ſeidlelberger Vollsblatt.
Nr. 55.
Mittwoch, den 12. Juli 1871.
4. Johrg.
Grſcheint Mittwoch und Sam
ſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerti, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö ö
Die Roſe und das Schaffot.
(Forſ etzung)
„Ein Bouquet von künſtlichen weißen Roſen und Oran-
genblüthen, welches mit einem blauen Bande zuſammen-
gebunden und an ihm auf der Tapete befeſtigt war, fiel
Fräulein Beaulieu auf und machte ſie unrnhig. Von wem
rührt dieſes Bouquet her? Iſt es das Geſchenk einer Frau
oder eines Mädchens, wie kommt Marceau dazu? Sollte
es eine Huldigung der Liebe ſein? — Hätte ich eine
Nebenbuhlerin in ſeinem Herzen, oder wäre vielmehr
jenes im Lager geäußerte Gefühl nur eine Wirkung
ſeines Mitleids geweſen? — Wüßte ich das, ich wünſchte,
daß jenes blutige Schaffot meiner Phantaſie ſich auf
der Stelle, nach meinem Blute dürſtend, vor mir auf-
richtete — wie eine Wohlthat würde ich es erflehen.
— Ohne ihn zu leben, dieſen Kriegsgott, deſſen Ruhm
ein ganzes Volk verkündigt, und deſſen Name man mit
der Nationalhymme auf öffentlichen Plätzen hört. —
Ach! ich verwünſche das Leben, wenn es Marceaus
Liebe nicht würzt, wenn ſie nicht ſein Grund und ſeine
Seele wird. — Immer bei ihm will ich ſein; bei ihm
unter dem Zelte, was der Regen peitſcht und durch-
dringt, ſowie im Bivouac auf dem bereiften Boden,
von feindlichen Kugeln umſauſt. Was kümmert mich
Ort, Strenge der Jahreszeit und Kriegsgefahren, wenn
er mich liebt, wenn ich die Frau ſeines Herzens bin.
— Aber dieſes Bouquet, das fatale Bouquet! Während
Blanka dieſe Worte mit ängſtlich klopfendem Herzen
ſprach, war ſie aufgeſtanden und hatte ſich ſchnell
den unglücklichen Blumen genähert, welche ſie unter-
ſuchte und forſchend betrachtete, um deren Geheimniß
zu ergründen. — Dieſer Ambrageruch, ſprach Fräulein
Beanlieu bewegt, verräth einen an Luxus gewöhnten
Stand. — Die Beſitzerin dieſes Bouquets, was ſie viel-
kleicht zum Zeichen ihrer Hingebung dem General gab,
gehörtebeſtimmt der großen Welt an — war eine Schön-
heit, mit allen den Reizen: geſchmückt, welche die Co-
quetterie gewöhnlich den Geſchenken der Natur hinzu-
fügt. —.Eiferſucht! trauriger Schatten der Liebe, ſieh'
hier Derne Qualen! t•
Mand hielt noch das von der Wand genommene
Anſtoß daran.
für unſer Benehmen entworfen.
Ich will wetten, Sie haben ſich mit dieſen Blumen
beſchäftigt, mein liebes Kind, begann die gute Frau
freundlich lächelnd, und ſtehe dafür, Sie nehmen etwas
Geſtehen Sie es nur offen. 2
Sehr gern! erwiederte lebhaft Fräulein Beaulieu.
Ja, ich bekenne ſogar, daß ich Sie hierüber gefragt
haben würde, hätten Sie nicht ſelbſt davon angefangen.
— Sie haben auch geliebt, theure Mama.ä
Ja, Blanka, und ich begreife Ihre Aengſtlichkeit gar
wohl. — Jetzt iſt etvas Dringenderes zu thun3 wir
müſſen auf Ihre Sicherheit, vielleicht auf Ihr Heil den-
ken, aber ich kenne das weibliche Herz, ſeine Liebe zu
ermuthigen, iſt ihm das Nothwendigſte.
Darauf erzählte Frau Marceau, daß dieſes Bouquet
kein Liebespfand, ſondern ein Zeichen der Dankbarkeit
einer edlen Jungfrau ſei, welcher der General das Le-
ben und die Ehre gerettet habe. ö
Ach! rief Blanka, Frau Marceau umarmend, von
welcher drückenden Laſt befreien Sie mich. Wie glück-
lich bin ich jetzt!
