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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 35 - Nr. 43 (3. Mai - 31. Mai)
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Nr. 48.

Mittwoch, den 31. Mai 1871.

Eachent Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 19 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerri, Schiffgaffe l.

und bei den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

——..

Beethoven's Mahl.

Nach dem Franzöſiſchen des Fules Nan in, von F. Daman

Es war im Jahr 1819, als ich mich auf meiner
Reiſe in Wien befand. Wien iſt, wie man weiß, vor-
zugsweiſe die Stadt der Muſik, wo die Luft mit Ak-
korden augrfüllt iſt, woher denn auch dieſe Zufrieden ⸗
heit herrührt.
war es aber ſehr ſtille, und ich irrte zufällig in den
Straßen umher den Abend vor dem Tage, an dem ich
Wien verlaſſen wollte. ö
Als ich ſo nachläſſig einherſchleuderte, ſah ich einen
Menſthen die Straße entlang gehen, einen Menſchen,
der Jedem gleich auffällt, auch im Gedränge. Die
Menge ſelbſt ſieht und bemerkt ihn und drängt ſich,
durch einen gewiſſen bewundernswerthen Inſtinkt ge-
leitet, an die Mauern, um ihn vorüber gehen zu laſ-
ſen, ihn ſo mit Blick und Seele grüßend, ihn ehrend,
ohne ſeinen Namen zu wiſſen, ihn erkennend, ohne ihn
je geſehen zu haben. Man erkannte in ihm bei dem
erſten Anblicke einen allen andern überlegenen Mann.
Noch ſehe ich ihn vor mir; er hatte einen dicken mit

buſchigen Haaren bedeckten Kopf, die halb ergraut,

»halb ſchwarz, in wirren Locken hin und wieder herab-
Hhingen! man glaubte in dieſem Durcheinander, das
ſeinen Kopf umgab, die Mähne eines Löwen zu ſehen;
unter dieſer Mähne glänzte ein kleines fahles Auge,
deſſen Blick flch wunderbarer Weiſe mit einem bittern,
aber eigens geiſtreichen Lächeln vereinte. Sein Schritt
war ungleich, bald ſchnell, bald zurückgehalten, er ſah
und lächelte rechts und links; aber ſein Blick war zer-
ſtreut, ſein Lächeln war bitter, und man ſah, daß es
ein Mann war, der über der reelen Welt ſtand, ſo
vie! dies nur immer möglich iſt. Bei dem Anblicke
dieſes Mannes fühlte ich eine innere Theilnahme ſür
ihn, ja eine innere Bewegung. Ich wollte wiſſen, wer
er ſei, und folgte ihm von Weitem. Nach vielem Hin-
und Hergehen trat er in die Muſikalienhandlung am
Kohlmarkt ein. Der Herr des Hauſes empfing ihn
mit vieler Artigkeit und bot ihm einen Stuhl an; al-
lein der Unbekannte blieb ſtehen. Ich konnte ihn nicht
verſtehen, was er ſagte, ſondern ſah ihn nur durch die
Iroßen Fenſter des Ladens. Seine Art, ſich zu un-
terhalten, war ſehr eigen; er ſprach, und der Herr
des Hauſes ſchrieb ihm ſeine Antwort auf, woraus ich
den Schiuß zog, mein Unbekannter müſſe taud ſein.

Plötzlich nahmen ſeine Blicke ein ernſteres Weſen
gewöhnlich an, er wandte ſich nach der Cingangskhürk,

An dem Tage, von dem ich ſpreche,‚

Katze.
Copie nach der Natur des Kater Murr, dem Hoff-

eſen als

und ſpielte mit ſeinen Fingern anf den Glasfenſtern
derfelben ſeine innern Gedanken ab. ö
Er ſpielte bald ſchnell, bald laugſam; hielt dann
wieder an, als ſuche er einen neuen Gedanken, und
ſo lange ſtanden die Finger ſtille; bald drängte ein
Gedanke den andern, und dann flogen ſeine Finger
auf den Scheiben ſo ſchnell, wie auf einem Fortepidno

dahin. Augenſcheinlich komponirte dieſer Mann etwas

Großes und Schönes, ſein Blick belebte ſich dann, die
Haare ſeiner Stirne ſtanden ſtrack in die Höhe, ſein

Lächeln wurde melancholiſch, doch ſprachen ſeine Mie-

nen Zufriedenheit aus; dieſer arme große Mann war
glücklich. So blieb er wohl eine lange Viertelſtunde

ſtehen, wornach er ſich umkehrte und dem Hausherrn

einen Wink gab; ſogleich brachte ein niedliches Mäd-
chen Notenpapier, Feder und Tinte, und ſetzte es ihm
vor; dann ſah ich ihn ſchnell ſchreiben, ohne Zweifel
das, was er ſo eben auf den Fenſterſcheiben komponirt

hatte.

Er ſchrieb, ohne anzüuhalten, kaum Athem holend,
und gab es dann, als er es zu Ende hatte, ohne es
durchzuſehen, dem Herrn, der ihm dagegen ein Gold-
ſtück reichte. ö ö
Er verließ ſogleich die Handlung und nahm gleich
wieder ſeine ſpöttiſche Miene an; jedoch war ſein Schritt
leichter, als zuvor. Er ging alſo leichten Schrittes
und vergnügt nach einer eingeräucherten Schenke, zur
Man ſagt: dieſe Katze ſei von Hoffmann eine

mann, wie der Taverne, eine ſolche Celebrität verlie-

hen hat.

An dieſem Tage, es war Freitag, ſtand die Ta-
verne leer, und ſelbſt im Saale ging es ſehr ſtille

her; der Herd war ohne Feuer, und die Wirthin, eine
gute deutſche Hausfrau, war damit beſchäftigt, ihren
kupfernen Pfannen und ihrem Zinnvorrathe neuen
Glanz zu geden. ö was ar
rer Küche abzufordern, war nicht gut gewählt; da aber

Der Augenblick, ihr etwas aus ih-

der Unbekannte bei Geld war, ging er gerade auf ſie
zu, und verlangte ohne viele Ceremonie:
En Kalbernes, warm 2*
Ich habe keins, ſagte die Wirthin und führ fort,

ihre Teller abzureiben.

Nun, ſo gebens en kaltes, fuhr der Unbekannte ju.

ihr foͤt.

Es iſt auch kein kaltés da, entgegnete die Wirthin
 
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