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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 79 - Nr. 86 (4. Oktober - 28. Oktober)
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zu werden. Der geſellſchaftliche Takt ließ Eliſe indeſſen
bald Herr über ihre Verſtimmung werden.
glättete ſich wieder und als wäre nichts geſchehen, wandte
ſie ſich zu ihrem Nachbar zur Linken, dem Herrn von
Uechtritz und begann ſich ſcherzend und neckend mit ihm
zu unterhalten; ihre neue Nachbarin beachtete ſie nicht
mehr. Frau Reuter war nicht ganz ſo unbefangen als
Fräulein von Raven, obgleich es ihr auch an dem geſell-
ſchaftlichen Takt durchaus nicht fehlte, aber das Gefühl
ihrer abhängigen Stellung nahm ihr die ſonſtige Sicher-
heit. Sie war ſehr froh, daß man ſo wenig ihrer achtete
und athmete erſt wieder hier auf, als die Herrſchaften
aufſtanden, um einen Gang durch den Garten zu machen.
Unbemerkt wollte ſie ſich zurückziehen, aber der Baron bat
ſie dringend um ihre Begleitung; ſo peinlich es ihr war,
ſie mußte dieſer Aufforderung folgen.
Sie ſchloß ſich daher der Geſellſchaft an, die Garten
und Haus mit großer Aufmerkſamkeit und vielen Aus-
drücken der Bewunderung für die behagliche und ſchöne
Einrichtung des Ganzen beſichtigte. Fräulein Eliſe be-
ſondern faßte Alles, was ſie ſah, mit dem lebhafteſten In-
tereſſe auf, ſtets wandte ſie ſich fragend, lobend, anerken-
nend an den Baron, deſſen ganze Aufmerkſamkeit ſo pein-
lich von ihr gefeſſelt wurde. Ein Bildwerk aus Bronce,
das einen hetligen Georg im Kampfe mit dem Drachen
darſtellte, ſchmückte den freien Platz vor der Veranda.
Fräulein von Raven blieb vor demſelben ſtehen und be-
trachtete es lange.
5 O wie hübſch,“ ſagte ſie, ſich an den Baron wen-
dend, „wie hübſch, daß Sie bei allem Sinn für das
Praktiſche doch auch die Künſte lieben und beſchützen. Es

iſt in der That eine ſehr freudige Ueberraſchung für mich,‚,

ein ſolches Kunſtnerk, wie dieſes hier, in Ihrem Beſitze
und ſo würdig aufgeſtellt zu ſehen.“
„Seit wann haſt Du das Ding, Bandelow?“ fragte
Uechtritz, jetzt näher tretend und es durch die Lorgnette
betrachtend.
„Erſt ſeit Kurzem,“ erwiederte der Baron, „es iſt
ein Geſchenk meiner Schweſter. Sie ſehen, mein gnädiges
Fräulein, das ich das Lob, welches ſie mir eben gütig er-
theilten, nicht verdiene. Zu meinem Bedauern verſtehe
ich wenig von den bildenden Künſten; die einzigen Künſte,
mit denen ich mich in meinem Leben zu beſchäftigen Ge-
legenheit hatte, ſind Muſik und Poeſie.“ —
„Sie wiſſen aber doch jedenfalls, Herr Baron,“ fuhr
Eliſe mit anmuthigem Lächen fort, „welcher Künſtler der
Schöpfer dieſer Gruppe iſt. Ich intereſſire mich grade
beſonders für Skulptur und Malerei, da ich ſelbſt in
beiden Künſten etwas gepfuſcht habe.“

„Leider muß ich auch hierin meine Unwiſſenheit be-

kennen,“ gnädiges Fräulein,“ entgegnete der Baron.
„Armer Bandelow,“ lachte Uechtritz. „Wie können

Sie aber auch verlangen, mein gnädiges Fräulein, daß

wir, die wir täglich ein ganzes kleines Reich zu regieren
haben, daß wir unſer Gedächtniß noch zum Namenregiſter
für Künſtler machen ſollen. Wir freuen uns an ihren
Werken, wenn wir ſie ſehen, iſt das nicht genug?“