Um Sie nicht wegen eines ernſtlicheren Gegenſtan-
des unruhig zu machen, habe ich dieſe Nacht einen Plan
Sie müſſen ſich nicht
zu verbergen ſcheinen; denn dies würde, ſtatt der Ger
fahr zuvorzukommen, vielmehr bei den Mitgliedern un-
ſerer Commun Argwohn erregen. Torquatus, welcher
ſtets den Verdächtigen nachſpürt, würde Ihnen auf dem
Fuße folgen, alle Ihre Schritte belauern, und Ihr Ge-
ſchlecht, was die zu hübſche Adjutantenfigur ſchon et-
was verräth, würde ſelbſt durch die Sorgfalt entdeckt
werden, welche Sie anwendeten, es zu verbergen. Sie
müſſen Abends im Clubb erſcheinen, mein intereſſanter
Bleſſirter, mit unſeren glühenden Patrioten Brüder-
ſchaft machen, mit ihnen den Freiheitsgeſang auſtim-
men, kurz, den Argwohn durch ein gleich leidenſchaftli-
ches Betragen erſticken. Dieſes ſchöne, blonde Haar
muß eine rothe Mütze bedecken; das Parfümiren iſt
ſorgfältig zu vermeiden; dieſe friſchen Lippen werden
militäriſche Flüche ausſtoßen, ſelbſt mit einer Pfeife im
Munde ſich öffentlich zu zeigen, dürfte nicht überflüſſig
ſein, wenn Sie
auch nur getrocknete Roſenblätter
rauchen.
Aber ſollte mich meine Stimme nicht verrathen, liebe
Mama?f
Sle müſſen ſie verſtärken, oder ſie wird sch viel-
Bouqüttein der Hand, als Fran Marreau eintrat und miehr von ſeibſt verſtärten, wenn Sie die Sprache des
„Lagees ſühren. Zehn bis zwölf Tage ſind bald vorhei
„die Uniform des vorgeblichen Adjntanten brachte, au Id varh
haind lind Sir sinmal unter dem Schutze des Genergls
derſie den rechten Aormet geöffuet hatte.
Nr. 55.
Mittwoch, den 12. Juli 1871.
4. Johrg.
Grſcheint Mittwoch und Sam
ſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerti, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö ö
Die Roſe und das Schaffot.
(Forſ etzung)
„Ein Bouquet von künſtlichen weißen Roſen und Oran-
genblüthen, welches mit einem blauen Bande zuſammen-
gebunden und an ihm auf der Tapete befeſtigt war, fiel
Fräulein Beaulieu auf und machte ſie unrnhig. Von wem
rührt dieſes Bouquet her? Iſt es das Geſchenk einer Frau
oder eines Mädchens, wie kommt Marceau dazu? Sollte
es eine Huldigung der Liebe ſein? — Hätte ich eine
Nebenbuhlerin in ſeinem Herzen, oder wäre vielmehr
jenes im Lager geäußerte Gefühl nur eine Wirkung
ſeines Mitleids geweſen? — Wüßte ich das, ich wünſchte,
daß jenes blutige Schaffot meiner Phantaſie ſich auf
der Stelle, nach meinem Blute dürſtend, vor mir auf-
richtete — wie eine Wohlthat würde ich es erflehen.
— Ohne ihn zu leben, dieſen Kriegsgott, deſſen Ruhm
ein ganzes Volk verkündigt, und deſſen Name man mit
der Nationalhymme auf öffentlichen Plätzen hört. —
Ach! ich verwünſche das Leben, wenn es Marceaus
Liebe nicht würzt, wenn ſie nicht ſein Grund und ſeine
Seele wird. — Immer bei ihm will ich ſein; bei ihm
unter dem Zelte, was der Regen peitſcht und durch-
dringt, ſowie im Bivouac auf dem bereiften Boden,
von feindlichen Kugeln umſauſt. Was kümmert mich
Ort, Strenge der Jahreszeit und Kriegsgefahren, wenn
er mich liebt, wenn ich die Frau ſeines Herzens bin.
