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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

DOI Kapitel:
Nr. 79 - Nr. 86 (4. Oktober - 28. Oktober)
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Samſtag, den 28. Oktober 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und S amſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4

und ber den Trägern

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Aus der Geſellſchaft.
Von Elariſſa Lohde.
(Fortſetzung.)

Er ergriff das feine weiße Battiſttuch, das auf dem
Stuhle, den Frau Reuter ſo eben verlaſſen hatte, liegen
geblieben war, preßte es mit leidenſchaftlicher Gluth an
die Lippen, dann entfaltete er es mit bebenden Händen
und ſuchte nach einem Zeichen. In einer der Ecken ſtand
zierlich geſtickt der Name: Charlotte. Lange ruhte ſein
Auge auf dem verſchlungenen Zeichen. „Charlotte“, mur-
melte er; dann aber, wie ſeiner Weichheit ſich ſchämend,
ſprang er auf und das Tuch in ſeiner Bruſttaſche verber-

gend ging er, ſich zur Ruhe zwingend, ſeinen gewöhnlichen

Geſchäften nach.
Frau Reuter verging der Tag in der anſtrengendſten
Thätigkeit, der Baron erwartete ſie vergebens zu Tiſche,
ſie ließ ſich der vielen Geſchäfte wegen entſchuldigen. Erſt,
gegen vier Uhr Nachmittags trat ſie in einfacher aber ge-
ſchmackvoller Kleidung, zum Empfang der Gäſte bereit,
in den Salon. Der Baron hatte ſie ungeduldig erwartet,
er begrüßte ſie mit zitternder Erregtheit.
leicht. Die ungeduldige Erwartung der Braut erklärte
ihr die ſeltſame Unruhe des Hausherrn. Kaum waren ei-
nige Worte zwiſchen Beiden gewechſelt worden, als das
Heranrollen eines Wagens auch ſchon die Ankunft der
Gäſte anzeigte. Der Baron ging ſeinen Gäſten bis zum
Vorzimmer entgegen. Frau Reuter blickte erwartungsvoll
nach der Thür, ſie war ſehr begierig, die, wie ſie jetzt
glauben mußte, heiß geliebte Braut des Barons, von deren
Schönheit Liſette ihr ſchon ſo viel erzählt hatte, kennen
zu lernen. Endlich öffneten ſich die Flügelthüren. Der
Baron führte eine ältliche, vornehm ausſehende Dame,
ein alter, ſtattlicher Herr in Uniform folgte ihnen, an
ſeinem Arm ſchwebte die anmuthige Geſtalt Eliſens. Ein
einfaches weißes Kleid hob die zarte Fülle ihrer hohen
Geſtalt, eine einzige, dunkelrothe Roſe war leicht und gra-
zids in die reichen, blonden Locken geſteckt. ö
Frau von Reuter's Augen hafteten mit Bewunderung
auf ihr: ſo ſchön, ſo glänzend! möchte nie der Sturm des
Lebens, wie es ihr geſchehen, den Duft des Glücks von
ihrem Antlitz ſcheuchen.
Die Vorſtellung war bald vorüber. Man wechſelte
mit Frau Reuter einige ceremonielle Verbeugungen. Fräu-
ein von Raven ſprach in ihrer leichten anmuthigen Weiſe

Sie lächelte

einige freundliche Worte zu ihr. Dann aber beachtete ſie
Niemand mehr. Die Damen nahmen den Baron vollſtän-
dig in Anſpruch, Eliſe ſcherzte und lachte mit ihm und
der alte General hörte mit offenbarer Befriedigung auf
das heitere Geſchwaͤtz ſeiner Tochtex, ohne ſich ſetbſt in
die Unterhaltung zu miſchen. Er war ſeiner Schweig-
ſamkeit und eines beſonders in letzter Zeit hervortretenden
mürriſchen Weſens wegen bekannt, und Niemand achtete
deßhalb viel darauf.
Frau von Reuter zog ſich in eine Fenſterniſche zurück,
aus der ſie nicht eher hervortrat, als bis die Ankunft des
Uechtritz'ſchen Ehepaars eine neue Vorſtellung nöthig
machte. Die muntere Frau von Uechtritz, die heute be-
ſonders gut geſtimmt war, da die Krönung ihres Werkes,
wie ſie meinte, ſo nahe bevorſtand, behandelte auch Frau
Reuter mit beſonders liebenswürdiger Herablaſſung. Das
beſcheidene, zurückhaltende und dabei feine Weſen derſelben
machte auf ſie einen ſehr wohlthuenden Eindruck. Sie
unterhielt ſich längere Zeit mit ihr, doch die allgemeine
Unterhaltung, an der Frau von Reuter, unbekannt mit
allen Verhältniſſen der Nachbarſchaft, natürlicherweiſe we-
nig Antheil nehmen konnte, zog ihre Aufmerkſamkeit bald
von dieſer fort. Bald dachte Keiner mehr an die Dame
des Hauſes, die Untergebene des Barons, der Kaffee wurde
ſervirt. Alles gruppirte ſich um den runden Tiſch, für
Frau Reuter blieb kein Platz frei. Still verließ ſie das
Zimmer. Ein ſchmerzliches Weh erfüllte die Seele der
armen Frau, als ſie das heitere Lachen der Gäſte zu ſich
hineinſchallen hörte. Um Sie kümmerte ſich ja Niemand.
Die Unglückliche wird ja ſtets von der Welt gemieden;
zum erſten Male fühlte ſie mit Bitterkeit die Abhängig-
keit, das Demüthigende ihrer Stellung in dem Hauſe des
Barons. Da öffnete ſich plötzlich die Thür und dieſer
trat herein. Sich mit großer Artigkeit ſeiner Unaufuͤerk-
ſamkeit wegen entſchuldigend, bot er ihr den Arm an und
führte ſie zu der Geſellſchaft zurück, indem er ihr ſeinen
eigenen Platz neben Fräulein von Raven überließ. So
wohlthuend augenblicklich Frau Reuter dieſe Aufmerſam-
keit des Barons berührte, ſo mußte ſie es doch bald ſehr
bedauern, daß er ſie nicht lieber ruhig in ihrer Zurückge-
zogenheit gelaſſen hatte, denn aller Augen richteten ſich
jetzt forſchend und fragend auf ſie und den Baron. Eine
ſolche Aufmerkſamkeit von Seiten eines Gebieters gegen
ſerne Untergebene erregte natürlicherweiſe allgemeines Er-
ſtaunen. Auf Eliſens bis dahin ſo heiterer Stirn zogen
dunkle Wolken auf und ihr Auge ſchoß Blitze des Unwil⸗—
lens auf die arme Frau, deren ganze Erſcheinung zu be-
deutend war, um von ihr als Nebenbuhlerin unterſchätzt
 
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