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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 70 - Nr. 78 (2. September - 30. September)
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eiclelberg

U l.

Nr. 78.

Samſtag, den 30. September 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr.

und bei den Trägern

Einzelne Nummer à 2 kr.
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4

Aus der Geſellſchaft.
Von Elariſſa Lohde.

Im wunderſchön en Monat Mai,
Als alle Knospen ſprangen,
Da iſt in meinem Herzen
Die Liebe aufgegangen.
Heine.

Der wundervolle Monat Mai, den die Dichter ſo
oft ſchon beſungen haben, iſt nicht immer der Wonne-
monat, als der er ſo gern dargeſtellt wird. Wenigſtens
für die Bewohner des Oſtſee-Strandes iſt er oft recht
rauh und kalt, ſcharfe Winde wehen von der See her
und halten Blätter und Blüthen lange in ihrem war-
men Verſteck zurück, bis endlich ein ſonniger Tag oder
milder Nachtregen ſie aus der Verborgenheit her-
vorlockt. Dann iſt plötzlich, wie mit einem Zauber-
ſchlage, Alles grün geworden und verwundert ſchaut
man des Morgens auf die zarten grünen Blätter und
ſchneeigen Blüthen, mit denen Bäume und Sträucher
ſich über Nacht geſchmückt haben.
Eiz ſolcher ſchöner friſcher Frühlingstag entſchädigt
dann aber auch für die lange ermüdende Erwartung.
Der Mai wird dann in Wirklichkeit zum Wonnemonat,
das Herz wird weit und ſehnſuchtssoll, und ſelbſt der
kälteſte, abgeſchloſſenſte Menſch empfindet an ſolchem
Tage das Bedürfniß nach Glück, nach Liebe und Wonne,
da jeder Athemzug neue Lebensluſt in ihm erweckt.
Wer ein Herz hat, dem er ſich ganz zu eigen gegeben,
heute ſchließt er ſich doppelt innig an daſſelbe an, der
Einſame aber, dem dies Glück nicht beſcheert iſt, fühlt
von Neuem in ſeinem Herzen ſich Wünſche regen, die
er längſt begraben wähnte.
So ging es auch dem Baron von Bandelow, einem
der reichſten Gutsbeſitzer an dem fruchtbaren Oſtſee-
ſtrande. Der ſchöne Maien⸗Morgen litt ihn nicht in
ſeinem palaſtähnlichen Herrenhauſe, nicht in dem gro-
ßen Park, dem wohlkultivirten, gutgehaltenen Blumen-
garten. Alles, was das Herz erfreuen konnte, war da;
aber das Beſte fehlte ihm doch: ein liebendes Herz!
Er bewohnte ganz allein mit einem großen Dienſtper-
ſonal das herrliche Willmershagen; ſeine Eltern waren
todt, ſeine einzige Schweſter verheirathet und er, ein
ernſter und zurückhaltender Mann, hatte ſich trotz viel-

facher Gelegenheiten, die ihm geboten worden waren,

noch immer nicht entſchließen können, zur Wahl einer
Gattin zu ſchreiten. Sein großes Gut, Lektüre und
Muſik, die er mit Geſchmack und ſelbſt mit Virtuoſität'
trieb, nahmen ſo ſehr ſeine Zeit in Anſpruch, daß er
nur ſelten das ſchmerzliche Gefühl des Alleinſeins em-
pfand. Heute aber regte ſich in ihm unwiderſtehlich
der Wunſch nach Gemeinſamkeit im Genuß des erwa⸗—
chenden Frühlings. Er hatte deßhalb ſchon früh ſein
Pferd ſatteln laſſen und war fortgeritten durch die grü-
nen Felder der See zu, die nur von leichten Wellen
gekräuſelt in leiſem Geplätſcher an dem niedrigen Ufer
ſich brach. Mit vollen Zügen athmete er die friſche,
würzige Seeluft ein, als er den Strand ſinnend und
langſam entlang ritt. Er war ein kräftiger Mann in
der vollen Blüthe ſeines Lebens; ein voller, blonder
Bart umgab das ſcharfgeſchnittene, ſtolze Geſicht, deſſen

ernſten Ausdruck ein paar graue, verſtändnißvoll und

nachdenklich blickende Augen milderten. Feſt und ſicher
ſaß er auf dem feurigen Rappen, der nur ungeduldig
den langſamen Schritt, der ſeinem Herrn beliebte, ein-
hielt. Aber bei jeder unwilligen raſchen Bewegung des.
edlen Thieres wurde der Zügel, der ſo lange loſe auf
dem Nacken gelegen, feſt und ſtraff angezogen, ſo daß
es ſich, der energiſchen Hand ſeines Reiters bewußt,
wenn auch mit unmuthigem Schütteln des hochgetrage-
fü Kopfes in den mächtigeren Willen ſeines Herrn
ügte. ö ö
Die niedrigen Dünen, die längs des Stromes hin-
liefen, wuchſen allmählig zu einer bedeutenden Höhe
heran und ſchoben ihren Fuß ſo dicht an die See, daß
der Reiter ſtellenweis einen gar engen Reitweg fand
und die Hufe ſeines Pferdes oftmals vom hellſchim-
mernden Seewaſſer beſpült wurden. Das dunkle Auge
des Barons ſchweifte mit dem Ausdruck freudigen Ge-
nuſſes über das ungemein ſchöne Bild hin, das der
wechſelvolle Strand darbot. Das helle Grün der Bu-
chen, die den Kamm der hohen Dünen bedeckten, miſchte
ſich mit dem dunkeln, faſt ſchwarzen Laub der Tannen,
während zwiſchen ihnen alte knorrige Eichen ihre noch
faſt kahlen Aeſte hoch in die Luft ſtreckten, als breite-
ten ſich tauſend Arme ſehnſüchtig zum blauen, lachen-
den Frühlingshimmel aus. ö
Bald ſchroff und ſteil, der weiße Sand hell von der
Morgenſonne beleuchtet, bald in allmähliger Abdachung
und dann bis zum Fuße mit grünendem Buſchwerk be-
deckt, ſenkten die Dünen ſich bis zur See hinab. Auf
einem dieſer Abhänge zeigte ſich jetzt ein ſchmaler Weg,
der nicht zu ſteil auf die Düne hinaufführte. Der Ba-
 
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