— Aber dieſes Bouquet, das fatale Bouquet! Während
Blanka dieſe Worte mit ängſtlich klopfendem Herzen
ſprach, war ſie aufgeſtanden und hatte ſich ſchnell
den unglücklichen Blumen genähert, welche ſie unter-
ſuchte und forſchend betrachtete, um deren Geheimniß
zu ergründen. — Dieſer Ambrageruch, ſprach Fräulein
Beanlieu bewegt, verräth einen an Luxus gewöhnten
Stand. — Die Beſitzerin dieſes Bouquets, was ſie viel-
kleicht zum Zeichen ihrer Hingebung dem General gab,
gehörtebeſtimmt der großen Welt an — war eine Schön-
heit, mit allen den Reizen: geſchmückt, welche die Co-
quetterie gewöhnlich den Geſchenken der Natur hinzu-
fügt. —.Eiferſucht! trauriger Schatten der Liebe, ſieh'
hier Derne Qualen! t•
Mand hielt noch das von der Wand genommene
Anſtoß daran.
für unſer Benehmen entworfen.
Ich will wetten, Sie haben ſich mit dieſen Blumen
beſchäftigt, mein liebes Kind, begann die gute Frau
freundlich lächelnd, und ſtehe dafür, Sie nehmen etwas
Geſtehen Sie es nur offen. 2
Sehr gern! erwiederte lebhaft Fräulein Beaulieu.
Ja, ich bekenne ſogar, daß ich Sie hierüber gefragt
haben würde, hätten Sie nicht ſelbſt davon angefangen.
— Sie haben auch geliebt, theure Mama.ä
Ja, Blanka, und ich begreife Ihre Aengſtlichkeit gar
wohl. — Jetzt iſt etvas Dringenderes zu thun3 wir
müſſen auf Ihre Sicherheit, vielleicht auf Ihr Heil den-
ken, aber ich kenne das weibliche Herz, ſeine Liebe zu
ermuthigen, iſt ihm das Nothwendigſte.
Darauf erzählte Frau Marceau, daß dieſes Bouquet
kein Liebespfand, ſondern ein Zeichen der Dankbarkeit
einer edlen Jungfrau ſei, welcher der General das Le-
ben und die Ehre gerettet habe. ö
Ach! rief Blanka, Frau Marceau umarmend, von
welcher drückenden Laſt befreien Sie mich. Wie glück-
lich bin ich jetzt!
Um Sie nicht wegen eines ernſtlicheren Gegenſtan-
des unruhig zu machen, habe ich dieſe Nacht einen Plan
Sie müſſen ſich nicht
zu verbergen ſcheinen; denn dies würde, ſtatt der Ger
fahr zuvorzukommen, vielmehr bei den Mitgliedern un-
ſerer Commun Argwohn erregen. Torquatus, welcher
ſtets den Verdächtigen nachſpürt, würde Ihnen auf dem
Fuße folgen, alle Ihre Schritte belauern, und Ihr Ge-
ſchlecht, was die zu hübſche Adjutantenfigur ſchon et-
was verräth, würde ſelbſt durch die Sorgfalt entdeckt
werden, welche Sie anwendeten, es zu verbergen. Sie
müſſen Abends im Clubb erſcheinen, mein intereſſanter
Bleſſirter, mit unſeren glühenden Patrioten Brüder-
ſchaft machen, mit ihnen den Freiheitsgeſang auſtim-
men, kurz, den Argwohn durch ein gleich leidenſchaftli-
ches Betragen erſticken. Dieſes ſchöne, blonde Haar
muß eine rothe Mütze bedecken; das Parfümiren iſt
ſorgfältig zu vermeiden; dieſe friſchen Lippen werden
militäriſche Flüche ausſtoßen, ſelbſt mit einer Pfeife im
Munde ſich öffentlich zu zeigen, dürfte nicht überflüſſig
ſein, wenn Sie
auch nur getrocknete Roſenblätter
rauchen.
Aber ſollte mich meine Stimme nicht verrathen, liebe
Mama?f
Sle müſſen ſie verſtärken, oder ſie wird sch viel-
Bouqüttein der Hand, als Fran Marreau eintrat und miehr von ſeibſt verſtärten, wenn Sie die Sprache des
„Lagees ſühren. Zehn bis zwölf Tage ſind bald vorhei
„die Uniform des vorgeblichen Adjntanten brachte, au Id varh
haind lind Sir sinmal unter dem Schutze des Genergls
derſie den rechten Aormet geöffuet hatte.