Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

DOI Kapitel:
Nr. 87 - Nr. 95 (1. November - 29. November)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44617#0357

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Hei

Nr. 89.

Mittwoch, den 8. November 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4

und bei den Trägern

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Aus der Geſellſchaft.
Von Elariſſa Lohde.
(Fortſetzung.)

„Daß ich das erleben muß, Luiſe,“ ſagte ſie und große
Tropfen entrollten ihren Augen, „ſolch einer Frau gegen-
über verſchmäht zu werden, das iſt ein hartes Loos. Ge-
gen eine Frau Reuter zurückzuſtehen, gegen eine Frau,
die weder Schönheit noch Geburt hat, die eine arme Die-
nerin iſt! — Und ich beſitze Alles, meine Mitgift iſt ſo
eeich, wie ſie ſelten ein Mädchen erhält und doch verſchmäht
er mich, obwohl er glaubte, ich liebe ihn. — O Luiſe,
wäre das nicht, hätte die ganze Welt nicht geſehen, daß
ich ihn vor Allen auszeichnete, es wäre mir ja gleichgül-
tig, ob der Baron von Bandelow, der letzte Repräſentant

eines alten edlen Geſchlechtes, ſeine Magd heirathete oder

nicht. Ich würde mich achſelzuckend von ihm abwenden
— aber ſo!“ * —
„Arme, liebe Eliſe,“ ſagte mitleidig Frau von Uechtritz.
„Bedauere mich nicht!“ rief heftig Eliſe, „nur kein
Mitleid, das kann ich nicht ertragen. Ja, ja, ſie werden
mich bemitleiden, dieſe Menſchen, die neidiſch auf mich
blickten; äußerlich werden ſie mich bemitleiden, und heim-
lich ſich über die Demüthigung freuen, die das ſtolze Fräu-
lein von Raven betroffen. Aber bei Gott! Luiſe, das er-
trage ich nicht!“ Sie ſprang auf und durchmaß mit hef-
tigen Schritten das Zimmer. „Das kann nicht der Schluß
meines Lebens ſein,“ fuhr ſie erregt fort, „das kann nicht
das Ende des gefeiertſten Mädchens am glänzendſten Hofe
Deutſchlands ſein! Wenn ſie es erfahren, die Neidiſchen,
die mir meine Triumphe bei Hofe nicht gönnten, wie wer-
den ſie höhnen und ſpotten über mich! Aber nein, ſie
dürfen es nicht erfahren, dürfen es nicht. Luiſe,“ ſagte

ſie jetzt zu dieſer tretend und ihre beiden Hände ergrei-

fend, „Louiſe, Du kannſt mir helfen, Du kannſt verhin-
dern, daß die Welt mein Leid erfährt, denke darüber nach,
erſinne etwas, damit die Wahrheit verborgen bleibe, da-
mit ich ohne vor Zorn zu ſterben, dieſen Leuten gegenüber
treten kann.“
Luiſe drückte die Freundin an das Herz. „Beruhige
Dich“, ſagte ſie zärtlich, „was in meinen Kräften ſteht,
ſoll geſchehen, um der Sache eine andere Wendung in den
Augen der Welt zu geben. Aber ſetze Dich zu mir, und
laß uns das Weitere ruhig und verſtändig überlegen.“
Sie zog Eliſe zu ſich auf das Sopha und nun wurde

niſſen verfloſſen.

lange und eifrig berathen. Endlich ſtand Eliſe auf und
nahm zärtlich Abſchied von der Freundin, ihr Geſicht war
heiterer, die Stirn wieder glatt und die heftige Erregung

der letzten Stunde war einer gefaßten Ruhe gewichen.

Einige Tage darauf fuhr ein ſchwerbepackter Reiſe-
wagen vor das Herrenhaus auf dem Gute des Generals
von Raven. Der General nebſt Gemahlin und Tochter
beſtiegen ihn und rollten dann mit Reiſetüchern und Män-
teln verſehen der nächſten Eiſenbahnſtation zu.
Die Abreiſe der Familie von Raven nach der des Ba-
rons von Bandelow machte natürlich viel Aufſehen in der

ganzen Gegend. Jeder wollte etwas anderes darüber wiſ-

ſen. Alle einigten ſich aber dahin, beſonders da Frau
von Uechtritz, die doch das Meiſte von der Angelegenheit
wiſſen mußte, dieſe Anſicht beſtätigte, daß Fräulein von
Raven bei näherer Bekanntſchaft ihr gutes Vorurtheil für
den Baron verloren und ſich zurückgezogen habe, da er ein
Sonderling und zu Hauſe ein Despot ſei, was auch der
raſche Abgang ſeiner neuengagirten Wirthin bezeugt habe.
Er ſelbſt ſei durch das plötzſiche Zerſtören ſeiner Hoffnun-
gen ſo ergriffen, daß er, um ſich zu zerſtreuen, eine Reiſe
zu ſeiner Schweſter unternommen habe, während der Ge-
neral, theilweiſe aus Geſundheitsrückſichten für ſeine Gat-
tin, der ein längerer Aufenthalt in milder Luft dringend
anempfohlen, eine Reiſe nach dem Süden unternommen
habe. Dieſe Reiſe war ihm um ſa erwünſchter gekom-
men, da ſeine Tochter durch die vielfach ausgetheilten
Körbe im Gerede der Leute war und den Unannehmlich-
keiten eines ſolchen Geſchwätzes, das durch die Zurückwei-
ſung des angeſehenen und überall geſchätzten Barons von
Bandelow neu belebt werden mußte, aus dem Wege zu
gehen. Frau von Uechtritz theilte allen Bekannten, die ſie
danach fragten, mit, daß die' Familie von Raven lange
Zeit fortbleiben und wahrſcheinlich den Winter in Italien
zubringen werde, da Fräulein Eliſe ein Zuſammentreffen
mit dem Baron in nächſter Zeit ſcheue. Man bedauerte
den Baron von Bandelow aufrichtig und ſprach allgemein
die Befürchtung aus, er werde nun nach dieſer böſen Er-
fahrung, da er nie ein großer Freund des Heirathens ge-
weſen ſei, wohl Junggeſelle bleiben und ſeine ſchönen Gü-
ter würden dem Sohne ſeiner Schweſter zufallen.

IX.

Mehr als ein Jahr war ſeit den letzterzählten Ereig-
Es war Winter und Sommer und wie-
der Winter geworden. Der General von Raven war noch
immer nicht auf ſeine Güter zurückgekehrt. Zum allge-
 
Annotationen