren. — Der Wohlfahrtsausſchuß ſogar ſchmeichelt
dem Veſieger der Vendse; vielleicht weil dieſe Leute des
Bergs einen von ſeiner Armee angebeteten General
hten. Doch die Urſache, welche dieſe Menſchen zur
Schoͤnung bewegt, iſt gleichgültig, genug, Sie werden
dadurch geſchützt. Sogar wenn Ihr Name und Stand

entdeckt werden ſollte, würde man nichts gegen die

Gattin Marceaus zu unternehmen wagen; ſeine Lor-
beeren wären Ihr Schutz gegen die Blitze des Terro-
rismus. — Gute Nacht, liebe Blanka, gute Nacht,
meine Tochter, ruhen Sie und hoffen. ö
Mit dieſen Worten küßte Frau Marccau die ſchöne
Vendserin von Neuem auf die Stirn und entfernte ſich.
Ein junges Mädchen kann in der Lage, worin ſich
Fräulein Beaulieu befand, nicht ſchlafen. Hinter den-
ſelben Vorhängen, wo ſie die Nacht zubrachte, auf dem-
ſelben Lager ausgeſtreckt, das jetzt ihre zauberriſchen
Reize empfing, hatte ein Geliebter, ein Mann, für wel-
chen Blanka ihr Leben wagte, mehr wie einmal geruht.
Dieſer Umſtand, eine lebhafte Phantaſie und achtzehn
Jahre, was waren das für Elemente der Schlafloſig ·
 
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