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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 52 - Nr. 60 (1. Juli - 29. Juli)
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Nr. 57.

Mittwoch, den 19. Juli 1871.

4. dan

arſhent Mittwoch und Samfgag. Preis monatlich 18 kr.

und bei den Trägern.

Einzelne Nummer à 2 kr.
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Man abonnnt in der Druckerei, Safhee

— ů

Die Roſe und das Schaffot.
(Forſetzung)

Sofort nahm der Repräſentant ſeinen Federhut,
gürtete ſeinen Huſarenſäbel um und ging. Lange
hörte man das Geklirr dieſer Paradewaffe, deren Ge-
ringfügigkeit im Vergleich mit dem verzehrenden Eiſen
der Guillotine, er leider nur zu gut würdigte.
Indeß hatte Frau Marceau in Verzweiflung über
die ihrer künftigen Schwiegertochter drohende Gefahr,
ſich beeilt, den letzten, ihr noch möglichen Schritt zu
thun; ſie ſandte nämlich einen Courier nach der Ven-
dee und beſchwor den General, Blanka zu helfen. Der
Bote hatte nicht weit zu gehen; er begeguete dem be-
rühmten Krieger zwei Meilen von Vendome, wo man
mit reißender Schnelligkeit die Pferde wechſelte; doch
klagte der General über Langſamkeit. Der Courier
nahre ſich dem Wagen und übergab Marceau das Schrei⸗—
ben ſeiner Mutter. Während er es durchlief, begann

ſein Auge mehr und mehr von Zorn zu funkeln; bald

ſtampfte der wackre Offizier den Boden des Wagens

mit den Füßen, was deutlich beweiſt, daß ſich der Zorn

von den Augen aus der ganzen Perſon mittheilt. In-
dem der General das Schreiben ſchnell überlas, war
der neue Poſtillion in den Sattel geſprungen und der
Wagen beſpannt. ö
Zwanzig Franken Trinkgeld, rief der General mit
ſchrecklicher Stimme, worauf ein Staubwirbel die Chaiſe
verhüllte, welche den Augen des Boten entſchwand.
Da, wo dieſer Blitz einſchlägt, wird man ſich nicht
wohlbeſinden, ſprach der Abgeſandte, welcher, miteen
auf der Straße ſtehend, den Wagen Marceaus fliehen

ſah. Wenn der Bürger Torquatus, der Urheber des

ganzen Zwiſtes, dem General in die Häude fällt, ſo
beklage ich ihn. Der Säbel dieſes Herrn hatte gar
kein ſchartiges Anſehn und auf den Abend dürfte un-
ſer Schulmeiſter
haben. ͤ
Marceau beſchäftigte ſich keineswegs mit ſeiner
Rache. Nachdem er ſich kaum ſo viel Zeit genommen,
ſeine Mutter zu umarmen, welche er unterwegs traf,
fuhr der General gerade nach Chartres, vor die Thür
des Repräſentanteu.

Von dieſem erfuhr General Marceau mun, daß Car-
rier Blanka mit nach Nantes genommen habe. Wa war

ſeine rothe Mütze nicht mehr nöthig-

keine Zeit zu verlieren; der General kannte dieſe gif
tige Schlange. Er nabm Poſtpferde; der Talisman
von 20 Franken Trinkgeld für jede Station beſchleu-
nigte ſeine Reiſe. Er kam nach Nantes und verfügte
ſich unverzüglich in Carriers Wohnung.
Marceau hatte Zeit gehabt, das in dieſer kitzlichen
Angelegenheit zu beobachtende Benehmen zu überlegen.
Er fühlteé, daß der Zorn ein gefährlicher Rathgeber ſein
dürfte, wenn es ſich darum handle, einem Tiger die
Beute aus den Klauen zu reißen. Die Gewalt des
Kriegers durfte hier der des Proconſuls nicht entge-
gen geſtellt werden. Erſterer war nur an der Spitze
ſeiner Armee ſtark, Letzterer konnte allein in ſeinem
Kabinet Alles durch den Gebrauch oder Mißbrauch des
Wortes Geſetz, beherrſchen. Demnach nahm ſich der
General vor, ſeine Entrüſtung im Geſpräche mit⸗ Car-
rier zu verbergen.
Unſer Reiſender meldete ſich bei dem Conventsde-
putirten in einem einfachen Oberrocke und mit Staub
bedeckt.
Der Bürgerrepräſentant iſt mit wichtigen Sachen
beſchäftigt, antwortete eine Art Thürſteher, grob, wie
ein Lakai der Vorſtadt St. Germain; ich glaube nicht,
mein Freund, daß Ihr ihn jetzt ſprechen könnt.
Sagt ihm — erwiederte Marcequ, ohne ſich um die
kavaliermäßige Benennung. die er ſo eben erhalten, zu
bekümmern — daß der Obergeneral der Weſtarmeen
hier ſei.
Der Obergeneral! Verzeihen Sie, Bürger; die Ur-
ſache war — die Geſchäfte — meine Ordre — die
Pflicht. — Ich will Sie anmelden.
Der Bediente hatte kanm Zeit gehabt, mit dem Re-
präſentanten zu ſprechen, als dieſer erſchien; ein Lä-
cheln umſpielte ſeine Lippen, welches, in der Schule

der Oratorianer erlernt, an Falſchheit dem der Jeſui-
ten nichts nachgab. ö
Warum ließt Du Dich bei mir melden, General?

Iſt der Liebling des Siegs nicht immer in dem Hauſe
eines Republikaners willkommen? Auf Ehre! General,
man ſollte meinen, Du hätteſt Flügel, wie Deine Siege.
— Man hat Dich ſeit vierzehn Tagen überall im We-
ſten geſehen; die mir zugekommenen Berichte melden

Deine Gegenwart auf allen Punkten und ſtets war ſie

mit Erfolg begleitet.
„Deine Berichte ſind unvollſtändig geweſen, Bürger-
repräſentant, denn vorgeſtern war

und weit entfernt, dort einen Vortheil davon zu tra-
 
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