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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 26 - Nr. 34 (1. April - 29. April)
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Nr. 30.

Samſtag, den 15. April 1871.

4. Johrg.

erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 18 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonntrt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
— und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö

Zu fpät.
(Schluß.)

Paul war einer der erſten, der auf die Bruſtwehr
ſprang und mit einem kräftigen Hurrah die frohe Bot-
ſchaft verkündigte. Bald ſtanden alle Bruſtwehren und

Trancheen voll preußiſcher Krieger, die ſich jubelnd in-

die Arme fielen, daß nun das Leben in den Batte-
rien und Laufgräben endlich zu Ende ſei. ö
Am 28. September, Vormittags 11 Uhr, paſſirte
die franzöſiſche Garniſon die Thore. Gott, welch' jam-
mervolle Geſtalten zeigten ſich darunter, und wie be-
nahmen ſich dieſe Menſchen in ihrem Unglück, vor dem
ſelbſt der unerbittlichſte preußiſche Soldat Achtung
hatte. Aber wahrlich, die Scenen, welche ſich unſern

Augen darboten, haben jede Spur von Achtung vor

dieſer ſogenannten großen Nation mit fortgenommen,
und die zähe Vertheidigung Straßburg's, die im ande-

ren Falle unſere Bewunderung herausfordern würde,

iſt wahrlich nichts weniger als ein Akt ausdauernder
Tapferkeit geweſen. —
Es mochte halb zwölf Uhr geworden ſein, als ſich
unſere Kolonnen in Bewegung ſetzten. Wir zogen durch
das weiße Thor in die altehrwürdige Stadt ein, deren
gigantiſches Denkmal deutſcher Baukunſt uns ja ſchon
wochenlang durch Flammen, Rauch und Pulverdampf
die Zuſammengehörigkeit mit dem Vaterlande gepre-
digt hatte. Wenn bei dem Anblicke der jämmerlich zer-
ſchoſſenen Stadt mit dem Gedanken: das war deutſche

Arbeit! auch ein leiſes Gefühl des Triumpfes in un-

ſere Bruſt einziehen mochte, ſo überwog doch das Mit-
gefühl mit dem entſetzlichen Unglück, welches die hart-
näckige Verblendung Eines Menſchen über die armen

Bewohner gebracht, alles Andere. Manchem bärtigen
Krieger lief eine Thräne über die Wange, und er ſchämte

ſich ihrer nicht.
Tief exnſt und ſchweigend marſchirte ich neben mei⸗—
nem Freunde her. ö ö
„Da wären wir ja in dem Trümmerhaufen, der
ſich einſt das ſchöne, ſtolze Straßburg nannte,“ nuter-
brach ich einmal das Schweigeu. ö
»„Wenn wir nur erſt eben ſo wohlbehalten wieder
hinaus wären,“
Schwermuth lagerte wieder einmal auf ſeinem Geſichte,

brummte Karrſtedt, und die tiefſte

als ſeine Augen ſo über die Trümmer hinſchweiften.
Düſtere Ahnungen ſchienen ſeinen Geiſt wieder einmal
gänzlich gefangen genommen zu haben, und wirklich —
noch am Abende deſſelben Tages krat ſchon das Ereig-
niß ein, das uns trennen ſollte, und das mir heute
noch immer wie ein Traum vorſchwebt. —
Wir gingen als Patrouille die Rue de Saverne hi-
nunter, und hielten einen Moment an der Ecke einer
engen Quergaſſe, durch die wir unſern Weg fortzuſetzen
hatten. So eben waren wir im Begriff, unſern Marſch
wieder aufzunehmen, als unſere Aufmerkſamkeit plötz-
lich durch einen durchdringenden Schrei einer weibli-
chen Stimme auf das kleine Häuschen neben dem Eck-
hauſe hingelenkt wurde. Im Momente konnte ich noch
ein weibliches Weſen bemerken, das ſich dort oben im
Fenſter an einen Mann klammerte, als auch ſchon das
Fenſter ſich in Pulverdampf hüllte und eine Kugel dicht
an meinem Kopfe vorüberpfiff, ohne ſonſt irgend wel-
chen Schaden anzurichten. ö
In demſelben Augenblicke fühle ich meinen Arm er-
griffen und ſehe mit Erſchrecken in das todtbleiche, kon-
vulſiviſch zuckende Geſicht des Freundes. — Mit weit
geöffneten Augen ſtarrt er in den Pulverdampf ——
„dal da!“ —
„Die Kameraden eilten ſchon auf das Haus zu. Wir
ihnen nach. Mit Gewalt durchbrach Paul die Gruppe
der Voraneilenden und war der erſte im Hausflur; ich
ihm dicht auf den Ferſen. ö
Noch heute höre ich ſeine heiſere Stimme, die mir
durch Mark und Bein drang: „Mir nach Kameraden!“
Und er flog die Treppe hinan. — In dem Moment,
als ich obeu anlange, ſehe ich den Freund auf der hal-
ben Länge eines Korridors vor mir. Da wird dicht
hinter ihm eine Thür aufgeriſſen und eine ſchwarze
Geſtalt ſtürzt ſich von hinten auf deu Vorwärtsdrin-

genden. — „Viktor! Viktor!“ tönt eine weibliche
Stimme verzweiflungsvoll von innen. — Schnell reiße
ich mein Gewehr an die Schulter' — der Schuß
dröhnt! — — — ö

— — Zu ſpät! — ö
Gleichzeitig mit meinem gut getroffenen Opfer bricht
auch Paul mit einem dumpfen Laut zuſammen.
Auch mir wurde ſchwarz vor den Augen, und erſt
auf der Straße fand ich meine Sinne wieder. Das
Haus war von einer ſtarken preußiſchen Abtheilung be-
ſetzt, ein Arzt ſchon da. So eben trug man den Er-
ſchoſſenen heraus und ich konnte mir ihn anſehen. In's
 
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