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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 17 - Nr. 25 (1. März - 29. März)
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Nr. 2⁴. —

Samſtag, den 25. März 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 18 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
und ber den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö

Lenau als Bräutigam.
Von Guſtav Karpeles.

Es gehört zu den ſeltſamſten Eigenthümlichkeiten
der Menſchen⸗Natur, daß ſie einzelne Worte, aus dem
Zuſammenhang geriſſene Sätze, abrupte Verſe, die bei
einer beſtimmten Gelegenheit ſich dem Gedächtniſſe ein-
prägen, durch das ganze Leben mit einer ſeltenen Be-
harrlichkeit fortträgt, und auf jedes Vorkommniß im
wechſelvollen. Leben anzuwenden ſich bemüht.
Der unglückliche Dichter, deſſen Lebensſchickſale
dieſe Zeilen erzählen ſollen, hatte einſt einem Freunde,

der ihn aufforderte, ein Mädchen zu heirathen, das Le-

nau mit aller Gluth und Innigkeit eines weiblichen
Herzens liebte, folgende Antwort gegeben:
ö „Des Lebens Traum iſt einmal nur zu träumen.
Zerbrochenes niemals wieder ganz zu leimen!“
So unrein, ja ſo unpoetiſch dieſer ganze Reim iſt,
ſo lieb wurde er ſpäter grade dem Dichter, in deſſen
erhabenen Gedichten die reinſte Form mit dem ſchwung-
vollſten Inhalte ſich vermählen. Ja, Lenau trug die
Worte faſt wie ein Lebensmotto mit ſich durch ſeine
ſchaurige Erdenwallfahrt und verſäumte keine Gelegen-
heit, dieſelben zu zitiren und auf ſein Schickſal anzu-
wenden. ö
Einmal nur vergaß er ſie, ein einziges Mal
wähnte er, „des Lebens Traum noch einmal träumen
zu können, und ſein zerbrochenes Glück wieder ganz
zu leimen.“ Es war dies die Periode ſeiner Verlo-
bung kurz vor der unglücklichen Katoſtrophe des Wahn⸗—
ſinns, ein Lebensabſchnitt, der intereſſant genug iſt, um
ihn den geſchätzten Leſexinnen dieſes Blattes mitzuthei-
len, da er zum Verſtändniſſe ſo vieler Lenau'ſchen Ge-
dichte nicht wenig beitragen kann. ö ö
Und trägt auch das ganze Leben Lenau's den Kains-
ſtempel des Fluches, der auf vielen modernen Dichtun-
gen laſtet, jener wilden Flamme, die ſich ſelbſt ver-
zehrt, ſo ſcheint doch gräde dieſes Verhältniß den meiſten
Antheil an dem Ausbruche des Wahnſinus gehabt zu
haben, der die letzten Lebensjahre des Dichters um-
nacht erete.
Lenau hatte zuerſt ein Mädchen geliebt, das ſich
ſeiner nicht würdig erwies, hatte dann eine glühende
Zuneigung, zu einer edeln Frau gefaßt, die leider die-
ſelbe erwürderte, und ſtand faſt zu gleicher Zeit in dem

innigſten Verhältniſſe zu einer Jungfrau, die ihr gan-

zes Sein dem Geliebten aufgeopfert hatte. Drei ſolche
Verhältniſſe waren wohl im Stande, das Seelenleben
des Dichters arg zu zerrütten, und jene geheime Re-

gion der Nerven, die ſtets unangetaſtet bleiben ſoll, zu

vernichten. —
So ſehen wir denn auch ſchon im Jahre 1843, alſo.

im einundvierzigſteu Lebensjahre Lenau's, die unheim-

lichſten und trübſten Ahnungen ſeine Bruſt beſchleichen,
und gar Vieles wird uns verſtändlicher und deutlicher,
wenn wir folgende Zeilen leſen, die Lenau aus Wien

am 18. November jenes Jahres an ſeine theilnehmende

Freundin Emilie Reinbeck in Stuttgart ſchrieb:
„Ich habe neulich ein Wort im Homer geleſen, das
meinen Seelenzuſtand treffend bezeichnet: ringsum
ſchwarz. Ja, um und um ſchwarz iſt meine Seele,
wenn mich der Hypochonder packt, und der packt mich
dieſen Winter öfter und feſter als je.“ ——
Ein Dichter kann heutzutage nicht glücklich ſein, denn
die Zeit will nichts von ihm. Ein Dichter aber, der
überdieß kein Familienleben, ja nicht einmal eine ge-

ſicherte Exiſtenz hat und körperlich zur Melancholie im

höchſten Grade disponirt iſt, wie ich — ein ſolcher hat
Stunden, wo jenes homeriſche Beiwort auf ſeine Seele
aßt.“ ö
Mit ſolchen Ahnungen trug ſich Lenau ſchon in je-
nem Jahre, und wiewohl ſie wieder durch den Genuß
froher und vergnügter Stunden im geiſtig anregenden
Umgange mit treuen Freunden zeitweilig verdrängt
wurden, kehrten ſie doch immer und immer wieder und

nagten an der Bruſt des unglücklichen Lenau, der zum

Beginn des neuen Jahres 1844, das einen ſo entſchei-
denden Einfluß auf ſein ganzes Leben haben ſollte,
mit einer prophetiſchen Ahnung an ſeine obenerwähnte
Freundin ſchrieb: „Ich erwarte von dieſem Jahxe nicht
viel Gutes, ſchon die Zahl 44 iſt ſo vierſchrötig, daß
l Impertinenzen mit Sicherheit entgegen⸗—
ehe.“
Im Sommer deſſelben Jahres lebte Lenau in Ba-
den in heiterem Verkehr mit Berthold Auerbauch, der
uns die meiſten Geſpräche, die ſie damals geführt, in
ſeinem herrlichen Aufſatze: „Lenaüu's letzter Sommer“
treu oufbewahrt hat. Eines Tages kam Lenau freu-
deſtrahlenden Geſichtes zu ihm und erzählte ihm, er
habe geſtern im „engliſchen Hof“ mit den Damen zu
Nacht geſpeiſt. Ganz zufällig ſei er grade neben die

jüngſte zu ſitzen gekommen, und da habe ſich zwiſchen

ihnen, natürlich wieder ganz zufällig, ein Geſpräch ent-
 
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