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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 1 - Nr. 8 (4. Januar - 28. Januar)
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V olksblatt.

Nr. 2.

Samſtag, den 7. Januar 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4

und bei den Trägern

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Novelle von Emerentius Seä vola.

(Fortſetzung.)

Blottmer kam, berichtete über den eingemeſſenen
Weizen und zerküßte, als er von den Geſchenken ver⸗—
nahm, bie er für Gottholden mitbringen ſolle, die Hände
des theuern Gebers ſo frendig wie ein Kind am Weih-
nachtsfeſte. Und als nun das alte Männchen das Ge⸗—
nick wieder verzog, ſeine Rheuma, die Zugluft und ſei-
nen kahlen Kopf verklagte und ganz von weitem aus-
holte, um nach und nach auf die blonde Perrücke zu
kommen, da gerieth der Sohn außer ſich vor Freuden
und derſicherte dem Vater, Gottholde habe ſchon denſel-
ben Einfall gehabt, und werde über das Zuſammentref-
fen deſſelben mit ſeinem Gedanken ſich mehr als über
alle ihr zugedachten Gaben freuen. — Nun mußte der
andern Gegenſtände, welche als Erndte aus der Weizen-
ſaat beſtimmt waren, Erwähnung geſchehen. Blottmer
lächelte zwar ein wenig, als der Vater, mit abgewand-
tem Geſichté redend, ihm die Nothwendigkeit darthat,
künftig die ſtändiſche Uniform tragen zu müſſen, ver-
ſprach aber, Alles ſeinem Befehl gemäß zu beſorgen.
Unter Beſprechungen dieſer Art verſtrich der Reſt
des Tages, und der Abend ſtellte ſich unter unerfreu-
lichen Anzeichen ein: Papa's Genicke wurde ſteifer, und
ein leiſes Fieberfröſteln dehnte ihm die Glieder; er ver-
biß aber die kleine Schmerz-Anwandlung, um durch
Aeußerung derſelben Blottmer uicht zum Aufſchub ſei-
ner Reiſe zu veranlaſſen, deren Dringlichkeit ihm oh-
nehin ſchon zweifelhaft geworden war, ſeit er wußte,
daß der Weizen-Erlös nicht beſtimmt war, zur Abhülfe
des vorgeſchützten Geldmangels zu dienen.
ö länger, je unbehaglicher ward es dem alten Manne in
ſeinem Lehnſtuhl, und ſein häuſig wiederholtes Gähnen
forderte die Kinder auf, ihn zu unterhalten; Blottmer
begann von ſeinem Vater zu reden, Gottholde von ih-
rer Mutter, aber die Geiſter jener Seligen waren dem
Stifter des Glück's ihrer Kinder nie ſchaurigere läſti-
gere Geſellſchafter geweſen als jetzt; er blickte immer
finſterer vor ſich hin, und entließ, unter dem Vorwande,

dem reiſefertigen Sohn ein paar Ruheſtunden gönnen

zu müſſen, gleich nach dem Abendeſſen die Kinder, eilte
in ſein Bett zu kommen, zog die Decke über ſeinen

Aber je

Kopf zuſammen, und hoffte nun, die aus ihren Grä-

bern an das Licht beſchworenen Todten würden ruhen.

Der Adoptivvater.
ö liche Nacht, die hereinbrach über den alten Herrn: dem

Aber die Todten ruhten nicht; es war eine häß-

Froſt folgte die Hitze, und dieſe brütete ein Neſt voll
Spuck⸗Geſtalten ihm aus. Anfangs zwar ſchien es ihm,
als ſchwelle das Kiſſen unter ſeinem ſteifen Nacken, und
der beginnende Fiebertraum log ihm, es ſei Gottholdens
Buſen, der ſein Haupt ſo ſanft wiege mit ihren Athem-
zügen; bald aber pflanzte neben dieſer Zauberwiege der
hämiſche Geiſt, der alle Blüthen, die das Leben treibt,
mit wucherndem Schlingkraut umrankt und erſtickt, ein
Wärter⸗Kleeblatt hin, das ihn ſeines Glückes nicht froh
werden ließ. Vor ihm ſtand Anton, blickte ihn mit
ſeinen großen Augen an, ſagte: Vater, was that ich Dir,
daß Du ſo thuſt an mir? Und neben dem Sohn ſtand
die Grabesgeſtalt des Vaters und ſprach mit der Stimme
des einſt ſo theuren Freundes: Mein Sohn iſt der Dei-
nige, und das Weib, das Du ihm gabſt, iſt Deine Toch-
ter! Tritt Dein Blut nicht mit Füßen, oder Du ver-
nichteſt die Stufen zu Deinem Himmel. — Und neben
dem Geiſte des Jugendfreundes ſchwebte Gottholdens
todte Mutter und rief: Verräther, Verderber, verrathe,
verdirb mein Kind nicht!
Triefend von Angſtſchweiß fuhr der Träumer auf,
und das neben ihm ſtehende Tiſchchen mit dem Waſſer-
glaſe und der Nachtlampe, durch die Heftigkeit ſeiner
Bewegung aus dem Gleichgewichte gebracht, ſtürzte um.
Der Lärm drang in Gottholdens Zimmer, und erſchre-
ckend, die Nachtbekleidung nur leicht überwerfend, eilte
ſie mit dem Lichte in das Schlafgemach des Vaters,
ſah ſein verſtörtes Auge, den umgeſtürzten Tiſch, und
ließ faſt den Leuchter fallen vor Schreck, als der Greis
ihr zuſtammelte: „Komm' Kind, komm'! ich bin krank.“
— „Krank?“ ſchrie ſie auf. „Jeſus, ſo ſchick' ich An-
ton einen reitenden Boten nach; er ſoll umkehren auf
der Stelle.“ ö
„Umkehren? ſo iſt er ſchon fort?“ frug der Alte.
— „Schon ſeit halb zwötf, und jetzt iſt's ein Uhr,“ ant-

wortete Gottholde und ſprang nach der Klingel zu, aber

der Papa winkte ſie zu ſich. „Klingle nicht, mein Lieb-
chen, ſend' ihm keinen Boten nach; der Bote hold ihn
nicht mehr ein; er muß auch ſeine Geſchäfte verrichten,
und ſo krank bin ich ja auch nicht, daß — ach, mir ver-
gehen die Gedanken. Komm', ſetze Dich zu mir auf
mein Bette, Liebchen, laß mich nicht mehr allein.“
Bebend ſetzte Gottholde ſich zu den Füßen ſeines
Bettes; er ſtreckte die Hand nach der ihrigen aus, aber
 
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