Frau Reuter hatte die Unterhaltung gehört, ſie trat

jetzt näher und wandte ſich in beſcheidenem, freundlichem

Ihre Stirn

Tone zu Eliſen:
„Ich freue mich, gnädiges Fräulein, Ihnen die ge-
wünſchte Auskunft über dies Bildweak geben zu können,
ich war zufällig in der Reſidenz, als das Modell zu dem-
ſelben ausgeſtellt wurde, und ſich allgemeine Anerkennung
erwarb. Ein junger italieniſcher Künſtler, Tandius mit
Namen, hat es gefertigt, es war zur Ausſchmückung ei-
nes Platzes in der Reſidenz beſtimmt und iſt, ſo viel ich
weiß, auf demſelben bereits aufgeſtellt worden. Dieſes
hier iſt eine verkleinerte Kopie davon.“
Fräulein von Raven hatte den Worten Frau Reuters
überraſcht zugehört, eine leichte Röthe bedeckte ihre Wan-
gen, ſie biß ſich auf die Lippen und ſchaute die Sprechende
mit meſſendem Blicke an, als wollte ſie ſagen: „Schon
wieder Du? Kommſt Du mir immer in den Weg?“
Doch ſich gewaltſam überwindend, dankte ſie mit leichtem
Neigen des Hauptes und den Arm der neben ihr ſtehen-
deu Frau von Uechtritz ergreifend, verließ ſie ſchnell mit
derſelben den Platz. Alles folgte ihr, helles Lachen drang
zu den Ohren Frau von Reuter's, die ſtehen geblieben
war und den Davoneilenden nachblickte, keiner hatte ein
freundliches Wort für ſie gehabt, keiner, ſelbſt der Baron
war von den Andern mit fortgezogen worden, die Gene-
ralin hatte ihn in Beſchlag genommen und es war ihm
unmöglich geweſen, ohne aufzufallen, ein Wort an Frau
Reuter zu richten, Bald war die ganze Ge ſellſchaft hin-
ter einer hohen grünen Hecke verſchwunden; jetzt verließ
auch Frau Reuter den Platz, aber nicht um der Geſell-—
ſchaft zu folgen, langſam lenkte ſie ihre Schritte nach dem
Hauſe zurück, ſie wußte ja, daß Niemand ſie unter den
Gäſten vermiſſen würde. ö
Und doch wurde ſie vermißt, ſchmerzlich vermißt, zwei
Augen ſuchten ſie vergebens, ein Herz ſchlug in glühender
Sehnſucht nach ihr, aber ſie ahnte es nicht.
Oben auf einer Anhöhe waren Wein und Früchte zur
Erquickung aufgeſtellt. Man ſetzte ſich um den einladend
gedeckten Tiſch, pries des Barons ſinnige Anordnung, hier
auf dieſem anmuthigen Platze eine Erquickung ſerviren zu
laſſen. Von der einen Seite hatte man die Ausſicht auf
die See, die hinter dem niedrigen Gehölz in ihrer gan-
zen Majeſtät ſich ausbreitete, auf der andern ſah man über
den Garten und ſeine ſchattigen Baumpartien hinweg nach
dem Herrenhauſe, das mit ſeiner Veranda, dem breiten
Fronteſpice und den ausgedehnten Flügeln einen impoſan-
ten Anblick bot.
Dir Früchte waren köſtlich, der Wein von ausgezeich-
neter Qualität, und ſo wurde die Stimmung bald eine
gehobene, heitere. Fräulein von Raven war ſehr leben-
dig, die Gegenwart Frau von Reuter's ſtörte ſie nicht
mehr. Alle befanhen ſich in angeregter Laune; Scherz
und Lachen wechſelten mit einander ab, Toaſte wurden
ausgebracht und hell klangen die Gläſer zuſammen. Nur
der Baron war ſtill. Fräulein Eliſen's Auge ruhte oft
forſchend auf ihm, er bemerkte es nicht. Ihrem weibli-
chen Scharfblick war es nicht entgangen, daß ihr in Frau
von Reuter eine gefährliche Nebenbuhlerin entſtanden war.
— Sollte dieſe Frau wirklich ihre Pläne durchkreuzen? Doch
 
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