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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 35 - Nr. 43 (3. Mai - 31. Mai)
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eiüelberger s blatt.

Nr. 42.

Sanſtah. den 27. Mai 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr.
und bei den Trägern.

Einzelne Nummer à 2 kr Man abonnirt in der Druckecel Sofoaſſea
Auswärts bei den Landboten und Voſtanftalten.

Die verlorene Wette.
Von C. F. Liebetreu.
(Schluß.)

„Ein reizender Gedanke!“ rief der Doktor; er be-
was für bunte Einfälle in dem kleinen, ö

griff nicht,
niedlichen. Köpfchen hin und her wogten.
„Etwas poetiſche Ausſchmückung aber muſſen Sie
rrir ſchon erlauben!“ meinte Clara.

„Nicht zuviel!“ erwiederte der Doktor neckend, „ich

behalte mir vor, ein ſtrenges kritiſches Urtheil. fallen
3u dürfen.“

„Zugeſtanden,“ lachte Clara, „alſo beginnen wir: ö

„Das Mädchen war weinend bis zur nächſten Ecke ge-
gangen. Da hörte ſie haſtige Schritte hiunter ſich, ſie

drehte ſich um und ſah zu ihrem neuen Schrecken. den

bdöſen Mann.
rück.
Sei nicht böſe, ich habe es nicht zu ſchlimm gemeint;
hier, nimm Deine Blumen und, damit Du wieder ver-
gnügt ausſchauen kannſt aus Deinen hübſchen Augen,
zumm dies hier.“ In die Hand drückte er ihr einen
Tyaler, und auf die Stirn einen — Kuß!“
„Wohl möglich,“ meinte der Doktor, während ſeine

Sie wollte davonlaufen; er hielt ſie zu-

Wangen ſich höher färbten und er ſich bemühte, unbe-

fangen zu erſcheinen; „warum ſoll man auch ein hüb-
ſches Kind nicht küſſen?“

„Schöne Grundſätze das! Doch — fahren wir fort.
Der Herr ging davon, die Kleine ſchaute ihm nach.

Ihr war ganz eigen zu Muthe; ſo freundlich hatte 0
Niemaud mit ihr, dem armen Kinde geſprochen,
liebreich hatte ſie noch nie ein braunes Auge geſehen,

— wollt' ich ſagen, ein blaues Auge — wie 0 jetzt

erſt bemerke, haben Sie blaue Augen!“
Der Dokior verneigte ſich bejahend und dachte:
„wenn ſie jetzt erſt merkt, daß ich bliuue Augen habe,

dann werde ich wohl mit meinen Hoffnungen noch et-

was ſehr lange warten müſſen. 5
Wie einfältig doch ſelbſt ein Doktor einem reizen-
den Kinde gegenüber ſein kann!
„Laugſam ging die Kleine nach Hauſe,“ fuhr Clara
fort/ „um ihrem kranken Vater die Gabe zu bringen.
Wohl freute ſie ſich, ihm die frohe Nachricht mittheilen
zu können, doch nebenher, oder vielmehr hauptſächlich,
dachte ſie an den Mann mit den blauen Augen und

„Kind,“ ſagte er, „ich habe Dir Unrecht gethan!

der ſreundlichen Stimme. Wochen verſtrichen; immer
und immer wieder ging ſie an der Stelle vorbei, wo
ſie ihn getroffen, ſie fand ihn nie wieder. Ihr wurde
ſo bang um's Herz, ſie wußte nicht warum, ſie weinte
ſo manche Nacht, ſie begriff nicht, weßhalb; wenn ſie
endlich einſchlief und träumte, dann träumte ſie von

den blauen Augen und der lieben, lieben Stimme. 3.

„Nicht zu poetiſch, Fräulein,“ neckte der Doktor,

ydie Erzählung wird ſonſt zu unwahrſcheinlich!“

„Die Kritik nachher, wenn ich bitten darf!“ erwie ·

derte Clara und warf ihr Näschen in die Höhe. „Hö:

ren Sie weiter. Eines Haufe 0 als ſie müde von ih-
ren vielen Wegen nach Hauſe kam, fand ſie zu ihrem
Schrecken beim kranken Vater einen Gerichtsdiener.
„Aengſtige Dich nicht, Kleine,“ meinte derſelbe freund-
lich, „ich thue Dir nichts. Du mußt aber mit auf das

Gericht kommen, da ſollſt Du das Weitere erfahren.“

„Vater, ich bleibe bei Dir!“ rief das Mädchen
ängſtlich und klammerte ſich an das Bett des Kranken.
„Nein, liebes Kind, geh' nur! Der Himmel hat

mein Flehen erhört, mehr, als ich je gehofft. Geh'
nur, geh'! Bald kommſt Du wieder!“ ö
Das Mädchen folgte zitternd dem Beamten. Auf

dem Gericht ſaß in einem großen, öden Saale ein ält-
licher Herr ganz allein. Er ſchien auf ſie zu warten.
Er ſtand beim Eintritte des Kindes auf und kam ihr
langſam entgegen. Neugierig ſchaute ihn das Mädchen
an. „Kind,“ begann er, und ſtreckte die Hand ihr.
freundlich entgegen, „Dein. Vater iſt ein alter, lieber
Freund von mir, der einſt beſſere Zeiten geſehen, der
mich errettet hat in heißer, wilder Schlacht. Lange
habe ich ihn vergeblich ſeine endlich habe ich ihn heute
geſunden. Ich will ihm ſeine letzten Tage leicht ma-

chen, denn das Glück hat mich mit Gütern geſegnet.
Dich aber will ich zu mir nehmen;

ich will Dich adop-
tiren. Willſt Du mir, einem einſam ſtehenden Manne

eine Tochter. ſein? ?ꝰ? ö
„Ja, ja, recht gern!“ rief das Kind. Sie wußte

nicht, was ſie verſprach; ſie war nur glücklich, war ſe-

lig, daß ihrem Vater von ſeinem Elende geholfen u wer-
den ſollte.
Der ältliche Herr nahm ſie bei der Hand und ging
mit ihr in ein anderes Zimmer, wo viele Herren an
einem grünen Tiſche ſaßen. Da gab er ſeinen Willen
zu Protokoll und die Sache war aäbgemacht.
Der Kranke wurde in das Haus des Reichen ge-

ſchafft und die treue Tochter drückte dem Vater nach
wenigen Wochen trauernd die Augen zu.

Dann aber
 
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