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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 87 - Nr. 95 (1. November - 29. November)
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Heidlelberger Vollsblatt.

Nr. 95.

Mittwoch, den 29. November 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe
ö und ber den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Ungariſches Heldenthum.
(Sortjehung).

„Als armer Knabe bin ich auſ Deines Vaters Hof
gekommen, Du haſt mich nicht verſchmäht, mich freund-
lich angeſehen und meiner Dienſtbarkeit vergeſſend, —
biſt Du mit mir geweſen wie mit Deinesgleichen. Ich
war Dir ein Bruder, Du biſt mir eine Schweſter ge-
weſen, ja jetzt weiß ich, daß Du mir mehr, ja viel
mehr biſt als Schweſter. Ich habe keinen Namen da-
für, aber das fühl' ich, daß Du ganz in meiner Seele
lebſt, ſie wäre ohne Dich wie eine ausgebrannte Kohle,
ein todtes Weſen.“
„Fühl' ich denn anders, Du Licht meiner Augen?
O daß ich dieſen Tag nimmer geſehen hätte, daß mich
der Tod geſtern geholt hätie, ſo wäreſt Du doch um
mich geweſen. Aber fo gehſt Du hinweg in den Krieg!
Dort wird Dich der König Tod mit ſeinem Szepter be-
rühren und heimführen in ſein dunkles Reich.“
„Wohl gehe ich in den Krieg, aber um das Gewand
der Armuth und Dienſtbarkeit abzuſtreiſen und um mir
Ehrenkleider zu erbeuten, daß, wenn ich wieder vor
Deinen Vater trete, ſein Auge gnädig auf mir ruhe.
Dann will ich Dich von ihm fordern als meine Braut.“
„Wie wird mir der Wald ſo düſter, die grüne Flur
ſo öde, der Hof ſo einſam drückend. Ach, könnte ich
den Zauberſpiegel beſitzen, von dem mir Zſurſie, die
ſchen. erzählt hat, und darin alle Tage Dein Bild
ehen.“ —
„Die Zeit hat Flügel, wenn man das Kraut Ge-
duld an ihre Füße hängt. Sorge nicht, meine Seele!
Ich lebe der feſten Zuverſicht, daß ich Dich wieder-
ſinden werde, ja ich darf ſagen, ich weiß das. Ich bin
ganz ruhig:“ ö
Und wie ſie ihm in's Antlitz ſchaute, war es voll
Heiterkeit und Glück; nur zwei Thränen ſtanden noch
in ſeinen Augen. Wie dieſe Ruhe über ihn gekommen,
wie er ſo zuverſichtlicher Sinne von ihr ſcheiden könne,
blieb damals ihrem Verſtändniſſe fern. Allein auch
auf ſie wirkte dieſe Stimmung beruhigend. Getröſtet
ſchied ſie von ihm, der am folgenden Tage mit dem
Morgengrauen in eine unbekannte Zukunft hinauszog.
„Wollt au ch Ihr dem Kaiſer Euch unterwerfen und
nicht länger die Einzigen ſein in ganz Siebenbürgen,

loſer Spannung?

welche Sr. Allergnädigſten Majeſtät Befehle mißachten,
ſo ſollt Ihr Frieden haben; wo nicht, zittert!“
Ungefähr ſo lautete eine Proklamation, die der Ge-
neral Gedeon an die Szekler des Haromszeker Stuhles
in. Monat November 1848 erließ. Freilich waren ſie
diel-Tinzigen. welche den Kaiſerlichen noch Widerſtand
leiſteten. Ihre Antwort lautete: „Nein!“ Und weil
ſie nun den ganzen Zorn der Oeſterreicher auf ſich ge-
lenkt ſahen, trafen ſie umfaſſende Anſtalten der Ver-
theidigung. Alle Glocken im ganzen Lande wurden
heruntergenommen und in die Kanonengießerei geſchickt;
die Hausfrauen brachten ihre kupfernen Geräthſchaften,
ihre Juwelen, um daraus Geſchütze und Geld zu ma-
chen, riſſen ihre Leinwandvorräthe aus den Truhen zur
Bekleidung und zum Verbande Geſunder und Ver-
wundeter: die Kinder zupften Charpie, Männer, Jüng ;

linge und Knaben ſtürmten zu den Fahnen.

Was hält die Schlachtlinie der Szekler in ſo athem-
Weshalb erwidern ihre Infanteri-
ſten nicht das verderbliche Feuer des Feindes? Wa-
rum ſieht man ſogar die Huſaren ihre Augen nicht

auf die gegenüberſtehenden Dragoner richten und mü-

ßig unverwandten Blickes dorthin ſchauen, wo zwiſchen
den Reitern und Fußſoldaten ein freier Raum übrig
gelaſſen iſt? Raſch kommt eine mit ſechs Roſſen be-
ſpannte ungeheure Kanone herangebrauſt. Ein ältli-
cher Mann reitet vor ihr her. „Halt!“ donnert er.
„Das iſt Gabor Aaron, der geſchickte Mann, der aus
unſeren Glocken, unſerer Frauen und Müttern Pfeffer-
mörſern die Kanone gegoſſen hat. Glockeuſpeiſe, Fut-
ter für den Feind. Wird ihm wohl die Eingeweide
verbrennen.“
„Traun, ich glaube wohl. Laß hören wie ſie pfeift!
Ob lauter als die deutſchen Kanonen?“ Jetzt hat er
ſie gerichtet, ſeht, jetzt legt der Soldat die Lunte an.
„Eljen!“ ruft die ganze Schlachtlinie. „Wie das
gekracht hat, viel lauter als die der Kaiſerlichen. Seht
doch, wahrhaftig, Reiter und Mannſchaften drüben lie-
gen zu Boden. Szekler Glocken, hei, wie gutes Me⸗—
tall!“ Neuen Muth, Begeiſterung hat der Erfolg des
Schuſſes erweckt. Der Feind iſt beſtürzt. Jetzt mit
Ungeſtüm auf die Infanterie losgebrochen, ehe ſie ſich
erholt hat. Die Huſaren ſprengen über die Fläche,
das Fußvolk fällt das Bajonet; ſo ſtürmen ſie dahin.
Einen der Reiter trägt ſein raſches Roß, den Zügeln
nicht mehr gehorchend, voraus, mitten hinein in die
Dragoner wirft es ſich; der Reiter erſieht den befehli-
genden Offizier ſich heraus und ſchmettert ihn mit weit⸗—
 
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