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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

DOI Kapitel:
Nr. 79 - Nr. 86 (4. Oktober - 28. Oktober)
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Samſtag, den 21. Oktober 1871.

4. Jahrg.

Preis monatlich 12 kr.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag.
und bei den Trägern

Einzelne Nummer à 2 kr.
Auswärts bei den Landboten und Voſtanſtalten.

Man abonnirt in der Druckerei, Schffgaſſe

Aus der Geſellſchaft.
Von Clariſſa Lohde.
(Fortſetzung.)

Der Baron und Eliſe nahmen die Scherze der Dame
des Hauſes ruhig auf, ohne daß es ihr indeſſen gelang,
Einen von Beiden wirklich in Verlegenheit zu ſetzen. Des
Barons Geiſt war zu bewegt und unruhig, Fräulein von
Raven aber zu ſicher ihres Erfolges, als daß ſie die ſchüch-
terne erröthende Verliebte hätte ſpielen 116, Nach Be-
endigung des Mittagseſſens ging die kleine Geſellſchaft in
die Veranda, um in dem kühlen Schatten derſelben ein
Stündchen zu verweilen. Die Luft dort war aber nicht
ſo erquickend, als ſie geglaubt hatten; eine drückend Schwüle
und Stille lag auf der Natur, dumpfes Rollen und das
ferne Branden der See verkündeten ein nahendes Unwet-
ter. Der Baron trat auf die Terraſſe und betrachtete den
Himmel, der zwar noch theilweiſe blau war, an deſſen
Horizont ſich. aber bereits dunkle Wolkenmaſſen zuſammen-
ballten.
„Es wird ein Gewitter geben,“ ſagte er zu den Da-
men zurückkehrend. „Jetzt müßte man die See ſehen, hö-
ren Sie ihr Brauſen? Sie muß großartig ſchön ſein.“
„Laſſen Sie uns hingehen, Herr Baron,“ rief Fräu-
lein von Raven, lebhaft auf ihn zutretend, „ich habe die
See noch nie bei Gewitter geſehen und hier haben wir ſie
ſo nahe.“
„Aber liebe Eliſe,“ rief Frau von Uechtritz, „es wird
bald losregnen und wir können dann durch und durch naß
werden — ich glaͤube wirklich, es iſt klüger, wir bleiben
daheim unter ſicherem Schutz und Obdach.“
„Es iſt ja nicht ſo weit, gnädige Frau,“ ſagte der Ba-
ron, ſich Fräulein von Ravens Bien anſchließend; „wir
können vor Ausbruch des Gewitters zurück ſein und. ha-
bon dann eins der größten Naturſchauſpiele geſehen, die
8 giebt.“
„Ich will Ihnen Ihr Vergnügen durchaus nicht ſtö-
ren, Herr Baron,“ erwiederte Frau von Wacis, „Aber
nicht wahr, liebe Eliſe, Du nimmſt es mir nicht übel,
wenn ich zu Hauſe bleibe und an dieſem romantiſchen Aus-
flug keinen Theil nehme, dagegen werde ich Dir Jean
mitgeben und ihn mit Regenſchirmen und Tüchern verſe-

hen, damit Ihr im Nothfall nicht gänzlich ohne Schutz-
mittel ſeid.“

Fräulein von Raven nahm das Anerbieten ihrer Freun-

ſcheidung herbei.

din dankend an. Im Grunde war es ihr durchaus nicht
angenehm, daß ein Dritter, und wenn es auch ein Diener
war, ſie begleiten ſollte. Der Zuſtand der Ungewißheit
war ihrem lebhaften, leidenſchaftlichen Gemüth durchaus
unerträglich; ſie wünſchte von ganzem Herzen eine Ent-
Sie hatte nun einmat den Entſchluß ge-
faßt, den Baron von Bandelow zu heirathen und je ra-
ſcher dieſe Abſicht zur Gewißheit wurde, deſto beſſer für
ſie. Trägt der Menſch doch das Unabänderliche, ſelbſt
wenn es alle Hoffnungen zerſtört, leichter als eine laͤnge
Zeit des Zweifelns und Hanrene,
Von Jugend auf als einziges verzogenes Kind reicher
Eltern daran gewöhnt, jeden ihrer Wünſche erfüllt zu ſe-
hen, halte dieſee erſte Schlag, der ihr durch den Prinzen
zugefügt worden war, nie gekannte Stürme in ihr erregt
und die ſeltſamſten Entſchlüſſe und Pläne, um dieſen Schlag
zu paralyſiren, hatten in ihrem Herzen und Kopfe mit
einander gekämpft. Endlich war der Sturm beſiegt wor-
den und ſie hatte ſich für eine baldige Heirath entſchieden.
Ihre Wahl war durch die Fügung der Verhältniſſe auf
den Varon von Bandelow gerichtet worden. Sobald dies
geſchehen, war ſie aber auch mit leidenſchaftlicher Haſt auf
ihr Ziel losgegangen und jede Verzögerung verſetzte ſie in
fieberhafte Aufregung. Dies durfte und ſollte ihr nicht

mißlingen — hier wenigſtens mußte ſie ſiegen.

Der Spaziergang mit dem Daron allein würde ihr
deßhalb ſehr erwünſcht geweſen ſein, da ſie ihn für die
günſtigſte Gelegenheit hielt, eine Erklärung herbeizufühen.“
Der Diener, den ihr Frau von Uechtritz mitſchicken wollte,
legte ihr nun wieder unerwartet eine Gene auf, die ihr
nnangenehm war. Dennoch konnte ſie die Begleitung deſ-
ſelben nicht zurückweiſen — ſie fügte ſich daher in's Un-
vermiedliche — haſtig eine leichte Mantille umwerfend,
nahm ſie den dorgebotenen Arm des Barons und eilte dem
ſchattigen Walwege zu, der zur See führte.
Der Weg war ſehr anmuthig, von grünem Buſchwerk
und hohen Eichen begrenzt bildete er einen Laubgang, der
ſo ſchattig und kühl war, daß der Baron hoch aufathmete
und ſich von einem angenehmen Behagen erfüllt fühlte.
„Wie glücklich ſind Sie,“ ſagte Eliſe zu ihm auf-
blickend, „daß Sie ſo nahe der See wohnen, wie oft ſehne
ich mich nach ihrem erfriſchenden Anblick und kann der
weiten Entfernung wegen nicht hingelangen.“
„Sie haben alſo eine große Vorliebe für die See,
gnadi ges Fräulein?“ fragte der Baron.
„Ziveifelten Sie daran!“ rief Eliſe lebhaft. „Wer
liebte das wunderbare Element nicht; bietet das Meer uns
nicht das großartigſte wechſelvollſte Schauſpiel, das die
 
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