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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 79 - Nr. 86 (4. Oktober - 28. Oktober)
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eidelberger Vollsblatt.

Nr. 83.

Mittwoch, den 18. Oktober 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckeret, Schiffgaſſe 4

und bei den Trägerr

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Aus der Geſellſchaft.
Von Elariſſa Lohde.
(Fortſetzung.) ö

8.

Und doch muß ich es als ein Glück anſehen, wenn ich
ihn gewinne, iſt er doch ein angeſehener, wohlſituirter
Mann, ein Edelmann im wahren Sinne des Wortes.
Schlüge mir auch dieſer Plan fehl, was dann? Wer
würde ſpäter noch die bemitleidete abgedankte Geliebte des
Prinzen zu ſeiner Gemahlin machen? Vielleicht irgend
ein Geck, der durch meine Schönheit zu glänzen denkt?
O fort, ihr eklen Gedanken, fort! — Aber wie zweifle ich
noch, geht doch Alles ganz nach Wunſch. Und wenn die-
ſer Wunſch erfüllt iſt, Eleonore, was dann? Ach der Ge-
danke macht mich zittern; wo ich hinſehe, nirgends Friede,
nirgends Rettung und doch muß ich mit dieſer Wunde im
Herzen leben, lächeln und glücklich erſcheinen. Ich ſchließe
mit den Worten Heine's: ö
Ach dieſer Mund iſt viel zu ſtolz,
Er kann nur lächeln und ſcherzen,
Er ſpräche wohl noch ein höhniſch Wort,
Während ich ſterbe vor Schmerzen.
Lebe wohl, Du Einzige, die Du die ganze Fülle mei-
nes Kummers kennſt. Lebe wohl, bald hörſt Du mehr
von mir. Deine getreue
Eliſe von Raven.

VI.

Als der Baron am andern Morgen etwas ſpäter als
gewöhnlich auf die Veranda trat, wo er ſeinen Morgen-
kaffee einzunehmen pflegte, fand er Frau Reuter ſeiner be-
reits harrend. ö ö
Ste begrüßte ihn mit freundlichem Lächeln.
„Sie haben heute lange geträumt, Herr Baron,“ ſagte
ſie ſcherzend, „und haben wohl kaum daran gedacht, wie
begierig ich auf die mir geſtern verſprochenen Mittheilun-
gen bin.“ Sie erhielt nicht ſogleich eine Antwort, und

als ſie erwartungsvoll zu dem Baron aufſchaute, ſah ſie

mit Ueberraſchung, daß eine dunkle Wolke auf ſeinem Ant-
litze lag, daß ſein Auge trübe und matt war, und daß
ſein ganzes Weſen durchaus nichts mehr von der geſtrigen
heitern Stimmung zeigte. Er ſetzte ſich an den Frühſtücks-
tiſch und trank in heftigen Zügen den ihm von der Dame
dargereichten Kaffee. Ihre ſcherzhafte Anrede ſchien er
kaum gehört zu haben, doch als ihr Auge ſich mit dem

Ausdruck ſichtlichen Erſtaunens auf ihn richtete, ſuchte er
ſich zu ſammeln und wandte ſich mit gezwungenem Lächeln
zu ihr. ö
„Ich weiß wirklich nicht, gnädige Frau, was ich Ihnen
noch mittheilen ſollte,“ ſagte er, „Sie wiſſen ja bereits
Alles.“ ö
Frau Neuter wußte ſich den raſchen Wechſel ſeines Be-
nehmens nicht zu erklären. Geſtern hatte er ihr faſt mit
Gewalt ſein Vertrauen aufgedrungen, heute, da ſie ihm
freundlich entgegen kam, ſchlen er abfichtlich ihren Fragen
auszuweichen.
„Sie dachten geſtern anders, Herr Baron,“ entgegnete
ſie, indem ſie eine gewiſſe Verſtimmung über das ſeltſame
Benehmen des Barons nicht bemeiſtern konnte.
„Ja, das war geſtern,“ erwiederte er zerſtreut; „geſtern
hatte mich der ſchöne, milde Frühlingsabend weich ge-
ſtimmt, heute bin ich wieder der Alte, einſilbig und ſtumm.

Warum hörten Sie mich nicht geſtern an!“

„Sie haben Recht,“ ſagte Frau Reuter ernſt, „man
ſollte nichts auf den kommenden Morgen verſchieben, weiß
man doch nie, was der kommende Tag bringt.“
Sie ſtand auf, um ſich zu entfernen, ſie glaubte, der
Baron wünſche ihre Gegenwart nicht — erſtaunt blieb ſie
aber ſtehen, als er plötzlich mit bittendem Ausdruck ſie zu
bleiben bat.
„Ich habe Sie ſicherlich durch mein mürriſches Weſen
verletzt,“ ſagte er raſch. „Verzeihen Sie mir, haben Sie
Nachſicht mit einem armen Einſamen, der daran gewöhnt
iſt, Alles, was das Leben ihm bringt, mit ſich allein durch-
zukämpfen.“
„Ich verſtehe Sie wohl, Herr Baron,“ erwiederte ſie
ruhig, „aber eben deßhalb laſſen Sie mich gehen.
Seelenkämpfe müſſen in der Einſamkeit durchgemacht wer-
den. Wenn ich in ungeſchickter Weiſe ſo eben gefragt habe,
ſo kann ich mich nur damit entſchuldigen, daß ich nach Ih-
ren geſtrigen Aeußerungen glaubte, die Kämpfe ſeien be-
reits überwunden und Sie bedürften nur noch eines theil-
nehmenden Weſens, um demſelben Ihr Glück mitzutheilen.“
Sie verneigte ſich leicht und verließ ihn. Lange blickte
er ihr in tiefe Gedanken verſunken nach, dann erhob er
ſich ſeufzend. Mit langſamen Schritten durchmaß er die
Veranda und von Neuem ſammelten ſich düſtere Wolken
auf ſeiner Stirn, Warum, fragte er ſich, warum dieſer
Kampf? Warum treten mir, dem ſo lange Einſamen, jetzt
zwei Frauengeſtalten entgegen, beide faſt in gleicher Weiſe
mich anziehend?
Er hatte eine ſchlechte Nacht gehabt. Fräulein von
Raven und Frau Reuter hatten ihn in wechſelnden Ge-
 
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