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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 87 - Nr. 95 (1. November - 29. November)
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Nr. 94.

Samſtag, den 25. November 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 19 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö

Ungariſches Heldenthum.
(Fortſetzung).

Als der Edelmann von dem Vorfalle hörte, geber-
dete er ſich gar ſeltſam. Er umarmte Gyula, wollte,
der Knabe ſolle ſich das Beſte im Haus und Hof aus⸗—
ſuchen, nur Attila's Bildniß und den Stammbaum nicht,
und konnte gar nicht begreifen, als der Knabe ſich nur
ausbat, im künftigen Sommer in den Fuchswinkel ge-
hen zu dürfen, um nach ſeiner Hütte zu ſchauen und
das Grab der Eltern zu beſuchen. ö
Nun hätte man glauben ſollen, Korondi werde den
Retter ſeiner Tochter fortan auf den Händen tragen,
und ihn beinahe halten, wie ſeinen eigenen Sohn.
Wahr iſt, daß er ſich mehr um den Knaben kümmerte,
als es bisher geſchehen, ihn faſt beſtändig mit auf die
Jagd nahm, allein an Rauheit und Grobheit ließ er
in ſeinem Benehmen kein Jota nach. Der excentriſche
Mann hatte nämlich, weil er Gyula's treffliche Anla-
gen entdeckt, ſich vorgenommen, dieſelben wo möglich
weiter auszubilden und wie er es nannte, „einen Mann
aus ihm zu machen.“ Er lehrte ihn Latein, daß er
trotz langer Vernachläſſigung noch ziemlich gut ſprach,
und hielt ihm Vorleſungen über Geſchichte der Ungarn⸗—
Szekler, wobei er von Magog, dem Sohne Japhet's,
als dem Stammvater der Magyaren ausging. Auch
die Landeskunde und Arithmetik lehrte er den Knaben.
Seine Methode war aber eine gar harte. Weil er ſich

ſelbſt noch recht wohl erinnerte, welch' wichtige Rolle

der Stock in ſeiner Erziehung geſpielt und er mit kei-
ner andern pädagogiſchen Lehrmethode ſich vertraut ge-
macht, hatte der arme Gyula, wie fleißig und leicht
er auch lernte, während zwei bis drei Jahren ein elen-
des Leben bei dem Edelmann. Sein Rücken, den ehe-
mals noch nie ein Stock entweiht, ſah bald gar bunt-
farbig aus, der Kopfnüſſe und Ohrfeigen gar nicht zu
gedenken.
Wäre nicht die Liebe geweſen, Gyula hätte die Hoff-
nung, auf dieſe Weiſe ein Mann zu werden, längſt auf-
gegeben. Aber ſo war aus der Freundſchaft der Kin-
der allmählig entſtanden, was die Amme ſchon längſt
vorausgeſehen. Denn was war es, was die ſchöne Sa-
rah ſo ſtill und tiefſinnig, unruhig und verſchämt machte,
warum ſah man ſie nicht mehr leicht und flüchtig Berg

den kann.

und Thal durchfliegen, warum ſchlich Barna ihr ver-
gebens nach und ward kaum mehr einer Liebkoſung ge-
würdigt? ö
Was trieb auch den Knaben, in ſeinen freien Stun-
den an einſame Plätze zu gehen, und heiße Thränen
einem unbekannten Schmerze, einer namenloſen Sehn-
ſucht zu weinen? Wenn ſie ſich begegneten, wichen ſie
einander ſcheu aus oder ſtammelten verlegene Worte,
wie ſchüchterne Unterthanen vor großen Potentateu pfle-
gen, oder ein Schuldbewußter vor dem Richter. Was
Beiden ihnen ſelbſt ein kaum bewußtes Geheimniß war,
das wußten alle Bewohner des Hofes. Selbſt dem
Edelmann gingen endlich die Augen auf und raſch wie
er war in Rede und That, faßte ihn ſogleich einen Ent-
ſchluß. Die Zeitumſtände begünſtigten denſelben.
Es war im Monat Oktober des Jahres 1848. Die
Bewegung unter den verſchiedenen Nationen Sieben-
bürgens, die den Sommer hindurch in beſtändigem Stei⸗—
gen begriffen geweſen, hatte zum Bruch geführt. Schon

hatten die Walachen ihre Drohungen gegen die Magya-

ren zu erfüllen begonnen und verwüſteten mordend und

ewen und Aüli und nugariſche Dörfer, führten Be-
m

amte und Adlige der Ungarn gefangen nach Teke und

Balasfalva. In der Gegend, in weicher Korondi's

Gut lag, wohnten nur Szekler, bis zum nächſten wa-
lachiſchen Dorfe lag eine weite Strecke von vielen Mei-
len dazwiſchen. Allein die Nachricht, daß die Szekler-

nation in Agioyfalva getagt und den Beſchluß gefaßt,

in Maſſen gegen die Walachen auszuziehen, war ſelbſt
in jene entfernte Gegend gedrungen. „Krieg, Krieg —
gegen Oeſtreich und ſeine Bundesgenoſſen im Lande!“
ſchallte es durch das ganze Gebiet der „adligen Szek-
lernation.“
Korondi hatte Gyula citiren laſſen. „Es iſt jetzt,“
ſprach er zu ihm, „eine Zeit, wo ein Mann etwas wer-
Du mußt wiſſen, daß wir mit dem Deut-
chen Kaiſer Krieg führen wollen. Wäre ich ſo jung
wie Du, ich würde ein Huſar. Denn ein Huſar kommt
weit herum, ſieht Länder rnd Völker. Du biſt zwar
noch ein dummer Junge, weißt ober doch mancherlei,
was Dir einmal nützlich werden kann. Das Vater-
land braucht jetzt Soldaten, keine Gelehrten. Werde
Soldat, Gyuala! Oder ſpürſt Du etwa keine Luſt
dazu? — Freilich, Hiebe ſetzt es, viele ſchwere Hiebe.“
Gyula hatte ihn bis hierher mit gemichten Empfin-
dungen des Staunens, der Beſtürzung, und doch auch
der patriotiſchen Freude angehört. Als Korondi aber
achſelzuckend und ſpöttiſch die letzten Worte hingewor-
 
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