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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

DOI Kapitel:
Nr. 61 - Nr. 69 (2. August - 30. August)
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erger

N r. 64.

Samſtag, den 12. Auguſt 1871.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 18 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
ö und ber den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö

Der Fremde.
Cortſezung)

— Eines Tages führte mich mein Weg unweit dem

Forſte vorüber. Plötzlich höre ich einen Schuß und
ein Rufen von verwirrten Stimmen: Halloh, halloh,
Wilddieb! donnerte es mir in's Ohr. Das Wort drang

mir gräßlich durch Mark und Bein, ich floh auf Umwe-

gen nach dem Dorfe zurück, und kam, ich weiß nicht
wie, am Schloſſe vorüber. Da ſchleppten die herrſchaft-

lichen Jäger meinen Freund mir gebunden entgegen.

Peter Brun! rief ich, von Entſetzen durchbebt,
ſtürzte beſinnungslos auf der Stelle nieder.
Hier hielt der Alte, exſchöpft und von ſchmerzlicher
Erinnerungrergriffen, inne.
Der Fiüde ſtand, wie in ſich verſunken, da. Erſt
nach mehreren Mimkten ſchaute er mit der Hälfte des
zuckenden Antlitze aus dem Mantel hervor und rief
mit hohler Stimme: Weiter!
O, Herr, das Weitere iſt in Worte gefaßt, wenig,
und dennoch genug, um das Herz zu brechen! hub der
Alte wieder an, und vollendete mit unterdrücktem Ton,
in abgebrochenen Sätzen ſeine Erzählung: Zwar wußte
ich, daß mein unglücklicher Freund nur einmal früher
einen Wilddiebſtahl verübt hatte, er blieb auch im Ver-
höre feſt bei dieſer Aüsſage. Allein, was half's, alle
früheren Eingriffe in die herrſchaftlichen Rechte kamen
nun doch auf ſeine Rechnung, und er wurde zu zwei-
jähriger Karrenſtrafe verurtheilt. — Der Sohn erbot
ſich, die Strafe für den Vater zu erdulden, wurde aber
auf die Vorſtellung des Vaters, daß er ſchuldlos und
der verlaſſenen Mutter unentbehrlich ſei, zurückgewie-
ſen. — Der Frau brachte dieſes Ereigniß bald darauf
den Tod und die wilde Dorfjngend zerſtörte das Kreuz
auf ihrem Grabe. ö
Ich dachte mir es gleich, fuhr der Todtengräber
fort, daß der Sohn, der eigentlich von jeher einen
hochſtrebenden Sinn nährte, den harten Schimpf nicht
ſo ertragen würde, und, was ich dachte, geſchah. So
lange die Mutter noch lebte, harrte er bei ihr aus;
nach ihrem Tode aber war er plötzlich verſchwunden.
— Peter Brun kam nach überſtandener Strafzeit in
unſer Dorf zurück, doch ſein Leben war im Innerſten
zerrüttet, und ich vermochte es nicht, ihn aufzurichten.
Als ein Jahr ſpäter die Nachricht kam, ſein Sohn habe

und

im Heere Bonaparte's Dienſte genommen und ſei im
Kriege geblieben, tödtete ihn der Schlag und er wurde
hier im Armenſündereckchen begraben. — Mich feſſelte
nun nichts mehr an meine Heimath und ich beſchloß,
wieder in die weite Welt zu gehen. Da ſtarb der alte
Todtengräber und weil ſich ſonſt im Dorfe keiner dazu

4. Juhrg.

paßte; weil ich lange Soldat und Unteroffizier gewe-

ſen war, ſo erhielt ich das erledigte Amt, welches mir
Brod, Beſchäftigung und reichen Stoff zu Betrachtun-
gen gab und daher meinem Sinne ganz beſonders zu-
ſagte. — Meine erſte Sorge war nun, das Grab mei-
nes Freundes von Steinen und Unrath zu ſäubern,
womit es die übermüthige Jugend des Dorfs bedeckte,
und es in Zukunft vor allem Unfug zu beſchützen, denn
ich hatte mir die Stelle genau bemerkt, wo ſie ihn ein-
ſenkten. Und ſeht Herr! das iſt denn jener kleine Hü-

gel dort, der, grün bemooſ't, mitten unter den Stei-

nen hervorragt!“ —
Ein lautes Schluchzen drang jetzt unter dem Man-

merkſam. „O, Herr,“ verſetzte er aufſtehend, „Ihr
mögt vielleicht Aehnliches erlebt haben, daß Euch die
Geſchichte ſo wunderbar ergreift.“

tet des Fremden, mit dem er noch immer das Geſicht
bedeckt hielt, hervor. Der Todtengräber wurde auf-—

„Habt Dank, Anton Ripen, redlicher Alter, biede-

rer Freund!“ rief der Fremde, drückte plötzlich den Er-
ſtaunten lange und heftig an die Bruſt, und es ſchien,

als wenn abermals eine Erkundigung auf ſeinen Lip-

pen ſchwebte. Doch er unterdrückte die Frage, ſchüt-
telte dem Greiſe die Hand und verſetzte bedeutungsvoll:
„Wir ſehen uns wieder!“ Dann war er ſchnell, ehe

Jener ſich noch von ſeiner Ueberraſchung erholen konnte,

deſſen Auge entſchounden. ö
Kopfſchüttelnd ſchaute der Todtengräber ſich nach
allen Seiten um. Allein, da er ihn nirgends mehr
erblickte und ganz in die Erinnerung an das Schickſal
ſeines geſchiedenen Freundes verſunken war, wurde er
bald geneigt, die ſo ſchnell wieder verſchwundene Er-
ſcheinung des Fremden für eine Begebenheit zu halten,
die er geträumt habe, und ſo ſetzte er gedankenvoll
ſeine Arbeit fort.
Der Fremde nahm indeß ſeinen Weg hinter der
Kirche, welche ihn ſchnell dem überdies ſchwach ſehen-
den Auge des Alten entzog, mit fliegender Eile nach
dem Schloſſe. Hier forderte er dringend, den Freiherrn

zu ſprechen und hatte mit dieſem eine ſtundenlange

Unterredung, deren Inhalt, zu ihrem größten Verdruß,

weder die Dienerſchaft des Schloſſes, noch die Vewoh-
 
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